UN-Klimagipfel in Paris: Befreiung der Wirtschaft von Kohlendioxid
16 Forscherteams erkunden Wege, wie Ökonomien sich klimaverträglich verändern können. Ihr wichtigstes Ergebnis: Das kostet weniger als sie erwartet hätten.
„Physikalisch ist es nicht zu spät“, sagt der Physikprofessor Anders Levermann vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK). „Das Zwei-Grad-Ziel ist noch zu erreichen, aber: Wir müssen jetzt anfangen“, sagte er bei einer Vor-Konferenz zum Klimagipfel in Paris, der an diesem Montag beginnt. Allerdings hätte die Welt es einfacher haben können, findet Jennifer Morgan, Klimaexpertin des World Resouces Institutes (WRI) in Washington. Der Klimaökonom Nikolas Stern hatte schon 2007 in seinem ersten Report über die Ökonomie des Klimawandels vorgerechnet, dass der klimaverträgliche Umbau der Weltwirtschaft mit jedem Jahr Untätigkeit teurer wird.
Mit dem Neuen Klimaökonomie Report, den Stern und andere in diesem Jahr vorgelegt hat, rechnet er vor, dass mit Energieinvestitionen von rund einer Billion Dollar im Jahr die globale Energiewende finanzierbar wäre. Die Tatsache, dass die chinesische Volkswirtschaft 2014 um drei Prozentpunkte gewachsen ist, und die Treibhausgasemissionen auf dem Niveau von 2013 geblieben sind, wertet der Bericht als Indiz dafür, dass dieser Umbau im Gang ist. Mit Blick auf China betont Jennifer Morgan den Zusatznutzen von Klimapolitik für die Luftqualität und damit die Gesundheit. Mit einer starken Klimapolitik ließen sich „wirtschaftliche und ökologische Ziele erreichen“.
In Afrika dagegen ist die wichtigste Aufgabe, rund 621 Millionen Menschen überhaupt erst einmal mit Strom zu versorgen. Gleichzeitig sterben auf dem Nachbarkontinent jährlich rund 600 000 Menschen an der Luftverschmutzung in Innenräumen, weil dort auf offenem Feuer gekocht wird. Kamine gibt es in der Regel nicht. Da würde es in der Regenzeit sturzbachartig reinregnen. In den mit Energie unterversorgten Regionen gehe es darum, gar nicht erst in eine klimaschädliche Infrastruktur wie Kohlekraftwerke zu investieren, sondern gleich in moderne erneuerbare Energien, die vom Preis her inzwischen ohnehin unschlagbar billig geworden sind.
Ziel: Die Weltwirtschaft zu "dekarbonisieren"
Beim Gipfel der sieben mächtigsten Industrienationen G 7 in Elmau ist es Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gelungen, in der Abschlusserklärung die Formel unterzubringen, dass sich die G 7 zum Ziel setzen, die Weltwirtschaft bis „zum Ende des Jahrhunderts“ zu „dekarbonisieren“. Deutschland und Frankreich, das als Gastgeberland des Gipfels die Verhandlungen führt, wollen im neuen Klimavertrag ein solches Langfristziel unterbringen. Die Investoren bräuchten eine langfristige Orientierung. Allerdings gibt es gegen dieses Ziel in den Verhandlungsdelegationen noch viel Widerstand.
Es gibt aber auch volkswirtschaftliche Gründe, die Dekarbonisierung – die Befreiung der Weltwirtschaft vom fossilen CO2 – sofort in Gang zu setzen. Der Potsdamer Klimaökonom Ottmar Edenhofer (PIK), der auch an der Technischen Universität Berlin lehrt, hat nachgerechnet, dass eine Entwicklung der globalen Temperaturen in Richtung drei Grad Erwärmung seit Beginn der Industrialisierung in etwa die gleichen politischen Instrumente braucht, wie eine Politik, die die globale Erwärmung unter zwei Grad hält. Auch für eine Drei-Grad-Welt brauche es eine aktive Klimapolitik, sinkende Treibhausgasemissionen und den massenhaften Einsatz erneuerbarer Energien. Was also hindert die Gesellschaften, gleich auf eine Zwei-Grad-Welt einzubiegen?
