Münchner Sicherheitskonferenz: Biden erzählt den Europäern, was sie hören möchten
Es wirkt wie eine besondere Ehre, dass US-Vizpräsident Joe Biden nach München gereist ist. Amerika hat euch nicht vergessen, lautet seine Botschaft an die Europäer. Dabei erinnert ihn niemand an all die unerfüllten Versprechen der US-Regierung.
Einen Jux will er sich machen. Dafür wird er geliebt, dafür wird er in den USA aber auch gefürchtet. Am Samstagabend darf der amerikanische Vizepräsident seinem Naturell endlich folgen. Zu Fanfarenklängen ist Joe Biden an der Seite des Ministerpräsidenten Horst Seehofer in den Kaisersaal der Münchner Residenz eingezogen. Nun sonnt er sich im Glanz des warmen Lichts, das die vergoldete Decke reflektiert, und ist zu Späßen aufgelegt. Warum denn so viele Polizisten die Sicherheitskonferenz schützen? Es seien doch viele Republikaner aus den USA angereist, damit sei für Sicherheit gesorgt.
In Seehofer hat er einen Scherzbruder gefunden. Der erzählt von angeblichen Dialogen zwischen Biden und Kanzlerin Angela Merkel am Vortag, bis die gut 400 geladenen Gäste kaum noch wissen, was Dichtung und was Wahrheit ist. In Berlin habe der US-Vizepräsident angeblich Bayern zu seinem Wunschwohnsitz erklärt, und Merkel habe das missbilligt. Nicht doch, korrigiert Biden lachend, sie habe lediglich unterstrichen, dass sie aus einem anderen Teil Deutschlands stamme.
Am Morgen, bei seiner offiziellen Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz, war noch strikte Disziplin angesagt. Mit einem Teleprompter hatte die US-Regie Biden zu „Message Control“ gezwungen. Kein spontaner Witz sollte von der Botschaft ablenken, die Joe Biden im Auftrag des Präsidenten vortrug. Auf zwei Glasscheiben links und rechts des Pults wurde der Text eingeblendet. Er konnte ihn ablesen, ohne die Augen auf ein Manuskript senken zu müssen. Auf Zuschauer, zumal im Fernsehen, wirkt das so, als spreche er frei, während er mal die rechte, mal die linke Seite des Saals in den Blick nimmt. Seine 70 Jahre sieht man Biden nicht an. Er wirkt alterslos und fit.
Nur anfangs hat Biden sich eine Abschweifung erlaubt, die ihm schon zu Beginn seines Deutschlandbesuchs in Berlin Lacherfolge beschert hatte. Das sei endlich mal eine Reise, die ihm Freude mache. Sonst schicke ihn Barack Obama in Länder, in die er nicht selbst reisen wolle wie Irak und Afghanistan. Solche Bemerkungen sind typisch Biden. US-Diplomaten reagieren mit Stirnrunzeln. Sie fürchten, dass sie auch in Bagdad und Kabul gehört werden und die sensiblen Partner dort sie nicht ganz so witzig finden.
In München ist die Stimmung nach Bidens Auftritt gehoben. Er hat eine weiß- blau gestreifte Krawatte gewählt. Vielleicht aus Zufall. In München wirkt es wie eine Verbeugung vor den bayerischen Farben. Er versichert den Europäern, dass sie nach wie vor Amerikas Wunschpartner in der Welt seien. Darauf haben viele gewartet, seit US-Präsident Obama im Herbst 2011 in Australien bekräftigt hatte, die USA seien eine „pazifische Macht“ und wollten ihre Präsenz in Asien verstärken. Nun sagt Biden, Europa sei der engste Verbündete, der größte Wirtschaftspartner. „Bevor wir anderswo um Hilfe bitten, wenden Amerika und Europa sich aneinander.“
Also doch keine Konzentration auf Asien? Die gibt es natürlich auch. Die USA sind eine Weltmacht, die auf vielen Kontinenten zugleich aktiv ist. Zudem betreiben sie Politik nach dem Muster der Feuerwehr und konzentrieren ihre Aufmerksamkeit dort, wo es gerade brennt. Dabei kommt die Pflege der ältesten und verlässlichsten Freundschaft oft zu kurz. Inzwischen hat Washington verstanden, dass die Europäer verunsichert sind. Biden soll das richten. Der Besuch des Vizepräsidenten bei der Sicherheitskonferenz ist die Ausnahme. Normalerweise schicken die USA ihre Außen- oder Verteidigungsminister. Im Februar nach einer Präsidentenwahl ist das jedoch schwierig, dann steht die Regierungsbildung noch ganz am Anfang. Mit der Entsendung des Vizepräsidenten macht Obama aus der Not eine Tugend – und es wirkt zugleich wie eine besondere Ehre.
