Übergriffe in Köln: Bei den Frauen bleibt die Angst
Absolute Sicherheit gibt es nicht, bisher aber gab es eine gefühlte. Doch nach den Ereignissen von Köln ist alles anders - und persönliche Freiheit verloren gegangen. Ein Kommentar.
Einer Horde Männer ausgeliefert sein, von ihnen mit brutaler Körperlichkeit, mit schwitziger, enthemmter Überlegenheit gedemütigt und verletzt werden. Weil sie es können. Und wollen. Es ist eine Urangst von Frauen. Ein Szenario, vor dem es keine absolute Sicherheit gibt. Bis zur Silvesternacht aber gab es eine gefühlte.
Wo viele andere Menschen sind, wo geschäftiges Treiben herrscht, wird dies nicht passieren. Wo Polizisten ansprechbar sind, im Dienst, um Menschen zu schützen, wird dies nicht passieren. Wo der eigene Mann, der eigene Lebenspartner, die besten Freundinnen dabei sind, wird dies nicht passieren.
Oder doch? In Köln ist es trotzdem passiert. Die Staatsmacht, sie war da – aber völlig machtlos. Die Öffentlichkeit, sie war da – aber völlig hilflos. Niemand hat die Frauen schützen können. Dabei hätte das der Polizei gelingen müssen. Es war kein Augenblicksversagen, kein Fehlen von Zivilcourage. Dass ein Mensch in der Öffentlichkeit Opfer einer Gewalttat wird und Zeugen vor Schock verstummen, nicht den Mut haben einzugreifen, ist als Phänomen bekannt. Dass in einer deutschen Innenstadt über Stunden hinweg in aller Öffentlichkeit ein Ausbruch sexualisierter Gewalt stattfindet, den niemand effektiv stoppt, war es bisher nicht.
Zurück bleiben Opfer, die im Innersten getroffen wurden und vermutlich vielfach traumatisiert sind. Zurück bleibt auch eine sehr persönliche Verunsicherung, eine tiefe Beklommenheit bei vielen Frauen und Mädchen. Sie haben die Geschehnisse nicht miterlebt. Dennoch fragen sie sich: Bin ich sicher? Wie kann ich mich schützen?
Auch Männer sind letztlich Opfer der Gewalttäter
Frauen sind es gewohnt, ihre Freiheit zugunsten der Sicherheit selbst zu beschneiden. Eine Abkürzung durch den dunklen Park? Besser nicht. Selbst wenn die Statistik etwas anderes sagt, nämlich dass Täter meist nicht hinter einem Busch, sondern in der Familie und dem Freundeskreis des Opfers lauern. Per Anhalter nach Hause? Eher nicht. Plötzlich stellen sich derartige Fragen viel häufiger und viel dringlicher.
Dabei treffen die Geschehnisse nicht nur Frauen. Sie treffen auch Männer, die sich als Väter, Brüder, Ehemänner oder Freunde Sorgen machen. Und sie treffen Männer, die nach Deutschland geflohen sind und hier friedlich leben wollen. Auch wenn die gründliche Aufklärung der Ereignisse in Köln und anderswo gerade erst begonnen hat: Den Geflohenen wird mit wachsendem Misstrauen begegnet. So werden auch sie zu Opfern der Gewalttäter.
Gleichzeitig wird die Frage, ob viele Flüchtlinge unter den Verdächtigen sind, werden die Herkunft und der kulturelle Hintergrund der mutmaßlichen Täter breit diskutiert – und zwar zu Recht. Welche Schlüsse daraus für die deutsche Flüchtlingspolitik zu ziehen sind, wird die nächste Frage sein. Doch wenn der letzte Aktendeckel geschlossen, der letzte deutsche Täter inhaftiert und der letzte ausländische Täter abgeschoben ist, dann wird womöglich eines übrig bleiben: die Angst.
Die Polizeiführung in Köln wie in anderen Städten muss glaubhaft machen, dass sie aus den Ereignissen lernt, dass sie alles tut, um eine Wiederholung zu verhindern. Dennoch: Für viele Frauen ist der Raum, in dem sie das eigene Dasein als sicher empfinden, schlagartig kleiner geworden. Es ist ein Verlust an Sicherheit und zugleich an Freiheit.