„Schockartig steigende Finanzierungsprobleme“: Berater der Bundesregierung fordern Rente mit 68 Jahren
Experten aus dem Wirtschaftsministerium fordern, das Rentenalter an die Lebenserwartung zu koppeln. Anders könnten Renten zukünftig nicht garantiert werden.
Regierungsberater fordern eine umfassende Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und die Einführung der Rente mit 68. Nach aktueller Rechtslage wird die Altersgrenze für die Rente ohne Abschläge bis zum Jahr 2029 schrittweise von 65 auf 67 Jahre angehoben. Den Experten reicht das nicht.
Ab dem Jahr 2025 drohten „schockartig steigende Finanzierungsprobleme“, heißt es in einem am Montag veröffentlichten Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium. Dann geht nämlich die Generation der Babyboomer in Rente. Schon heute leidet die Rentenversicherung darunter, dass die Geburtenrate niedrig ist, während die Lebenserwartung weiter steigt.
[Jeden Morgen informieren wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, in unserer Morgenlage über die politischen Entscheidungen, Nachrichten und Hintergründe. Zur kostenlosen Anmeldung geht es hier.]
Der Altersquotient, also das Verhältnis der Menschen, die älter als 65 sind, zu den 20- bis 64-Jährigen, werde von derzeit 36 Prozent auf über 58 Prozent im Jahr 2060 steigen, prognostizieren die Wissenschaftler. Würde man an den Stellschrauben der Rentenversicherung – Beitragshöhe, Rentenniveau, Renteneintrittsalter – nichts ändern, ließe sich das Defizit nur durch weiter steigende Bundeszuschüsse decken.
Flossen 2019 bereits 26 Prozent des Bundeshaushalts in die Rentenversicherung, müsste der Anteil 2040 auf über 44 Prozent und bis 2060 auf über 55 Prozent ansteigen. „Das würde den Bundeshaushalt sprengen und wäre auch mit massiven Steuererhöhungen nicht finanzierbar“, warnte der Beiratsvorsitzende Klaus Schmidt.
Neben Corona und der Klimapolitik wird nun auch die Rente zum Wahlkampfthema. Klar ist, dass die neue Bundesregierung das Thema Rentenreform anpacken muss. Denn 2025 laufen politisch wichtige Haltelinien aus. Sie besagen, dass der Rentenbeitrag nicht über 20 Prozent und das Rentenniveau nicht unter 48 Prozent liegen darf.
[Mehr zum Thema: Steuertipps im Alter: Wie sich die Steuererklärung auch für Rentner wirklich lohnt (T+)]
Nach Einschätzung des Beirats haben die rentenpolitischen Maßnahmen der letzten Jahre aber in eine „Sackgasse“ geführt. Dazu zählen die Wissenschaftler auch die „Rente mit 63“, die Erweiterung der Mütter- und die Einführung der Grundrente. Das Bundeswirtschaftsministerium betonte am Dienstag die Unabhängigkeit des Beirats und legte Wert auf die Feststellung, dass sich Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) die Forderungen ausdrücklich nicht zu eigen mache.
Die Menschen beziehen immer länger Rente
Um das System zu reformieren, plädieren die Experten für eine Koppelung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung. Denn die Menschen beziehen im Schnitt immer länger Rente. Waren es 1969 bei Männern noch 10,2 Jahre und bei Frauen 12,5 Jahre, so bekamen 2019 Männer im Schnitt 18,2 und Frauen 21,7 Jahre lang Rente.
[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Der Beirat hält daher die Koppelung des Renteneintrittsalters an die Entwicklung der Lebenserwartung für unumgänglich. „Das geschieht am besten durch eine dynamische Kopplung des Rentenalters an die Lebenserwartung, so dass das Verhältnis der in Arbeit und in Rente verbrachten Lebenszeit konstant bleibt“, sagte der Autor des Gutachtens, Axel Börsch-Supan.
Neben der Rente mit 68 (die wahrscheinlich im Jahr 2042 Realität werden würde) schlagen die Experten zudem vor, Bestandsrenten weniger stark zu erhöhen als neue Renten. Außerdem sollen die Beiträge von Geringverdienern bei der späteren Rente zu Lasten der Gutverdiener aufgewertet werden.
Während der Beirat ein düsteres Szenario für Rente malt, macht eine weitere Studie vor allem älteren Arbeitnehmern Hoffnung: Beschäftigte zwischen 50 und 64 Jahren müssen durch den coronabedingten Wirtschaftseinbruch kaum mit Nachteilen bei der Rente rechnen, hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung für die Hans-Böckler-Stiftung ausgerechnet. Der Grund: Bei Kurzarbeit und kürzerer Arbeitslosigkeit werden Rentenbeiträge für 80 Prozent des ausgefallenen Verdienstes gezahlt.