Generaldebatte im Bundestag: Baerbock bestätigt weitere Raketenlieferungen an die Ukraine
Die Außenministerin und der Kanzler sichern im Bundestag der Ukraine Solidarität zu. Scholz betont aber auch: „Die Nato wird nicht Kriegspartei.“
Deutschland liefert nach Angaben von Außenministerin Annalena Baerbock derzeit weitere Luftabwehrraketen vom Typ Strela an die Ukraine. „Die weiteren Strela-Lieferungen sind auf dem Weg“, sagte die Grünen-Politikerin am Mittwoch in der ersten Generaldebatte des Bundestags seit dem Regierungswechsel. Die Ukraine hat bisher von Deutschland 500 Strela-Luftabwehrraketen erhalten. Baerbock betonte nun: „Wir sind einer der größten Waffenlieferer in dieser Situation. Das ist nichts, was uns stolz macht, sondern das ist das, was wir jetzt tun müssen, um der Ukraine zu helfen.“
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Die „Bild“-Zeitung hatte zuvor gemeldet, Deutschland wolle nun doch nahezu alle der Anfang März in Aussicht gestellten 2700 Strela-Systeme an die Ukraine liefern. Darauf habe sich der Bundessicherheitsrat verständigt, meldete das Blatt unter Berufung auf informierte Kreise.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte der Ukraine zuvor die Solidarität Deutschlands zugesagt. „Präsident Selenskyj, die Ukraine kann sich auf unsere Hilfe verlassen“, sagte er. Er betonte aber auch: „So schwer es fällt, wir werden den Forderungen nach einer Flugverbotszone nicht nachgeben. Die Nato wird nicht Kriegspartei.“ Darin sei man sich mit den Verbündeten einig.
„Die Waffen müssen schweigen – und zwar sofort“, sagte Scholz. Er habe sich immer wieder mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj über die nächsten Schritte ausgetauscht, und auch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin habe er in den vergangenen Tagen oft lange und intensiv gesprochen. „Putin muss die Wahrheit hören über den Krieg in der Ukraine“, sagte Scholz. „Und diese Wahrheit lautet: Der Krieg zerstört die Ukraine. Aber mit dem Krieg zerstört Putin auch Russlands Zukunft.“
Scholz versicherte: „Wir werden nichts unversucht lassen, bis wieder Frieden herrscht auf unserem Kontinent.“ Ob die laufenden Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zum Erfolg führen, könne niemand sagen. Klar sei, dass über die Ukraine die Ukrainerinnen und Ukrainer verhandelten – „und niemand sonst“. Was Deutschland zur Unterstützung der Ukraine bei der Suche nach einer politischen Lösung beitragen könne, „das werden wir tun“.
Deutschland liefere seit Beginn des Kriegs Waffen und Ausrüstung, gemeinsam mit den Partnern habe man Sanktionen verhängt, die ihresgleichen suchten. Diese zeigten Wirkung und würden auch ständig nachgeschärft, sagte Scholz.
Scholz sagte, er sehe aber kurzfristig keine Möglichkeit, auf Energielieferungen aus Russland zu verzichten. Deutschland wolle zwar langfristig seine Abhängigkeit von Öl, Gas und Kohle aus Russland beenden, sagte Scholz. „Das aber von einem Tag auf den anderen zu tun, hieße, unser Land und ganz Europa in eine Rezession zu stürzen“, warnte er. „Hunderttausende Arbeitsplätze wären in Gefahr. Ganze Industriezweige stünden auf der Kippe.“
Schon jetzt träfen die wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine verhängten Sanktionen auch die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland hart – und zwar nicht nur in Form von hohen Spritpreisen. Er handele jedoch nach dem Prinzip: „Sanktionen dürfen die europäischen Staaten nicht härter treffen als die russische Führung.“
Der Bundeskanzler sagte der Unionsfraktion mit ihrem Vorsitzenden Friedrich Merz (CDU) eine Einbindung in die Diskussion über Entscheidungen zur besseren Ausstattung der Bundeswehr zu. „Es soll eine gemeinsame Sache werden, die wir für unser Land tun.“ Merz hatte zuvor zum Auftakt der Debatte einen Sechs-Punkte-Katalog mit Bedingungen für eine Zustimmung der Unionsfraktion zur in diesem Zusammenhang geplanten Grundgesetzänderung präsentiert.
