Ferien zu Hause: Berlinerinnen und Berliner, reist in Eure Stadt!
Urlaub zu Hause ist eine seltene Chance für Berlin: Die Hauptstadt braucht einen sanfteren Tourismus. Ein Kommentar.
Und wannsee’n wir uns am Strand? Dieses Jahr verreisen die meisten Berlinerinnen und Berliner ins Ungewisse: vor die eigene Haustür. Denn viele Menschen sind trotz der Lockerungsübungen über den Wolken und an den Ländergrenzen so vernünftig, sich nicht in eine sardinenbüchsenvolle Flugzeugkabine nach Sardinien zu setzen, sondern lieber den Sommer entspannt vor dem eigenen Balkon zu genießen.
Für Berlin ist das eine seltene Chance, sich mal halbwegs in Ruhe selbst neu zu erleben. Und etwas auszuprobieren, was die Stadt von Welt schon länger gut gebrauchen kann: einen sanfteren Tourismus.
Natürlich ist es nicht schade, dass derzeit viele illegale Ferienwohnungen leer stehen und kein Wuchergeld auf Kosten der Mieterinnen und Mieter einbringen. Und ein wenig weniger Ballermann auf überfüllten Wegbierstraßen und durchgegrillten Parkanlagen verschafft etwa Friedrichshain, Kreuzberg und Neukölln eine nötige Durchschnaufpause.
Dennoch braucht Berlin den Tourismus zum Atmen des eigenen Freiheitsversprechens, das es erfolgreich in alle Welt verkauft: 13 Milliarden Euro Umsatz bringt das Gastgewerbe jährlich ein. Gerade Berlins bewegte und bewegende Geschichte, deren Narben von Krieg und Teilung noch im Gesicht der Stadt zu erkennen sind, lockt die Welt an – genauso wie das Erlebnis einer weltoffenen Metropole, die sich auch die Freiheit zum Durchfeiern erkämpft hat (und sie gerade in der Pandemie schmerzlich vermisst).
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Der Fernsehturm und das Berghain prägen als ikonische, instagramtaugliche Symbole das Berliner Lebensgefühl im Ausland inzwischen stärker als die historisch patinierten Sehenswürdigkeiten Reichstag und Brandenburger Tor. Dabei erzählen gerade deren Steine, wie sich durch den Mut vieler Menschen selbst Mauern überwinden lassen.
Es ist gut, wenn sich auch Berlins neue und alte Bewohner dessen wieder erinnern. Und in diesen Sommerferien bewusster an der eigenen Geschichte vorbeispazieren. Mit unserer neuen Tagesspiegel-Serie „Urlaub ganz nah“ machen wir heute einen Anfang.
Berlin hat mehr Brücken als Venedig
Mal rauskommen – das heißt für viele Berlinerinnen und Berliner ja schon: einfach mal das eigene Kiezhausen verlassen. In der feingliedrigen Metropole mit ihren bald 97 Ortsteilen (auch Schlachtensee badet lieber im eigenen Wasser) gibt es viel zu entdecken: grüne Wälder mit waldigen Hügeln, weite Flure mit versteckten Wegen, verwunschene Inseln an romantischen Stegen. Berlin hat mehr Brücken als Venedig, mehr Kirchen als Rom, mehr Parks als alle anderen Großstädte der Welt.
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Gut, dass das den Werbern der Stadt jetzt auch auffällt und sie Gäste aus anderen Bundesländern und aus der Hauptstadt endlich auch in die Außenbezirke zu locken versuchen: zur entspannten Paddeltour in Spandau oder entdeckungsreichen Radrundfahrt auf dem ehemaligen Mauerstreifen. Berlin ist mehr als seine marmorne Mitte und die Summe sehenswürdiger Postkartenmotive.
In den Parks und Gärten blüht auch viel Phantasie. Hinter der speckgürteligen Stadtgrenze warten Berg und Hain bei Sonnenschein. Und wenn’s mal regnet, locken 180 Museen zu Ausflügen hinter die eigenen Horizonte. Oft hat es großer Umbrüche bedurft, damit sich Berlin neu findet und erfindet. Der Sommer der Pandemie kann so ein unverhoffter Aufbruch sein; zur entspannten Entdeckung von uns selbst. Auch Berliner dürfen verliebt sein in Berlin.
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