Libyen und Mali: Amerika ist von Deutschland enttäuscht
So war das auch vor vier Jahren. 2009 war Obama gerade ins Amt gekommen. Die Erwartungen, was sich unter ihm alles ändern würde im Vergleich zu seinem Vorgänger George W. Bush, waren riesig. Auch damals schickte Obama Biden und war „Message Control“ oberstes Gebot; Fragen aus dem Publikum waren nicht vorgesehen. Auch damals lag eine erwartungsvolle Stimmung vor Bidens Rede über dem Konferenzsaal im Bayerischen Hof. Während Frankreichs damaliger Präsident Nicholas Sarkozy, Kanzlerin Angela Merkel und Polens Premier Donald Tusk über das Wunder des Friedens in Europa 60 Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs diskutierten, ruhten viele Blicke auf dem markanten Kopf mit dem weißen Haar in der ersten Reihe.
Dann wurde ein Redepult mit dem Siegel des Vizepräsidenten der USA auf die Bühne gewuchtet. Biden begann mit Botschaften, die Europa gerne hört: Amerika werde den Anteil erneuerbarer Energien verdoppeln, Guantanamo schließen und die Grundrechte von Terrorverdächtigen respektieren. „Wir foltern nicht.“ Mit Iran wolle man verhandeln. Beim Klimaschutz möchten die USA „wieder durch gutes Vorbild führen“.
Der Zauber des Anfangs ist inzwischen verflogen. Beim Klimaschutz haben die USA wenig Fortschritte gemacht. Guantanamo ist nicht geschlossen. Obama lässt mehr Terrorverdächtige per Drohnenbeschuss töten als Bush. Kein Europäer erinnert Biden an die unerfüllten Ankündigungen, als es diesmal Gelegenheit gibt, Fragen zu stellen. Andere Anliegen scheinen viel dringender: der Bürgerkrieg in Syrien und das erneuerte Verhandlungsangebot an Iran.
Freilich gilt das auch umgekehrt: Europa hat wenig getan, um die Erwartungen der USA zu erfüllen. 2009 sprach Biden nach fünf Minuten Nettigkeiten von den Wünschen. „Wir wollen mehr tun, wir wollen uns engagieren, zuhören und Rat einholen. Aber wir werden auch mehr von unseren Partnern fordern.“
2013 sehen die Amerikaner noch mehr Anlass zur Klage, dass die Europäer ihre Nato-Pflichten nicht ernst nehmen und die Verteidigungsbudgets reduzieren, statt die Selbstverpflichtung zu erfüllen, mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts dafür auszugeben. Libyen und Mali gelten als peinliche Beispiele, besonders für Deutschland. Senator John McCain und US-Vizeverteidigungsminister Ashton Carter fordern größere europäische Anstrengungen. Die USA werden ihre Militärausgaben angesichts des Schuldenberges deutlich kürzen müssen und können die Lücken der Europäer bei Technik und Munition nicht mehr ausgleichen. Nach einem Jahrzehnt hoher Ausgaben der USA für ferne Kriegsschauplätze steht „Nationbuilding at home“ an.
Ebenso groß wie die Verunsicherung ist jedoch der Bedarf an positiven Botschaften in diesem Jahr. 2013 richtet sich alle Hoffnung darauf, dass das Treffen in München Anstöße gibt, wie ein Krieg wegen Irans Atomprogramm vermieden und der Bürgerkrieg in Syrien beendet werden kann. Finden die entscheidenden Dialoge womöglich nicht im Konferenzsaal, sondern in den Salons für bilaterale Treffen in den Obergeschossen des Seitenflügels statt? Sie tragen so klangvolle Namen wie „Fürstensalon“, „Salon Montgelas“, „Ministersalon“.
