Streit um Patente bei Impfstoffen: „Axt an der Zukunftsfähigkeit Europas“
Beim G-7-Gipfel geht es auch um eine mögliche Patentfreigabe bei Impfstoffen. Der Chef der EVP-Fraktion im EU-Parlament, Manfred Weber, hält nichts davon.
Herr Weber, US-Präsident Biden wird in den kommenden Tagen mit EU-Spitzenvertretern bei einer ganzen Reihe von Treffen zusammenkommen. Beim G-7-Treffen und beim EU-USA-Gipfel am kommenden Dienstag soll über die weltweite Verteilung von Corona-Impfstoffen gesprochen werden. Welche Erwartungen haben Sie an die USA?
Es freut mich, dass die USA inzwischen bereit sind, ihren Anteil an der globalen Bewältigung der Corona-Krise zu leisten. Angesichts von Joe Bidens Ankündigung, 500 Millionen Impfdosen an ärmere Länder zu spenden, kann ich nur sagen: willkommen im Club.
Die EU war bislang der einzig relevante Produzent von Impfstoffen, der selbst in der heißen Phase der Krise bereit war, gleichzeitig auch Vakzine mit dem Rest der Welt zu teilen. Übrigens gibt es aus Großbritannien noch keine vergleichbare Zusage. Deshalb sollte Boris Johnson jetzt auch bereit sein, endlich die Tür für Exporte zu öffnen.
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Was halten Sie von Bidens Vorschlag, den Patentschutz für Impfstoffe aufzuheben? Beim G-7-Gipfel dürfte über das Thema diskutiert werden.
Dieser Vorschlag soll offenbar davon ablenken, dass sich die USA beim Export von Vakzinen bislang zurückgehalten haben. Das Problem liegt nicht im Patentschutz, sondern beim weltweiten Aufbau von Produktionskapazitäten für Impfstoffe. Wer eine Lösung will, muss darüber nachdenken, wie wir die Staaten in Afrika ertüchtigen, mit freiwillig bereitgestellten Lizenzen Produktionsstätten aufzubauen.
Man muss auch über Zwangslizenzen nachdenken, mit denen Patentbesitzer dazu gezwungen werden, andere Firmen gegen Geld das geschützte Produkt herstellen zu lassen. Aber wer gleich die Aufhebung des Patentschutzes fordert, legt damit die Axt an die Zukunftsfähigkeit Europas wie auch an den medizinischen Fortschritt weltweit.
Patententwicklungen, die ohne Investitionen nicht möglich wären, müssen dauerhaft geschützt bleiben. Anderenfalls wären Forschung und Entwicklung in der EU, aber auch weltweit gefährdet.
Beim G-7-Treffen soll es auch um die drohende Übermacht Chinas gehen. Was tut Europa, um Peking Einhalt zu gebieten?
Die Europäer müssen die Naivität gegenüber dem Wirtschaftspartner China ablegen. Europa braucht Schutzmöglichkeiten, wenn chinesische Firmen mit Staatsbeihilfen in der EU auf Einkaufstour gehen. Gerade in der jetzigen wirtschaftlichen Schwächephase muss die EU die Möglichkeit haben, solche Übernahmen zu verbieten.
Aber beim EU-USA-Gipfel am Dienstag sollte es mit Blick auf China weniger um Wirtschaftsfragen gehen, sondern in erster Linie um die Verteidigung der westlichen Werte. Wir müssen uns künftig im Umgang mit China vom Prinzip leiten lassen: Wirtschaftliche Partnerschaft ist möglich – aber nur dann, wenn menschenrechtliche Standards von beiden Seiten akzeptiert werden. Deshalb ist es entscheidend, auch Themen wie die Unterdrückung der uigurischen Minderheit zur Sprache zu bringen.
Allerdings spricht die EU gegenüber China nicht mit einer Stimme. Ungarn blockiert immer wieder China-kritische Entscheidungen der EU.
Das ist leider wahr. Die EU arbeitet in der Außenpolitik immer noch mit dem Einstimmigkeitsprinzip. Ich habe kein Verständnis dafür, dass EU-Ratschef Charles Michel einer Abschaffung des lähmenden Einstimmigkeitsprinzips skeptisch gegenübersteht.
Wir stehen vor der Frage, ob Europa künftig mit Mehrheit entscheidet oder weiter mit Abwesenheit und Schweigen glänzt. Nur mit einem veränderten Abstimmungsmechanismus kann Europa mit einer kraftvollen Stimme in der Welt sprechen und sich Gehör verschaffen.
Das G-7-Treffen droht vom Streit über das sogenannte Nordirland-Protokoll überschattet zu werden, auf das sich die EU und Großbritannien beim Brexit geeinigt hatten. Der britische Premier Johnson weigert sich, die Zollkontrollen zwischen Nordirland und Großbritannien wie vorgesehen umzusetzen.
Wir Europäer werden auf dem Protokoll beharren, das Boris Johnson selbst unterschrieben hat. Ich freue mich, dass Joe Biden dabei klar an der Seite der EU und insbesondere Irlands steht. Es kann nicht darum gehen, das Nordirland-Protokoll nachzuverhandeln.
Falls in den nächsten Wochen kein Durchbruch bei den Gesprächen zwischen London und der EU über die Umsetzung des Nordirland-Protokolls erzielt wird, müssen Sanktionen gegen Großbritannien auf den Tisch kommen. Die EU-Kommission muss dann nötigenfalls auch darüber nachdenken, Strafzölle für britische Importe zu verhängen. Im Handelsvertrag zwischen der EU und Großbritannien ist eine derartige Option ausdrücklich vorgesehen.