Mauerfall am 9. November 1989: Aufarbeitung muss sich zu Aufbereitung wandeln
Das Gedenken an den Mauerfall ist 29 Jahre danach schwerer geworden, oft wirkt es routiniert. Dabei müsste es jetzt leichter zugänglich sein. Ein Kommentar.
Dieses Leuchten in den Augen der Menschen, die Betonmauern erklimmen nach ihrer eigenen Revolution; die Leichtigkeit der Freiheit, die sich im Wendewort „Wahnsinn“ ausdrückt; das Erstaunen, als man im Westen der eigenen Stadt angekommen ist: „Hier sieht’s ja aus wie bei uns.“ 9. November 1989 – wer könnte es vergessen? Wir alle tun es langsam.
Das Gedenken an das Glück der friedlich gelungenen Zeitenwende ist 29 Jahre danach schwerer geworden, allzu oft wirkt es routiniert. Dabei müsste es gerade jetzt leichter zugänglich sein. Um junge Menschen zu begeistern für das Fundament, auf dem die eigene Stadt Berlin und auch das geeinte, in Europa so starke Deutschland steht. Und um das Bewusstsein wach zu halten für die Opfer von staatlich organisierter Willkür.
Die Aufarbeitung der DDR-Geschichte erlebt gerade – wieder einmal kaum bemerkt vom ganzen Land – selbst einen Umbruch. Die Gedenkstätte Hohenschönhausen, wichtiger Besuchermagnet für die leidvolle Stasi-Geschichte am authentischen Ort, braucht einen neuen Aufbruch, nachdem unter Leiter Hubertus Knabe, 59, offenbar eine Atmosphäre der Belästigung um sich greifen konnte.
Auch die Stasi-Unterlagen-Behörde von Roland Jahn, 65, sieht einer ungewissen Zukunft entgegen; das für sie entwickelte Gesetz läuft in Teilen 2019 aus, die für das Wissen und Gewissen der Nation so wichtigen Akten sollen ins Bundesarchiv. Nun ventiliert Jahn offenbar die Schaffung eines neuen Bundesbeauftragten für SED-Diktatur, der wiederum der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Konkurrenz machen könnte. Der Stiftungsrat dieser agilen Aufarbeitungsinstitution wird geleitet von Markus Meckel, 66.
Unverkennbar bei all diesen Personalien ist: Die Aufarbeitung der DDR-Geschichte steht vor einem Generationenwechsel. Und sie muss sich weiter wandeln – hin zu einer Aufbereitung der DDR-Geschichte. Mit modernen, künstlerischen Aktionen in öffentlichen Räumen, mit mehr Gesprächen zwischen den Generationen, um auf geschaffte Umbrüche auch selbst Stolz zu entwickeln, mit moderner Kommunikation, interaktiver Erzählung und sozialer Empathie. Viele Kronzeugen der Revolution werden alt, einige sind schon gestorben. Es ist Zeit, aus dem heutigen Leben heraus die Neugier auf das Leben davor zu wecken.
Geschichte muss von unten erzählt werden – auch mit Geschichten aus Familien und sozialen Gemeinschaften, in denen es nicht nur Helden gab. So wie es auch heute nicht überall Helden gibt. Die Vergangenheit bleibt in die Gegenwart eingraviert, gerade auf den einst geteilten Straßen von Berlin. Hier irgendwo liegt es, das Wort Wahnsinn. Wer von uns hat Lust darauf, es aufzuheben?