Biden konferiert dort mit einem Repräsentanten der syrischen Opposition, Sheikh Moaz al Khatib, mit dem Syrien- Vermittler der UN, Lakhdar Brahimi, und mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow. Khatib ist zu Verhandlungen mit dem Regime über einen allmählichen Machtwechsel bereit, doch Staatschef Baschar al Assad müsse nach dem Blutvergießen abtreten. Ohne Moskau wird es keinen effektiven Druck auf Syriens Konfliktparteien geben. Was Russland aber konkret als Gegenleistung verlangt – zum Beispiel eine Garantie, dass es seinen Militärstützpunkt in Syrien behalten kann? –, ist auch nach den Gesprächen unklar. Die Verlautbarungen, die das Weiße Haus anschließend an ausgewählte Medien verschickt, bleiben sehr allgemein.
Wieso Amerika die Europäer weiterhin verunsichert
Derweil parken vor dem Seiteneingang des Bayerischen Hofs zwei lang gestreckte Cadillacs mit dem Siegel des Vizepräsidenten, umringt von schwarzen Chevrolet-Geländewagen des Secret Service. Die Personenschützer lassen meist zwei identische Dienstlimousinen im Konvoi fahren, wenn Präsident oder Vizepräsident unterwegs sind, um potenzielle Angreifer zu verunsichern. Ehefrau Jill Biden besucht während der Konferenz US-Truppen in Grafenwöhr. Am Sonntagmorgen sind die Bidens bereits auf dem Weg nach Paris und legen einen Zwischenstopp im Militärhospital Landstuhl in Rheinland-Pfalz ein, wo Verletzte aus dem Einsatz in Afghanistan versorgt werden.
Bidens überwältigendes Bekenntnis zu Europa hat die Europäer ein wenig beruhigt. Sie dürfen sich noch wichtig fühlen. Die generelle Verunsicherung ist damit aber nicht überwunden. Wer wird sich künftig um Konfliktlösung bemühen und Schurkenstaaten entgegentreten, wenn die USA mehr Ressourcen auf die Heimat konzentrieren? „Aufsteigende Nationen“ wie China, Indien, Brasilien wollen nicht einspringen. „Wir sind das größte Entwicklungsland überhaupt“, sagt Chinas Vizeaußenminister Song Tao. Brasiliens Außenminister Antonio Patriota betont: Die alten Mächte bleiben mächtig, sie verlieren nur relativ an Einfluss.
Drei deutsche Reaktionen stechen in München aus den vielfältigen Antworten auf die gefühlte neue Unsicherheit heraus. Auf den Fluren diskutieren Experten, ob man gerade ungewöhnlich viele Krisen und Konflikte erlebe: Die Welt versuche eine Dekade der Kriege in Afghanistan und im Irak zu beenden und zugleich mit Euro, US-Schuldenberg, Umbruch in Arabien, Iran, Mali zurechtzukommen. Ist das die neue Normalität? Es klingt fast wie eine Entschuldigung. Bei der Überforderung sei es kein Wunder, dass Lösungen hinterherhinkten.
Aber stimmt diese Wahrnehmung? Die 1990er Jahre waren auch eine Dekade der Kriege im Irak, auf dem Balkan und im Kaukasus sowie der Finanzkrisen in Asien, Brasilien und Russland. Dennoch gelten sie als Jahrzehnt, an dessen Ende das Krisenmanagement und der Aufschwung triumphierten.
In den Kaffeepausen finden viele einen Appell des deutschen Verteidigungsministers Thomas de Maizière bedenkenswert. Unter Berufung auf ein Bismarck- Zitat „Die Welle trägt, aber sie wird nicht regiert“ empfahl er: „Wir sollten nicht glauben, dass wir alle Entwicklungen überall auf der Welt lenken können. Das dürfen wir auch öffentlich sagen.“
Bayern gibt seine eigene Antwort. In den regionalen Medien dominierte am Wochenende nicht die Sicherheitskonferenz, sondern einer der legendärsten erotischen Exportschlager der USA. Beim Karneval der Landesregierung in Veitshöchheim erschien Markus Söder als Marilyn Monroe – und nicht einmal Seehofer hat ihn auf Anhieb erkannt.