Kohle, Öl und Gas sollen nicht mehr genutzt werden
Dieser Frage ist ein Forschungsprojekt nachgegangen, das seit 2013 insgesamt 16 Forschergruppen aus ebensovielen großen Volkswirtschaften zusammengebracht hat. Das Pariser Institut für nachhaltige Entwicklung und internationale Beziehungen (IDDRI) und das Netzwerk für nachhaltige Lösungen (SDSN) der Vereinten Nationen haben vor wenigen Tagen einen Synthesebericht darüber veröffentlicht. Die Länderberichte gehen der Frage nach, wie die großen Volkswirtschaften auf die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas verzichten können, oder wie zumindest verhindert werden kann, dass diese Emissionen in die Atmosphäre gelangen. Teresa Ribera, die frühere Klimaverhandlerin Spaniens, die inzwischen das IDDRI leitet, und Guido Schmidt-Traub vom SDSN haben bewusst nach regierungsnahen Denkfabriken gesucht, die nicht nur klimapolitisch Wünschenswertes sondern auch politisch Denkbares aufgeschrieben haben. „Wir müssen Dekarbonisieren. Das ist unsre Pflicht“, sagte Teresa Ribera bei einem Presseworkshop in Paris. Es gehe nicht mehr um das Ob sondern nur noch um das Wie.
Die 16 Länderteams haben selbst einen „Mini-Klimagipfel“ veranstalten müssen, bevor sie bereit waren, sich einander anzunähern, ihre nationale Brille abzusetzen, und die „Herausforderungen und Bedenken“ der jeweils anderen zu verstehen. Das habe zu einem neuen „Vertrauen“ geführt, berichtet Ribera. Also die Ressource, von der es bei Klimaverhandlungen oft nicht genug gibt. Das wichtigste Ergebnis der Übung: Alle 16 Länder, darunter Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien, aber auch die USA, China, Indien, Indonesien, Brasilien, Japan und Russland, können ihre Volkswirtschaften auch ohne Kohlendioxid-Emissionen organisieren. Und die Kosten dafür sind überschaubar. Wird in eine erneuerbare Infrastruktur investiert statt in eine klimaschädliche, liegen die zusätzlichen Kosten zwischen einem und fünf Prozent, sagte die Autoren.
Alle Länder brauchen für eine Dekarbonisierungsstrategie „eine langfristige politische Orientierung, die auch kurzfristige Entscheidungen bestimmt“, sagt Michel Colombier vom IDDRI. Die notwendigen Veränderungen sind „fundamental“, sagt Colombier. Die Schwierigkeit bestehe darin, die eher langsamen gesellschaftlichen, politischen und sozialen Veränderungen in einer für die Lösung des ökologischen Problems notwendigen Geschwindigkeit zustande zu bringen. Für das Deep Decarbonization Pathway Project (DDPP), die Suche nach Wegen zu einer tiefgreifenden Dekarbonisierung, haben sich die Forscher vom Jahr 2050 aus rückwärts in die Gegenwart gearbeitet. Bis Mitte des Jahrhunderts könnten alle Staaten bei einem jährlichen Pro-Kopf-Ausstoß von CO2 unterhalb von zwei Tonnen angekommen sein. Das entspricht einer nahezu gleichen Verteilung des nach Einschätzung des Weltklimarats noch vorhandenen CO2-Budgets für eine Zwei- Grad-Welt. „Das Ziel ist erreichbar“, sagt der Amerikaner Jim Williams vom SDSN. Die 16 an der Studie beteiligten Länder sind für 75 Prozent der Treibhausgasemissionen der Welt verantwortlich.
Energiesysteme stehen im Mittelpunkt
Alle Forscherteams haben sich vor allem auf die Energiesysteme konzentriert. Dabei geht es nicht nur um die Stromversorgung sondern auch um Heizung und Kühlung in Häusern sowie Energie für die Mobilität. Fast alle halten eine weitgehende Elektrifizierung für einen klimaverträglichen Pfad. Am schwersten dürfte Russland die Veränderung zu einer klimafreundlichen Wirtschaft fallen. Georges Safonov von der Hochschule für Wirtschaft in Moskau weist darauf hin, dass Russlands Haushalt zu 75 Prozent mit Einnahmen aus dem Öl- und Gasexport gefüllt wird. Eine Zukunft ganz ohne Exporte fossiler Brennstoffe kann sich Safonov bisher noch nicht vorstellen. 1990 trug der Ölexport rund 17 Prozent zum Wirtschaftsleistung Russlands bei, 2014 waren es nach Safonovs Angaben 60 Prozent. „2040 müsste Russland Gas importieren, um seinen Export auf dem heutigen Niveau fortzusetzen“, rechnet er vor.
