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Bundesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen in Leipzig (Sachsen).
© imago/Peter Endig

Grünen-Parteitag in Leipzig: Auf der Suche nach der richtigen Sprache in der Flüchtlingspolitik

Die Grünen verhandeln ihre Position im Umgang mit Geflüchteten. Winfried Kretschmann will manche "in die Pampa" schicken und erntet Empörung.

Manchmal sind es nur wenige Worte, die für Ärger sorgen. Die Grünen treten schon immer für „Humanität“ in der Flüchtlingspolitik ein. Seit einiger Zeit betonen sie aber auch, dass es auch „Ordnung“ bei der Migration geben müsse. Bei der letzten Bundestagswahl hat dieses Begriffspaar Eingang ins Wahlprogramm gefunden. Und auch im Entwurf für das Europa-Programm, das die Grünen auf ihrem Parteitag am Wochenende beschließen wollen, taucht die Idee wieder auf.

Das Grundrecht auf Asyl sei nicht verhandelbar, schreibt der Bundesvorstand. Und fügt den Satz hinzu: „Auch wenn nicht alle, die kommen, bleiben können.“ Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, an der auch Grüne nicht zweifeln – und die genauso schon in anderen Parteitagsbeschlüssen stand.

So weit also, so gut?

300 Änderungsanträge gab es zum Kapitel Demokratie, Einwanderung und Flucht

Ganz so einfach ist es bei den Grünen dann doch nicht. Für das gesamte Kapitel zu Demokratie, Einwanderung und Flucht hatten die Mitglieder im Vorfeld 300 Änderungsanträge gestellt. Zu ihnen gehörte auch Claudia Roth, Bundestagsvizepräsidentin und Ex-Parteichefin. Sie störte sich daran, dass die Grünen das Grundrecht auf Asyl in einem Atemzug mit Abschiebungen nennen und forderte deshalb, die Botschaft, nicht alle könnten bleiben, zu streichen.

Roth stellte dabei weniger den Inhalt des Satzes in Frage, Rückführungen hält auch sie für eine Realität, die man akzeptieren müsse. Sie ärgerte sich aber über die Platzierung – und die symbolische Wirkung. „Es wäre bedauerlich, wenn nun auch wir den Eindruck erweckten, man müsste sich für sein Festhalten am individuellen Grundrecht auf Asyl in Deutschland und Europa mit einem Bekenntnis zu rückführungspolitischer Härte rechtfertigen“, argumentierte sie.

Doch der Grünen-Führung war klar, dass die Streichung dieses Satzes als Abkehr vom realpolitischen Kurs hätte interpretiert werden können. Die Grünen hätten sich die Frage gefallen lassen müssen, ob sie nun etwa doch dafür seien, dass alle Flüchtlinge bleiben können. Schon vor dem Parteitag gab es deshalb beschwichtigende Telefonate, und noch am späten Freitagabend wurde in kleiner Runde mit den Antragstellern diskutiert.

Herausgekommen ist ein Kompromiss, der nicht ganz einfach zu erklären ist. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner versucht es am Samstagmorgen dennoch. Der Satz „Nicht alle, die kommen, können bleiben“ findet sich auch weiterhin im Wahlprogramm – nur einige Absätze später. Dort stehe er an einer viel besseren Stelle, sagt Kellner.

Ska Keller, Spitzenkandidatin für die Europawahl, spricht in Leipzig.
Ska Keller, Spitzenkandidatin für die Europawahl, spricht in Leipzig.
© imago/Tim Wagner

Auf die Frage, was sich dadurch ändere, hat er eine eher psychologische Erklärung parat: „So ist meine Partei“, sagt er. Insgesamt habe er über 911 Änderungsanträge abarbeiten müssen. „Es ist ein bisschen wie puzzeln“, sagt Kellner. Und zwar so, „dass es am Ende aufgeht“.

Ärger aus Baden-Württemberg

Ein leichtes Stirnrunzeln gibt es auf dem Parteitag über Winfried Kretschmann. Der baden-württembergische Ministerpräsident war nicht nach Leipzig zum Parteitag gekommen, weil er andere Termine hatte. Und doch mischt er sich aus der Ferne in die Debatte ein. In der Flüchtlingspolitik hat er schon des öfteren andere Akzente gesetzt als die Bundespartei. Nun fordert er in einem Interview, Flüchtlinge, die in Gruppen Straftaten begehen, von den Großstädten fernzuhalten und im Land zu verteilen. „Solche Gruppen muss man trennen und an verschiedenen Orten unterbringen“, sagte er der „Heilbronner Stimme“ und dem „Mannheimer Morgen“. Der Gedanke, einige von ihnen „in die Pampa zu schicken“, sei nicht falsch. „Salopp gesagt ist das Gefährlichste, was die menschliche Evolution hervorgebracht hat, junge Männerhorden. Solche testosterongesteuerten Gruppen können immer Böses anrichten“, sagte der Regierungschef.

Bundesgeschäftsführer Kellner bemüht sich um Schadensbegrenzung. Er hätte sich „eine staatstragendere Sprache“ gewünscht, sagt er. Eine „solche radikale Sprache“ kenne er von Kretschmann gar nicht. Er würde dessen Äußerungen aber auch lesen als Bestärkung der Grünen-Position, sagt er. Die Partei lehne ja auch die Ankerzentren ab, in denen viele Menschen an einem Ort „kaserniert“ seien.

Ansonsten bleiben die Grünen auch im Europa-Wahlprogramm bei ihrem Nein zum Instrument der sicheren Herkunftsstaaten. Es beschleunige keine Verfahren, dafür brauche es stattdessen Personal und Priorisierungen. „Rückführungen scheitern an fehlenden Rückführungsabkommen“, heißt es im Programm.

Außerdem fordern die Grünen legale Fluchtwege nach Europa über „großzügige und verlässliche Aufnahmekontingente über das Resettlement-Programm des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen. Zugleich spricht die Partei sich dafür ab, Kommunen über einen EU-Integrationsfonds finanziell zu entlasten, wenn sie sich an solchen Programmen beteiligen und Flüchtlinge aus eigener Verantwortung aufnehmen.

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