Britisches Parlament streitet über Brexit: Aufruhr gegen Boris Johnson
Mit seinem Vorhaben, den Brexit-Vertrag zu ändern, stößt der Premier auf Widerstand in den eigenen Reihen.
Mit seiner Bereitschaft, gegen internationales Recht zu verstoßen, hat der britische Premierminister Boris Johnson in der eigenen Partei heftigen Streit ausgelöst. Zu Wochenbeginn begannen sich immer mehr Tory-Politiker von einer Regierungs-Initiative abzusetzen, die wesentliche Teile des von Johnson selbst mit Brüssel vereinbarten Vertrags zum Austritt aus der EU nachträglich für ungültig erklären will.
Mit David Cameron äußerte der dritte Ex-Tory-Premierminister „ernste Bedenken“ gegen Johnsons neues Post-Brexit-Gesetz zur Regelung des internen Warenverkehrs, das die Regierung gestern im Eilverfahren im britischen Unterhaus einbrachte. Vor Cameron hatten sich schon Theresa May und Sir John Major nachdrücklich gegen das Gesetz gewandt. Auch der ehemalige Labour-Regierungschef Tony Blair warnte am Wochenende, die Gesetzesvorlage bedrohe den nordirischen Friedensprozess, die Verhandlungen mit der EU und den Zusammenhalt des Vereinigten Königreichs.
Mit seinem neuen Warenverkehrsgesetz will Johnson einzelne Bestimmungen des sogenannten Nordirland-Protokolls im Austrittsvertrag wieder aufheben. Das Protokoll sieht für den Fall, dass es zu keinem Freihandels-Abkommen mit der EU kommt, unbeschränkten Warenfluss in Irland und gewisse Kontrollen zwischen Nordirland und Großbritannien vor.
Der Premier will nun aber „gehört“ haben, dass die EU unter Verweis auf diese Vereinbarung „eine richtiggehende Handelsgrenze mitten durch die Irische See erzwingen“ wolle und womöglich den Warenfluss von England, Wales und Schottland nach Nordirland blockieren könnte. London müsse darum ein „legales Sicherheitsnetz“ für Nordirland bereitstellen – auch wenn dieses gegen eine von ihm selbst eingegangene internationale Vereinbarung verstößt.
EU verlangt Garantien von London
Namhafte konservative Politiker, wie Mays und Johnsons früherer Kronanwalt Geoffrey Cox, halten einen solchen Schritt in Richtung Vertragsbruch freilich für „gewissenlos“ und völlig unakzeptabel. „Wenn ein Minister im Namen der Königin sein Wort gibt, sollte es unumstößlich sein, dass er es auch hält – selbst wenn die Folgen unangenehm sind“, findet Cox.
[Wenn Sie alle aktuelle politischen Entwicklungen live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Sir Roger Gale, einer der Veteranen der Tory-Fraktion, versicherte am Montag, dass er im Unterhaus gegen eine Verletzung des Austrittsgesetzes stimmen werde: „Was mich betrifft, handelt es sich hier um eine internationale Vereinbarung, die wir bereitwillig und aus freien Stücken eingegangen sind und die wir nun respektieren müssen. Mehr zu sagen gibt es dazu nicht.“ Auch die drei konservativen Vorsitzenden des Rechts-, des Verteidigungs- und des außenpolitischen Ausschusses des Unterhauses verurteilten Johnsons Bereitschaft zum Vertragsbruch scharf. Der Chef des Rechtsausschusses, Sir Bob Neill, will in den nächsten Tagen einen Zusatzantrag im Unterhaus einbringen, der die Regierung bremsen soll, indem er dem Parlament ein Veto in dieser Frage verschafft.
Die EU verlangt ein grundsätzliches Festhalten Londons am Nordirland-Protokoll und fordert eine entsprechende Zusicherung bis Ende des Monats. Bis dahin will Johnson sein neues Gesetz aber verabschiedet sehen. Zum Auftakt der Behandlung des Gesetzes hielten sich manche Kritiker im Regierungslager noch zurück. Sir Bob Neill rechnet damit, dass sich die „Rebellion“ nächste Woche ausweitet. Ein unzweideutiges Nein zu Johnsons Gesetz zeichnet sich unterdessen schon jetzt im Oberhaus ab.
Peter Nonnenmacher