Asyl in Deutschland: Bei der Debatte über sichere Herkunftsländer gibt es nur Verlierer
Mit der Definition von "sicheren Herkunftsländern" will die Bundesregierung Kategorien der Dringlichkeit aufstellen. Ohne moralische Schuld kommt hier niemand davon. Ein Kommentar.
Wer in der Politik Probleme lösen will, tut gut daran, nicht durch überspitzte Formulierungen jeden Lösungsansatz zu zerstören. Das gilt besonders dann, wenn grundsätzliche ethische und moralische Fragen des Zusammenlebens tangiert sind. Genau darum aber geht es, wenn entschieden werden muss, wie viele Flüchtlinge Deutschland aufnehmen kann und wer schon deshalb mit Vorrang Asyl erhalten muss, weil die Gefährdung in seinem Heimatland besonders groß ist. Die normative Festlegung, die Gewährung von Asyl dürfe keinesfalls an quantitative Überlegungen gebunden sein, entspringt sicherlich einer hohen humanitären Selbstverpflichtung, aber sie geht an der Realität vorbei. Tatsächlich kann kein Land der Welt alle Menschen auf der Suche nach Frieden, Sicherheit und Wohlstand aufnehmen, so berechtigt jeder einzelne Wunsch danach auch sein mag.
Angesichts der Größe der Herausforderung wirkt die Frage klein, in der der Bundesrat in der nächsten Woche entscheiden muss: Folgt er dem Antrag der Bundesregierung, die Maghrebstaaten Tunesien, Marokko und Algerien zu sicheren Herkunftsländern zu erklären, oder lehnt die Länderkammer das ab, weil die unter grüner Beteiligung regierten Bundesländer ihre Zustimmung verweigern? Wenn der Fraktionschef der Unionsparteien im Bundestag, Volker Kauder, jetzt kurz und knapp fordert: „Die Grünen sollen zur Vernunft kommen!“ und Gerda Hasselfeldt von der CSU warnt, die Grünen sollten die Lage nicht zu Profilierungsversuchen missbrauchen, verschieben beide eine schwerwiegende Gewissensentscheidung auf eine sehr flache Ebene. Sie reden so, obwohl sich beide, immer wieder bezeugt, an ein christliches Menschenbild gebunden fühlen.
Die Definition "sicheres Herkunftsland" ist oftmals eine Krücke"
Tatsächlich sind sowohl im Falle der Maghrebstaaten als auch bei den Ländern des westlichen Balkans, die bereits den Status „sicheres Herkunftsland“ bekamen, Zweifel an der Zuschreibung der damit verbundenen oder erwarteten Staatseigenschaften geboten. Gleiches gilt auch für die Türkei. Über die Situation in Tunesien, Algerien und Marokko sagt die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, GIZ, in diesen Ländern bestünden „erhebliche demokratische und rechtsstaatliche Defizite“. Grundlegende Reformprozesse seien „entweder nicht möglich oder nicht erfolgreich“.
Das Beispiel zeigt, dass die Definition „sicheres Herkunftsland“ in vielen Fällen nichts als eine Krücke ist, mit der die Bundesregierung hofft, über tatsächliche Bedenken an ebendieser Sicherheit hinweghumpeln zu können, denn angesichts einer nicht zu bewältigenden Gesamtzahl potenzieller Asylbewerber glaubt sie Kategorien der Dringlichkeit aufstellen zu müssen. Die Grünen dürfen an dieser Konstruktion mit guten Gründen zweifeln – andere Parteien tun das ja auch.
Ob man sich der Krücke bedient oder sie als untauglich ablehnt, entscheidet eher darüber, in welchem Ausmaß man sich schuldig machen will – denn ohne moralische Beschädigung kann niemand diesem tatsächlichen Dilemma entrinnen. Wer will, dass Asylbewerber aus Syrien, Irak oder Afghanistan eine reelle Chance erhalten, bis zum Ende des Bürgerkriegs in ihrer Heimat in Deutschland bleiben zu können, muss Menschen zurückweisen, deren persönliche Gefährdung in ihren Herkunftsländern weit geringer ist. Wer alle kommen lässt, überfordert die Bürger des eigenen Landes.