Tunesien: Béji Caïd Essebsi gewinnt Präsidentschaftswahlen
Der anti-islamistische Béji Caïd Essebsi hat die ersten freien Präsidentschaftswahlen in Tunesien seit der Unabhängigkeit 1956 im zweiten Wahlgang gewonnen. Das Land steht vor großen Herausforderungen.
Seine Anhänger feierten die ganze Nacht. „Beji Präsident, Beji Präsident“, skandierten sie, bis der 88-Jährige schließlich auf dem Balkon der Parteizentrale von „Nidaa Tounes“ erschien. „Heute hat Tunesien gewonnen, heute hat die Demokratie gewonnen“, rief Beji Caid Essebsi der jubelnden Menge zu. Nach dem offiziellen Endergebnis gewann der betagte Politik-Veteran die Stichwahl vom Sonntag mit 55,68 Prozent der Stimmen und ist nun der erste direkt und demokratisch gewählte Präsident in der Geschichte Tunesiens. Gegner Moncef Marzouki, bislang Interimspräsident, räumte am Abend seine Niederlage ein. Trotzdem kam es in mehreren Teilen des Landes zu Straßenschlachten zwischen dessen Anhängern und der Polizei. Die Beteiligung lag nach Angaben der Hohen Wahlkommission bei 59,0 Prozent.
Im Oktober hatte Essebsi bereits seine 2012 gegründete Partei Nidaa Tounes bei den ersten regulären Parlamentswahlen zum Sieg geführt. Mit 85 der 217 Abgeordneten stellt Nidaa Tounes in der neuen Volksvertretung die stärkste Fraktion, die damit auch den nächsten Premierminister nominiert. Ihr Hauptrivale, die islamistische Muslimbruderschaft Ennahda, landete mit 69 Mandaten auf Rang zwei. Ob es zu einer großen Koalition der beiden politischen Lager kommt, ist noch offen. Denn anders als Parteichef Essebsi befürworten starke Kreise von Nidaa Tounes eine Politik der Konfrontation gegen Ennahda. Die Partei ist ein heterogenes Sammelbecken von säkularen Intellektuellen und Geschäftsleuten, alten Regimeanhängern, enttäuschten Linken und eingeschworenen Islamisten-Gegnern.
Gewaltige nationale Aufgaben
Essebsi, der am Ende seiner Amtszeit 93 Jahre alt sein wird, stammt aus einer Notablenfamilie und wurde am 29. November 1926 in Tunis geboren. Nach dem Abitur studierte er Rechtswissenschaften in Paris. Drei Jahrzehnte lang mischte der Jurist im Zentrum der tunesischen Politik unter anderem als Innen-, Außen- und Verteidigungsminister mit. Dann ging er als tunesischer Botschafter nach Frankreich und Deutschland. 1990 und 1991, zu Beginn der Epoche von Diktator Zine el-Abidine Ben Ali, amtierte Essebsi als Parlamentspräsident, bevor er drei Jahre später aus der Politik ausschied und nur noch als Anwalt arbeitete. „Ich bin stets ein freier und unabhängiger Mann geblieben“, charakterisierte der Vater zweier Söhne und zweier Töchter rückblickend seine Jahre unter der Diktatur. Mit dem Arabischen Frühling feierte der Politiker dann ein ungewöhnliches Comeback. Sechs Wochen nach dem Sturz von Ben Ali übernahm Essebsi das Amt des Regierungschefs und organisierte im November 2011 die Wahl von Übergangsparlament und Verfassungsgebender Versammlung.
Der neue Staatschef und das neue Parlament stehen nun vor gewaltigen nationalen Aufgaben. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei 15 Prozent, unter jungen Akademikern mehr als doppelt so hoch. Die Tourismusbranche kommt nicht auf die Beine und die Sicherheitslage im Land hat sich in den letzten anderthalb Jahren deutlich verschlechtert. „Die Zeichen für die Zukunft Tunesiens stehen positiv – anders als unserer politischen Gegner behaupten“, versuchte Essebsi am Montag bereits die Bevölkerung zu beruhigen. Er widme seinen Sieg den Märtyrern Tunesiens und danke auch seinem Kontrahenten Moncef Marzouki. „Wir müssen nun zusammenarbeiten“, umwarb er den Verlierer – „zum Wohle Tunesiens“.