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Handys sind das wichtigste Gerät, das Flüchtlinge brauchen.
© picture alliance / dpa

Flüchtlinge in Deutschland: Auslesen von Handys ist eine notwendige Zumutung

Wer ein möglichst großzügig auslegbares Asylrecht erhalten will, muss es durch Anwendungskonsequenz stärken. Dazu gehört auch das Auslesen von Handys, um die Identität zu ermitteln. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Der wichtigste Gegenstand im Gepäck eines Flüchtlings ist sein Handy. Es hält ihn in Verbindung mit der Heimat, informiert ihn über offene und geschlossene Grenzen, berät ihn über verfahrenstechnische Fragen im Exilland, lässt ihn mit Leidensgenossen Erfahrungen austauschen über Flucht und Asyl. Über Smartphones verbreiten sich aber auch Gerüchte wie ein Lauffeuer. Wer sie streut, kann Schutzsuchende anlocken oder abstoßen. Insofern dürften einige der Schlagzeilen, die die Bundesregierung regelmäßig über neue Gesetze für eine schnellere Abschiebung abgelehnter Asylbewerber produziert, einen Hintersinn haben. Sie sollen in erster Linie abschrecken, erst in zweiter Linie sinnvoll sein.

Vor knapp zwei Wochen hatten sich Bund und Länder auf einen 16-Punkte-Plan verständigt, der die Einrichtung von Ausreise- und Rückführzentren ebenso vorsieht wie Sammelabschiebungen. Beschlossen wurde auch, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) zu erlauben, auf Smartphones und Sim-Karten von Flüchtlingen – ohne deren Einwilligung – zugreifen zu können, um deren Identität zu ermitteln. Das Innenministerium schätzt, dass im vergangenen Jahr bei mehr als der Hälfte der Asylsuchenden ein solches Auslesen von Datenträgern in Betracht gezogen worden wäre. Kritiker monieren, dass dadurch der unantastbare Kernbereich privater Lebensgestaltung verletzt wird.

Abgeschoben werden nur wenige

Anis Amri, der Terror-Attentäter vom Breitscheidplatz, hatte 14 Identitäten. Sein Freund Bilel A., mit dem er am Tag vor dem Anschlag in Berlin zu Abend gegessen hatte, reiste mit mindestens 18 Alias-Personalien herum. Besonders in der heißen Phase des Flüchtlingszustroms ab Sommer 2015 wurden bei der Registrierung oftmals keine Fingerabdrücke genommen. Für eine erkennungsdienstliche Behandlung waren die Kapazitäten zu knapp. Folglich häuften sich die Fälle von Mehrfachregistrierungen und späterem Sozialbetrug. Die Versäumnisse von damals müssen nun mühsam ausgebügelt werden.

Nur ein Drittel aller Asylanträge wird anerkannt. Entsprechend steigt die Zahl der Ausreisepflichtigen. Doch abgeschoben werden wenige. Das zentrale „Vollzugshindernis“, wie es im Amtsdeutsch heißt, ist die eindeutige Feststellung der Identität. Wenn die Behörden nicht wissen, woher ein Flüchtling kommt, dürfen sie ihn nicht abschieben. Das wissen diese allerdings auch. Vielfach haben sie Pässe, Geburts- und Heiratsurkunden vernichtet, um einer Abschiebung zu entgehen. Sprachgutachter und gezielte Fragen nach Details aus der behaupteten Heimatstadt fördern indes allenfalls Indizien zutage. In dieser Lage ist das Auslesen von Handys eine Ultima Ratio, eine notwendige letzte mögliche Lösung.

Die gesellschaftliche Akzeptanz der deutschen Flüchtlingspolitik basiert auf der Hoffnung, dass dem Chaos von einst bald die Ordnung folgt. Um die wirklich Verfolgten zu schützen, darf deren Schicksal nicht permanent in einen Topf gerührt werden mit Missbrauchs-, Betrugs- und Abschiebeentziehungsfällen. Wer ein möglichst großzügig auslegbares Asylrecht erhalten will, muss es durch Anwendungskonsequenz stärken. Reisenden wird zur Kontrolle in die Koffer geschaut. Auch darin befinden sich oft sehr private Dinge. Das Auslesen von Handydaten zur Ermittlung von Identitäten ist wesentlich nichts anderes.

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