Silvesterbilanz: Bereitet der Böllerei endlich ein Ende!
Der Deutsche liebt die Sauf-, Ras- und Knallfreiheit. Spaß muss sein, koste es, was es wolle. Warum aus dem Barbar endlich ein Bürger werden muss. Ein Kommentar.
Der Deutsche liebt seine Freiheiten. Ganz oben auf seiner Liste stehen die Sauf-, Ras- und Böllerfreiheit. Ob beim Vatertag, auf den Autobahnen oder an den Tagen rund um Silvester: Deutsch ist, wer Exzessen frönt. Amerikaner dürfen Waffen tragen, wir zum Ausgleich aus allem eine Waffe machen, was keine ist. Aus Alkohol, schnellen Autos, Raketen und Böllern. Und die Politik? Sie nimmt das billigend in Kauf. Sie hat Angst vor dem Furor der Massen, sollte sie Einschränkungen dieser Freiheiten erwägen oder an Gesetzesinitiativen basteln. Das Label „Verbotspartei“ kann, wie das Beispiel der Grünen gelehrt hat, ruf- und imageschädigend sein.
In einem Gastbeitrag für „Zeit“-Online hat Christopher Lauer soeben eine Bilanz der diesjährigen „Böllerfestspiele“ gezogen. Zwei tote Männer in Brandenburg, Amputationen, Hörschäden, Augenlicht-Verlust, allein in Berlin wurden 57 Angriffe auf Polizei und Feuerwehren verübt, 5000 Tonnen Feinstaub gelangten in die Luft, das sind rund 17 Prozent der Menge, die jedes Jahr im Straßenverkehr freigesetzt wird.
Nicht als genaue Größe in der Bilanz enthalten ist das Ausmaß an Tierquälerei für Vögel, Pferde, Katzen und Hunde, an Retraumatisierungsfolgen für Geflüchtete, an Panikattacken für jene, die etwa in Wedding oder Kreuzberg zur falschen Zeit am falschen Ort standen, an Hausbränden und Müllbeseitigung. „Es wäre an der Zeit, das private Böllern zu verbieten oder zumindest deutlich einzuschränken“, schreibt Lauer. Das könne jede Stadt für sich tun, per ordnungsrechtlicher Allgemeinverfügung.
Bereitet diesem Wahnsinn endlich ein Ende! Diese Forderung wird zwar, wie stets, verhallen, dennoch bleibt sie richtig. Nötig ist zweierlei. Zum einen muss auf die Einhaltung bestehender Gesetze gedrungen werden. Schon jetzt heißt es in der Ersten Verordnung zum Sprengstoffgesetz: „Das Abbrennen pyrotechnischer Gegenstände in unmittelbarer Nähe von Kirchen, Krankenhäusern, Kinder- und Altersheimen sowie Reet- und Fachwerkhäusern ist verboten.“ Einige Kommunen haben das Verbot auf die Gegend rund um Flüchtlingsunterkünfte ausgeweitet. Außerdem gelten relativ strenge Böllerzeiten, in der Regel vom 31. Dezember, 18 Uhr, bis 1. Januar, 1 Uhr.
Festlich, fröhlich, friedlich soll es sein
Doch die Einsatzkräfte der Polizei, die in der Silvesternacht ohnehin schon an ihrer Kapazitätsgrenze sind, drücken bei Verstößen oft beide Augen ganz fest zu. Werden aber Gesetzesverstöße nicht mehr geahndet, darf sich keiner darüber wundern, wenn sie sich häufen. Steht der kollektive Spaß wirklich noch in einem vertretbaren Verhältnis zu den absehbaren Kollateralschäden?
Zum anderen muss für bestimmte Delikte das Strafmaß erhöht werden. Einen Böller in eine Menschenmenge zu schmeißen oder in ihr zu zünden, kann ein Akt der gefährlichen oder schweren Körperverletzung sein. Über ein generelles Verbot der privaten Böllerei sollte zumindest nachgedacht werden. Wer das fordert, ist keine Spaßbremse, vielmehr sind die, die sich dagegen wehren, willige Vollstrecker eines allgemeinen Wahnsinns.
Woanders geht’s doch auch. Ob in Paris am Triumphbogen, in London am Riesenrad, in Athen unterhalb der Akropolis, in Sydney auf der Harbour Bridge oder in New York am Times Square: In den meisten Metropolen werden Fest und Feuerwerk von der Stadt organisiert. In Dänemark und Irland sind nur Wunderkerzen und Tischbomben erlaubt. Italien hat die Knallerei in mehr als 850 Städten eingeschränkt oder verboten. In Madrid und Mexiko werden um Mitternacht zwölf Trauben gegessen, jede steht für einen Wunsch fürs Neue Jahr.
Festlich, fröhlich, friedlich – sollte dieser Dreiklang nicht die Triebfeder eines gelingenden Jahreswechsels sein? Wenn nur Korken knallen statt Kracher krachen, und niemand mehr Berlin mit Beirut verwechseln muss, dann, ja dann könnten die Deutschen voll Stolz von sich behaupten, endlich Teil jener zivilisierten Welt zu sein, die noch andere Werte als die Sauf-, Ras- und Böllereifreiheit hat. Als Vorsatz für 2018: Sei kein Knallkopf!