Russland hat aber auch ein enormes Potenzial für Verbesserungen. An einem kleinen Beispiel erzählt Safonov, woran es in Russland hakt. In einer Schule ist er auf einen Warmwasserboiler gestoßen, der 40 Jahre alt ist. „Tausende Schulen haben genau den gleichen ineffizienten Boiler“, sagt er. Ein moderner Boiler könnte mit 66 Prozent weniger Energie auskommen, ein Austausch der vielen Tausend Boiler in Schulen würde den Kohlebedarf beträchtlich senken. Angesichts des niedrigen Ölpreises tut Russland sich zudem schwer mit den Investitionen in die weitere Förderung. Die billig zu fördernden Öl- und Gasquellen sind schon weitgehend ausgebeutet. Höhere Förderkosten werden aber mit den aktuell niedrigen Preisen nicht erwirtschaftet. Ein Problem, das Russland mit Kanada verbindet, dessen extrem klimaschädliche Ölsand-Förderung unterhalb eines Ölpreises von 80 Dollar einfach nicht wirtschaftlich zu betreiben ist.
Kohlendioxid-Einlagerung als neues Geschäftsfeld?
Kanada hat aber nicht nur Ölsand. Kanada hat auch Land und ein relativ hohes Potenzial für Biomasse. Chris Bataille vom Navius-Research-Institut sieht für Kanada aber gute Möglichkeiten als Speicherland für CO2. Das in Deutschland extrem verpönte Verpressen von Kohlendioxid in bestimmte unterirdische Gesteinsschichten, um das Klimagas nicht in die Atmosphäre gelangen zu lassen, ist aus Batailles Sicht sogar eine mögliche Dienstleistung, die Kanada für andere Staaten erbringen kann.
Australien, ebenfalls ein stark von fossilen Ressourcen lebendes Land, tut sich mit der Veränderung leichter. Australien ist derzeit der wichtigste Kohleexporteur der Welt. Aber Amandine Denis von Climate-Works hat ausgerechnet, dass Australiens Exportkohle lediglich zwischen einem und fünf Prozent zum Budget des Landes beiträgt. Denis berichtet, dass Australien statt Kohle auch Uran für die Atomindustrie und seltene Erden für die neuen Energie- und Informationstechniken exportieren könnte, ohne große volkswirtschaftliche Verluste zu erleiden.
Ausbau erneuerbarer Energien schreitet rasant voran
In den USA hat der dramatische Preisverfall für Solaranlagen und Windräder dazu geführt, dass der Ausbau erneuerbarer Energien trotz Fracking-Booms rasant vorangeht. In den USA sei die Energiewende „vor allem technologiegetrieben“, sagte der Leiter Energiewirtschaft beim Beratungsunternehmen PWC, Norbert Schwieters, in Berlin. Schwieters stellte eine Delphi-Studie zur Energiezukunft vor, die PWC im Auftrag des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) und der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) erarbeitet hatte. Dazu hat PWC weltweit rund 350 Energiefachleute zu ihren Einschätzungen der Energiezukunft befragt. Aber auch bei der Delphi-Studie ergab sich die Einschätzung, dass bis 2040 die Energiewende endgültig zu einer internationalen Entwicklung geworden sein dürfte. Erneuerbare Energien sind schon heute weltweit das bessere Geschäft, wie die Investitionszahlen des UN-Umweltprogramms Unep zeigen. Seit mehreren Jahren wird jedes Jahr mehr Geld in den Aufbau erneuerbarer Energien als konventioneller Kraftwerke gesteckt.
Die Autorin hielt sich auf Einladung des DDPP vor kurzem in Paris auf.
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