Scholz sagte, es sei „völlig in Ordnung“, dass die Union ihre Vorstellungen formuliere. Ausdrücklich dankte Scholz Merz und der Unionsfraktion, dass sie bereit seien, „diesen Weg mitzugehen“.
Der Kanzler sagte zu, dass alle Investitionen abgesichert im Grundgesetz der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit zugutekämen. Es werde langfristige Planungssicherheit und Verlässlichkeit geschaffen, die vor allem für die anstehenden Großvorhaben nötig seien. Zudem behalte man die Tragfähigkeit der deutschen Finanzen einschließlich der Schuldenregel des Grundgesetzes und der Maastricht-Kriterien im Blick.
Scholz sprach von kaum auszuhaltenden Bildern zerstörter Wohnungen, zerbombter Krankenhäuser und belagerter Städte in der Ukraine – und von Frauen und Kindern, die vor den Bomben, Panzern und Raketen des russischen Präsidenten Putin fliehen.
Scholz dankte für „eine überwältigende Welle des Mitgefühls und der Solidarität“. Zehntausende hätten nicht nur ihre Herzen geöffnet, sondern auch Häuser und Wohnungen. Vor allem Polen, Tschechien, die Slowakei, Moldau, Rumänien und Ungarn leisteten hierbei Außerordentliches.
„Noch ist völlig unklar, wie viele Frauen, Männer und Kinder aus der Ukraine bei uns Zuflucht suchen werden. Wir wissen nur: Es werden viele sein“, sagte der SPD-Politiker am Mittwoch im Bundestag. Er betonte: „Die Flüchtlinge sind hier bei uns willkommen.“ Deutschland werde helfen, die Bundesregierung sei dafür auch zu zusätzlichen Maßnahmen bereit.
Der Kanzler bekräftigte, dass Bund und Länder bis zum 7. April offene Fragen zur Aufnahme der Flüchtlinge in Deutschland klären wollten. „Es ist die Pflicht und Schuldigkeit aller – Bund, Länder und Gemeinden – im Sinne der Sache zusammenzuarbeiten, anstatt erst einmal lange über Verantwortlichkeiten zu debattieren.“
Wie die Bürger in Deutschland mit dieser neuen Krise umgingen, zeige, „wieviel Gutes in unserem Land steckt“, sagte der SPD-Politiker. Es werde gerade sichtbar, dass man in der Krise über sich hinauswachse. Das mache ihm Mut.
„Große Krisen sind immer auch ein Anstoß zu Aufbruch und Veränderung“, sagte Scholz. Er nannte den Paradigmenwechsel mit Waffenlieferungen an die Ukraine, aber auch neue Wege in der Energiepolitik. Der Krieg im Osten Europas wirke wie ein Brennglas: „Weil er uns zu vermeintlich neuen, in Wahrheit aber längst überfälligen Schwerpunktsetzungen bringt.“
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Merz hatte zu Beginn der Debatte der Ampel-Koalition vorgehalten, nicht ausreichend auf den russischen Krieg gegen die Ukraine zu reagieren. Scholz habe angesichts des Kriegs in der Ukraine von einer Zeitenwende gesprochen, sagte der CDU-Vorsitzende, der im Bundestag auch Oppositionsführer ist. Er und die Unionsfraktion hätten aber etwa bei der Einbringungsrede von Finanzminister Christian Lindner (FDP) von dieser Zeitenwende nicht wirklich viel bemerkt.
„Die Ausgaben werden durch den Ukraine-Krieg steigen, und trotzdem legen Sie einen Haushalt vor, als ob nichts gewesen wäre.“ Wenn die Regierung es ernst meine, müsse sie eigentlich den Koalitionsvertrag neu verhandeln. Die Regierung gehe von Grundannahmen aus, von denen man schon heute wisse, dass sie nicht stimmten. Vor allem das Zwei-Prozent-Ziel für die Verteidigungsausgaben sei ein Knackpunkt.
