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Ein Wahlprogramm haben sie, die Spitzenkandidatur müssen Annalena Baerbock und Robert Habeck noch klären.
© Kay Nietfeld/dpa

Diesmal kein übliches Wahlprogramm: Die Grünen wollen nicht mehr nur eine Nische ansprechen

Die Grünen formulieren in ihrem Wahlprogramm Ideen und Führungsanspruch für eine neue Politik. Doch für die Umsetzung fehlen Geld und Verbündete. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Felix Hackenbruch

Die Bühne ist wie immer. Grüne Wand, gelbe Sonnenblumen, davor zwei Parteivorsitzende. Doch was die Grünen-Chefs Annalena Baerbock und Robert Habeck am Freitag präsentieren, ist mehr als nur das übliche Wahlprogramm.

Nach 16 Jahren in der Opposition wollen die Grünen nicht nur in die Regierung, sie wollen sie anführen. Die 137 eng beschriebenen Seiten untermauern den Führungsanspruch, die Partei will nicht mehr nur eine Nische der Gesellschaft ansprechen will.

Natürlich steht der Kampf gegen den Klimawandel im Zentrum der Überlegungen der Ökopartei. Man stehe vor einer „sozial-ökologischen Transformation“, heißt es in dem Entwurf, den die Basis noch absegnen muss. Doch wo sich früher Fahrverbote, Forderungen nach absurd teurem Benzin und einem Veggie-Day reihten, versucht es die Partei mit neuen Tönen.

„Wir begreifen es als unsere Aufgabe, bessere Regeln zu schaffen, nicht den besseren Menschen.“ Klimaschutz ist nicht mehr Privatsache, sondern Gesellschaftsaufgabe. Dafür wollen die Grünen viel Geld in die Hand nehmen. 50 Milliarden Investitionen zusätzlich – pro Jahr. Für Forschung, Verkehrsinfrastruktur, die karbonfreie Wirtschaft, Gebäudesanierung, Sozialausgaben und den Breitbandausbau.

Auch Transformationsfonds für besonders schädliche Branchen, wie die Automobil- und Stahlindustrie, will die Partei. Akteure, von deren Lebensrealität die Grünen früher weit entfernt waren.

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Dahinter steht die Vision einer neuen Politik des Zuhörens und einer Abkehr nach 16 Jahren Angela Merkel. „Reaktive Politik hat die letzten Jahre über das Schlimmste verhindert. Aber es geht darum, das Beste zu ermöglichen“, heißt einleitend.

Die Grünen wollen die Zukunft gestalten, statt den Status Quo zu verwalten. In einem Land, das sich in der Pandemie seit Monaten im Stillstand befindet, wo das Impfen unerträglich langsam vorankommt, wo sich Abgeordnete mit unmoralischen Maskendeals bereichern und selbst gegen Corona-Auflagen verstoßen – da klingt dies wie eine Utopie.

Die könnte es auch bleiben, denn für all ihre Pläne brauchen die Grünen richtig viel Geld. Aus einer Vermögenssteuer ab zwei Millionen Euro, einem leicht erhöhten Spitzensteuersatz und dem konsequenten Kampf gegen Steuerhinterziehung wird sich das nicht allein finanzieren lassen. Die Schuldenbremse müsse „zeitgemäß“ gestaltet werden, heißt es.

Für diese Grundgesetzänderung bräuchte es eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament. Wo die herkommen soll, bleibt unklar. Das weiß auch die Parteispitze, im Nachwort steht: „Wir können nicht versprechen, dass nach Corona jedes unserer Projekte noch finanzierbar ist. Niemand kennt alle Bedingungen der Zukunft.“ Auch das klingt neu.

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