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Lyra McKee (29) starb in der Nacht zum Karfreitag in Londonderry.
© Jess Lowe/Jess Lowe Photography/AFP

Getötete Lyra McKee: "Aufgehender Stern des investigativen Journalismus"

Die 29-Jährige war eine ausgewiesene Kennerin des Nordirland-Konflikts. Jetzt wurde sie bei Krawallen erschossen. Politiker und Kollegen sind entsetzt.

Bei den schweren Ausschreitungen im nordirischen Londonderry ist am Donnerstagabend die 29-jährige Lyra McKee erschossen worden. Der Tod der bekannten Investigativ-Journalistin aus Belfast löste über Großbritannien hinaus Entsetzen aus. Lyra McKee hatte als Investigativ-Reporterin viel über den Nordirland-Konflikt und seine Folgen geschrieben. Politiker verschiedener Parteien reagierten bestürzt. Der Vorfall zeige auch die angespannte Lage in Nordirland, das auch im Brexit-Drama eine entscheidende Rolle spielt, hieß es.

2016 führte das "Forbes Magazine" die junge Frau in seinem Medien-Ranking als eine der 30 wichtigsten unter 30-Jährigen in Europa, die "Themen aufgreifen, um die sich andere nicht kümmern." McKee war unter anderem für das Magazin "The Atlantic" und "Buzzfeed News" tätig. Der britischen Zeitung "The Mirror" zufolge war McKee mit einigen Journalisten-Preisen ausgezeichnet, unter anderem dem "Sky News Young Journalist Award".

McKee wuchs in der Nähe der Gegend auf, in der die Gewalt zu den Hochzeiten des IRA-Terrors besonders groß war, und schrieb später über die Folgen der Spannungen zwischen Katholiken und Protestanten. Dem "Mirror" zufolge lebte McKee mit ihrer Partnerin in Londonderry, wie Protestanten die Stadt nenne. Londonderry, oder Derry, wie die Katholiken sagen, war 1972 Schauplatz des "Bloody Sunday". Damals schossen britische Soldaten auf unbewaffnete Teilnehmer einer nicht genehmigten Demonstration. 14 Menschen wurden getötet.

Neben dem Nordirland-Konflikt widmete sich McKee besonders LGBT-Themen. Wie die "New York Times" (NYT) berichtet, erreichte sie zum Beispiel mit einem Artikel ("Letter To My 14-Year-Old Self"), in dem sie den Missbrauch, aber auch die Unterstützung beschrieb, den sie als heranwachsende homosexuelle Frau erfuhr, online eine große Leserschaft. Auf Grundlage dieses Artikels entstand auch ein Kurzfilm. In den Buch "Angels With Blue Faces" schrieb McKee über den Mord am Robert Bradfort, einem Mitglied des Parlaments in Belfast.
Leona O'Neill, Korrespondentin der Zeitung "Politico", würdigte ihre Kollegin als Kämpferin für die Gleichheit und die Rechte von Homosexuellen. Auf Twitter schrieb sie, McKee habe unlängst einen Zwei-Jahresvertrag mit dem renommierten Verlag Faber & Faber unterschrieben. Der NYT zufolge arbeitete McKee demnach an einem Buchprojekt, in dem sie sich mit dem Verschwinden junger Männer in Belfast in den 60er und 70er Jahren befasste. Sie war ein "aufgehender Stern des investigativen Journalismus" gewesen, schrieb O'Neill.

McKee hatte am Donnerstagabend noch ein Foto auf Twitter veröffentlicht, das die Gewalt in Londonderry zeigte. "Derry heute Abend. Völlig verrückt", schrieb sie dazu. Die Ausschreitungen trugen sich vor dem Osterwochenende zu - einem Zeitpunkt, zu dem irisch-katholische Nationalisten an den Aufstand gegen die Briten in Dublin im Jahr 1916 erinnern.

"Wir behandeln das als terroristischen Vorfall und haben Mordermittlungen eingeleitet", sagte der Vize-Chef der nordirischen Polizei, Mark Hamilton. Der Schütze sei ein "gewalttätiger Nationalist." McKee sei getroffen worden, als ein Mann im Wohnviertel Creggan auf Polizisten geschossen habe. Die 29-Jährige sei verletzt worden und im Krankenhaus gestorben.

In den vergangenen Monaten hatte es in Nordirland wieder vermehrt Gewalttaten gegeben. Die Polizei macht dafür die paramilitärische Gruppe "New IRA" verantwortlich. Im Januar detonierte in Londonderry eine Autobombe. Hamilton sagte, die Polizei gehe davon aus, dass der Tod von McKee auch im Zusammenhang mit der "New IRA" zu sehen sei.

"Schockierend und sinnlos"

Der irische Präsident Michael D. Higgins würdigte die Tote als eine "talentierte und engagierte Frau, die bei der Ausübung ihres Berufs getötet wurde", wie die Zeitung "The Irish Times" online schreibt. Ihr Tod "löse Schock und große Empörung aus". Der stellvertretende Ministerpräsident Simon Coveney sagte dem Blatt zufolge, der Mord am 21. Jahrestag des Karfreitagsabkommens erinnere daran, "dass die große Mehrheit der Menschen dieser Insel überwältigend für Frieden, Versöhnung und ein Ende der Gewalt gestimmt" hätten. "Es kann kein Zurück zu diesen schrecklichen Tagen geben", sagte Coveney. Die Nachrichten aus Londonderry seien "schockierend und tragisch", Gewalt und Unruhen müssten aufhören.

Auch die britische Premierministerin Theresa May äußerte sich zu den Vorfällen in Londonderry: Der Tod von Lyra McKee sei "schockierend und sinnlos". "Sie war eine Journalistin, die ihren Job mit großem Mut ausübte."

Die Vorsitzende der nordirischen Democratic Unionist Party (DUP), Arlene Foster, verurteilte in der Nacht auf Freitag "sinnlose" Gewalt. "Diejenigen, die in den 70er, 80er und 90er Jahren Schusswaffen in unsere Straßen gebracht haben, lagen falsch. 2019 ist es genauso falsch." Auch die Vize-Vorsitzende der irisch-republikanischen Partei Sinn Fein, Michelle O'Neill, äußerte sich bestürzt und sprach den Angehörigen ihr Beileid aus. "Das war ein Angriff auf die Gemeinschaft, ein Angriff auf den Friedensprozess und auf das Karteifreitagsabkommen."

Das Karfreitagsabkommen (Good Friday Agreement) ist ein Übereinkommen zwischen der Regierung der Republik Irland, der Regierung des Vereinigten Königreichs und den Parteien in Nordirland aus dem April 1998. Damit wurde die seit den 1960ern gewaltgeladene Phase des Nordirlandkonflikts beendet. In der britischen Provinz hatten sich jahrzehntelang irisch-katholische Nationalisten und protestantische Loyalisten bekämpft. Seit den 60er Jahren starben dabei 3500 Menschen, viele wurden von der Untergrundorganisation IRA getötet. Zwar gab es nach dem Karfreitagsabkommen noch einzelne Gewalttaten, diese hatten aber keinen Rückhalt mehr in der Bevölkerung und eskalierten nicht mehr. Bei getrennten Referenden in der Republik Irland sowie in Nordirland wurde das Abkommen bestätigt.

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