„Feigheit“ und „Unverschämtheit“: Berlin kommt Polen und Ungarn entgegen – und wird dafür scharf kritisiert
Die EU-Kommission will, dass Ländern bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit schneller Mittel gekürzt werden. Die deutsche Ratspräsidentschaft lehnt das ab.
Im Streit um die geplante Bestrafung von Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit innerhalb der EU hat die deutsche Ratspräsidentschaft mit einem Kompromissvorschlag im Europaparlament für Empörung gesorgt. Abgeordnete bezeichneten den Vorschlag am Montag als Zeichen von „Feigheit und Prinzipienlosigkeit“ und als „Unverschämtheit“.
Die Bundesregierung gehe auf Kuschelkurs zu Ungarns Regierungschef Viktor Orban und zum Vorsitzenden der polnischen Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczynski, kritisierte etwa der Abgeordnete Moritz Körner (FDP). Aus Kreisen der deutschen Ratspräsidentschaft wurde dies zurückgewiesen. Man setze nur um, was die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfel im Juli entschieden hätten.
Der Kompromissvorschlag sieht unter anderem vor, den Geltungsbereich für den sogenannten Rechtsstaatsmechanismus im Vergleich zum Ursprungskonzept deutlich einzuschränken. Kürzungen von EU-Finanzhilfen wären nur nach der Feststellung möglich, dass Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit direkte Auswirkungen auf den Umgang mit Geld der EU haben.
Die EU-Kommission hat eigentlich vorgeschlagen, Strafen schon dann zu ermöglichen, wenn ein Mangel an Rechtsstaatlichkeit die Grundvoraussetzungen für eine wirtschaftliche Haushaltsführung oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union zu beeinträchtigen droht. Dem Kompromisspapier zufolge, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, sollen zudem die Abstimmungshürden für den Beschluss von Strafmaßnahmen erhöht werden.
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Die Kommission will eigentlich, dass ein Vorschlag für Mittelkürzungen als angenommen gilt, wenn der Ministerrat ihn nicht innerhalb eines Monats mit qualifizierter Mehrheit abweist oder verändert. Nun ist vorgesehen, dass über jede Sanktion vor dem Inkrafttreten abgestimmt werden muss und eine qualifizierte Mehrheit notwendig ist.
Qualifizierte Mehrheit bedeutet in der Regel, dass mindestens 15 EU-Staaten zustimmen müssen, die zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der Union ausmachen. Wenn sich Länder ungerecht behandelt fühlen, sollen sie ihre Sicht der Dinge zudem bei einem EU-Gipfel vorbringen können. Mit einer einstimmigen Entscheidung könnten die Gruppe der Staats- und Regierungschefs das Sanktionsverfahren dann stoppen.
Brisant ist das Thema vor allem, weil ohne Einigung auf den Rechtsstaatsmechanismus eine Blockade des langfristigen EU-Haushalts und des europäischen Corona-Konjunkturprogramms droht. Länder wie Polen und Ungarn haben nach Angaben aus EU-Kreisen durchblicken lassen, dass sie Beschlüssen nur zustimmen wollen, wenn der Mechanismus so konstruiert wird, dass er für sie ungefährlich ist. Sie fürchten, dass die Regelung vor allem gegen sie angewandt wird.
Auf der anderen Seite droht das Europaparlament von seinem Veto-Recht Gebrauch zu machen, wenn das neue Instrument zu sehr abgeschwächt wird. Deutschland gehe weiter auf Ungarn zu und lasse sich erpressen, kommentierte der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund.
Deutsche Ratspräsidentschaft ruft zu Kompromissbereitschaft auf
Die Abgeordneten würden vor die Wahl gestellt, entweder zuzustimmen und dafür zu sorgen, dass es durch das Corona-Aufbauprogramm europäische Solidarität gebe – oder aber für den Rechtsstaat einzutreten. „Aber man kann das eine nicht für das andere opfern.“, sagte Freund. Der Vorschlag sei „im Grunde eine Unverschämtheit.“
Aus Kreisen der Ratspräsidentschaft wurde hingegen zu Kompromissbereitschaft aufgerufen. „Wichtig ist, dass sich alle Seiten daran erinnern, was beim Europäischen Rat beschlossen wurde und nicht erneut für das streiten, was bereits damals nicht durchsetzbar war“, hieß es. EU-Diplomaten verwiesen darauf, dass Ungarn und Polen vermutlich trotz der Abschwächung Probleme mit dem Mechanismus haben dürften.
Ein Grund für die Pläne ist, dass sich andere Verfahren als wirkungslos erwiesen haben. So laufen gegen Polen bereits sogenannte Artikel-7-Verfahren der EU, die theoretisch sogar mit einem Entzug von EU-Stimmrechten enden könnten. Sie sind aber wegen großer Abstimmungshürden blockiert. Folge ist, dass Warschau und Budapest bislang kaum etwas unternommen haben, um aus Sicht anderer EU-Staaten gefährliche Entwicklungen im Bereich der Justiz und der Meinungsfreiheit zu stoppen. Zudem sind im Ungarn auch Minderheitenrechte und die Situation von Migranten ein Thema. (dpa)