zum Hauptinhalt
Kurdische Jesiden demonstrieren am 25.10.2014 in Oldenburg gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS).
© Ingo Wagner/dpa

Neuer Grünen-Vorstoß: Baerbock will nötigenfalls Bundestagsabstimmung über Aufnahme von Jesidinnen

Grünen-Chefin Baerbock will mehrere Hundert verfolgte Jesidinnen nach Deutschland holen. Gegebenenfalls plant sie eine Initiative im Parlament.

Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock will den Bundestag über das Schicksal einiger hundert jesidischer Frauen und Kinder aus dem Irak entscheiden lassen, sollte die Bundesregierung diese Menschen nicht im Rahmen eines Sonderkontingents nach Deutschland holen. „Wir werden noch einmal auf das Innenministerium zugehen. Und wenn von der Bundesregierung dann nichts kommt, unsere Initiative in den Bundestag einbringen“, betonte die Parteichefin. „Dann wird es auf jede Stimme ankommen, um eine Mehrheit dafür zu bekommen.“

Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hatte im August 2014 im Nordirak mehr als 10.000 Jesiden im Sindschar-Gebirge eingekesselt. Tausende Mitglieder der religiösen Minderheit wurden getötet, viele Frauen und Kinder wurden gefangen genommen und versklavt. Die jesidische Gemeinschaft grenzt die damals vergewaltigten Frauen und die so gezeugten Kinder aus.

Die Jesiden gehören zur Volksgruppe der Kurden. Sie sind jedoch keine Muslime, sondern bilden eine eigene Religionsgemeinschaft. Weltweit bekennen sich mindestens 800.000 Menschen zum jesidischen Glauben. Die Heimat der meisten Jesiden ist der Nordirak. Dort befindet sich nördlich der Millionenstadt Mossul auch ihr religiöses Heiligtum, Lalisch.

„Es handelt sich um besonders schutzbedürftige Frauen und Kinder“, sagte Baerbock. Nach ihren Worten geht es um „wenige Hundert Frauen“, denen man einen Ausweg aus einer Zwangslage bieten wolle. Für das Anliegen hatten sich auch der frühere Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) und Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) eingesetzt.

Woran glauben Jesiden?

Das Jesidentum ist eine monotheistische Religion, deren Wurzeln bis 2.000 Jahre vor Christus zurückreichen. Sie nahm Glaubenselemente, Riten und Gebräuche westiranischer und altmesopotamischer Religionen sowie von Juden, Christen und Muslimen auf. Jeside wird man ausschließlich durch Geburt, beide Elternteile müssen der Religionsgemeinschaft angehören. Niemand kann übertreten oder bekehrt werden. Bei Ehen mit Nicht-Jesiden verlieren Gläubige ihre Religionszugehörigkeit.

Wie ist die Situation der Jesiden im Irak?

Jesiden werden immer wieder verfolgt und diskriminiert. Fanatische Muslime sehen die Gemeinschaft als Sekte und die Mitglieder als „Teufelsanbeter“ an, weil in der jesidischen Religion der „Engel Pfau“ (Melek Taus) eine bedeutende Rolle spielt. Er wird im Koran als gefallener Engel bezeichnet. Die brutale Gewalt der sunnitischen Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) gegen Jesiden im Nordirak löste 2014 weltweit Entsetzen aus. Hunderttausende flohen damals in die kurdischen Autonomiegebiete - wo viele bis heute in Flüchtlingslagern leben. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte wirft dem IS Völkermord an den Jesiden vor. Tausende Frauen und Mädchen wurden als Sexsklavinnen verschleppt.

Wie kam Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad nach Deutschland?

Vier Bundesländer haben bislang vor allem Jesidinnen über Härtefall-Aufnahmeprogramme nach Deutschland geholt. Baden-Württemberg nahm 2015 und 2016 mehr als 1.000 Angehörige der religiösen Minderheit auf - unter ihnen Nadia Murad, die 2018 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.

Folgen andere Bundesländer dem Beispiel Baden-Württembergs?

Niedersachsen nahm parallel dazu knapp 70 Menschen auf und Schleswig-Holstein mehr als 30. Brandenburg plant, mehr als 70 Jesiden über ein solches Programm aufzunehmen - 60 sind bis Mitte Dezember angekommen. In diesem Fall richtet sich das Programm an ganze Familien, nicht nur an Frauen und Kinder. Andere kamen über generelle Umsiedlungsprogramme (Resettlement) oder über Familienzusammenführungen in die Bundesrepublik. Schätzungen zufolge leben mehr als 200.000 Jesiden in Deutschland - es ist die größte Gemeinde außerhalb des Iraks. (dpa, KNA, epd)

Zur Startseite