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Merz kritisierte das Vorhaben der Koalition, den Haushalt mit „Sonderhaushalten“ und „Sondervermögen“ auszuweiten. Das sei unredlich, so der CDU-Chef. Die CDU wolle, dass das Zweiprozentziel für die Verteidigung festgeschrieben beziehungsweise übertroffen werde – und zwar jedes Jahr, so Merz. „Wir werden hier keinen 100 Milliarden-Blankoscheck erteilen.“
Merz stellte fest: „Wir sind nicht die Mehrheitsbeschaffer der Bundesregierung.“ Man werde jedes Gesetz einzeln beraten und abstimmen. Zum Abschluss seiner Rede fordert Merz von Scholz: „Sie müssen sichtbar durch diese Zeitenwende führen.“
Nach Merz redete der AfD-Fraktionsvorsitzende Tino Chrupalla. „Weil die Bundesregierung helfen möchte, Russland wirtschaftlich und ökonomisch auszuhungern, sollen wir auf günstige Erdgaslieferungen durch Nord Stream 1 und Nord Stream 2 verzichten“, sagte er. Das sei falsch.
Chrupalla bekräftigte zudem das Nein seiner Fraktion zu Waffenlieferungen an die Ukraine. Er sagt: „Weder 500 Millionen Euro noch eine Milliarde Euro werden den Krieg in der Ukraine beenden. Vielmehr wird durch diese fehlgeleitete Politik auch noch Blut an den Händen der deutschen Bürger kleben – das darf nicht sein.“ An die Adresse von Merz sagt er: „Mit Herrn Merz als Bundeskanzler wären wir schon im Dritten Weltkrieg.“
Chrupalla kritisierte ferner, dass die Regierung keinen „Kassensturz“ gemacht habe. Die Ampel müsse erklären, wofür das Geld ausgegeben werde. Die Finanzierungspläne der Bundeswehr seien eine „Mangelverwaltung“, so Chrupalla. Auch die CDU habe zu dem schlechten Zustand der Truppe beigetragen. Zur Katar-Reise von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte er: „Mehr Doppelmoral gibt es kaum.“
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katharina Dröge, sagte in ihrem Redebeitrag, der Sonderetat Bundeswehr sei richtig. Sie griff dann Merz an. Dessen Angriffe auf die FDP sei befremdlich, „nach 16 Jahren Unionsgeführter Regierung“. Es sei die CDU-Politik der vergangenen Jahre gewesen, die Deutschland jetzt in die energiepolitische Lage gebracht habe, so Dröge. „In dieser Situation, in der wir so abhängig sind von fossilen Brennstoffen, kann man nicht erzählen, dass man den Atomausstieg zurück drehen soll und den Ausbau der Windenergie blockieren“, so Dröge. Merz habe in seiner Rede keine Perspektive in der Energiepolitik aufgezeigt.
Auch FDP-Fraktionschef Christian Dürr verteidigte die geplanten Milliarden-Investitionen. „Die Vernachlässigung der Truppe war ein historischer Fehler, und diesen historischen Fehler wird diese Regierungskoalition jetzt korrigieren“, sagte er. Es sei auch richtig, dass die Koalition mit einem Tabu gebrochen habe und Waffen in ein Konfliktgebiet liefere.
Der Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion, Dietmar Bartsch, warf dann der Regierung vor, nach Selenskyjs Rede im Bundestag geschwiegen zu haben – und auch die Menschenrechtslage in Katar sei bei Habecks Reise nicht genug angesprochen worden. „Sie sind eine Belastungskoalition“, sagte Bartsch. Die Kaufkraft habe im Land abgenommen, die Preise für Energie und Lebensmittel gingen durch die Decke, ohne dass die Ampel darauf reagiere. „Das ist respektlos“, so Bartsch. „Selten haben die Bürger unter einer neuen Regierung in so kurzer Zeit so viel Kaufkraft verloren.“ Finanzminister Lindner sei lediglich der „Vermögensverwalter der Superreichen“. (mit dpa)