Wahlrecht für den Bundestag: Auf dem Weg zum Riesenparlament
Die dramatischen Bewegungen im Parteiensystem wirken sich auch auf die Wahlrechtsdebatte aus. Muss der Bundestag jetzt zügig an die Reform heran?
Vor einem Jahr hat sich der Bundestag konstituiert. Es ist der größte aller Zeiten. 709 Abgeordnete kamen zusammen. Das sind 111 Mandate über der gesetzlichen Mindestgröße von 598. Die Wahlrechtsreform von 2012 hat es möglich gemacht. Damals wurde beschlossen, Überhänge durch zusätzliche Mandat auszugleichen. Auf dass der Parteienproproz, der sich aus den Zweitstimmen ergibt, auch in der Sitzverteilung abgebildet wird. Bald nach dem Zusammentreten der neuen Abgeordneten wurde eine kleine Gruppe konstituiert, die sich darum kümmern soll, dass die Bundestagsgröße nicht noch mehr ins Kraut schießt und einigermaßen berechenbar bliebt.
Sieben Abgeordnete – alle Parlamentsparteien sind vertreten - treffen sich seit Dezember unter dem Vorsitz von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Wie weit die Arbeit an einer neuerlichen Wahlrechtsreform gediehen ist, weiß man nicht. Die Runde hat sich Stillschweigen auferlegt. Schäuble lässt hin und wiederverlauten, man habe es mit der „Quadratur des Kreises“ zu tun. Im Übrigen solle die Reform zur Bundestagswahl 2025 wirksam werden. Das deutet darauf hin, dass es vielleicht Eingriffe geben könnte, die manchen Abgeordneten im aktuellen Parlament als harte Einschnitte erscheinen mögen. Doch grundsätzlich ist das Ansinnen nicht ungewöhnlich: Es gibt eine Art ungeschriebenes Gesetz, dass Wahlrechtsänderungen nicht von denen gemacht werden sollen, die direkt davon betroffen sind. Daher also der Sprung über eine Wahl hinweg.
Schäuble-Runde unter Druck
Doch die aktuellen Entwicklungen im Parteiensystem, die sich in Wahlergebnissen und Umfragen abbilden, könnte die Schäuble-Runde unter Druck setzen. Angesichts der aktuellen Zahlen ist nämlich nicht mehr auszuschließen, dass nach der nächsten Wahl schon, regulär wäre das 2021, ein noch weit größerer Bundestag zusammenkommt. Nach den neuen Berechnungen des Wahlinformationsdienstes „election.de“, auf der Basis der aktuellen Umfragen, könnten es, wäre am Sonntag Wahl, 780 Abgeordnete sein. Doch nur kleine Bewegungen, und die Zahl kann ohne Weiteres auch auf weit über 800 schnellen. Und eine vorgezogene Neuwahl unter solchen Bedingungen ist ja nicht auszuschließen.
Der Hauptgrund dafür ist, dass nach den Sozialdemokraten nun auch CDU und CSU deutlich schwächeln. Also jene Parteien, die traditionell die allermeisten Direktmandate in den Wahlkreisen gewonnen haben. Während die SPD dazu aber immer weniger in der Lage ist (und wenn, dann fast nur noch in den verbliebenen Hochburgen an der Ruhr, in Nordhessen und in Niedersachsen), gilt das für die Union nicht: Trotz des Einbruchs auf unter 30 Prozent stellt sie nach den Berechnungen 189 der 299 Wahlkreissieger, die auf jeden Fall in den Bundestag einziehen. Und das sind einige Dutzend mehr, als CDU und CSU aufgrund ihres schwachen Zweitstimmenresultats zustünden. Also müssen diese Überhänge ausgeglichen werden.
Weit über 800 Mandate möglich
Was derzeit eine Aufblähung auf weit über 800 Mandate verhindert, ist die relative Stärke von Grünen und AfD. Laut Matthias Moehl von "election.de" kämen die Grünen mit ihren derzeit etwa 18 Prozent auf immerhin 23 Direktmandate. Darunter alle vier in München, fünf in Berlin, drei in Hamburg und acht in Baden-Württemberg. Im Osten räumt dagegen die AfD ab, wo sie nach Zweitstimmen auch stärkste Partei in Sachsen, Brandenburg und Thüringen wäre. In Sachsen könnte sie mit allen Direktmandaten außer Leipzig-Süd rechnen, in Thüringen mit nahezu alle und auch im Osten Brandenburgs käme sie mit ihren Kandidaten direkt durch.
Ein besonderes Problem desaktuellen Wahlsystems hat die Landtagswahl in Bayern offenbart. Wenn nämlich die CSU abstürzt, aber immer noch alle oder die meisten Wahlkreise gewinnt, hat das massive Folgen für ein Bundesergebnis. Denn Überhänge einer Regionalpartei ziehen weitaus mehr Ausgleichsmandate nach sich als bei einer Partei, die bundesweit antritt.
Das bayerische Problem
Moehl hat für den Tagesspiegel ein Ergebnis berechnet, bei dem die CSU in Bayern auf 33 Prozent kommt (ausgehend von den 37,2 Prozent bei der Landtagswahl, denn bei Bundeswahlen war sie meist schwächer), aber immer noch alle 46 Direktmandate gewinnt. Dann hätte sie 14 Überhangmandate, was bei insgesamt 43 weiteren Überhangmandaten für andere Parteien entscheidend zu einer Bundestagsgröße von 830 Sitzen beitragen würde. Dieses „bayerische Problem“ ist ein besonderes Manko des aktuellen Wahlsystems.
Im Bundestag wird offenbar überlegt, die Zahl der Wahlkreise zu verringern, bei gleichbleibender Zahl der Abgeordneten. Damit, so die Logik, kommt es zu weniger Überhängen. Aber das „bayerische Problem“ tritt auch hier auf. Würde man die Zahl der Wahlkreise auf 250 verringern, hätte die CSU immer noch sieben Überhangmandate und die Bundestagsgröße läge allein deswegen bei 703, so die Berechnung von „election.de“. Man müsste wohl auf 200 Wahlkreise heruntergehen, um ein Parlament ohne Überhänge der CSU zu bekommen. Die Frage ist, ob die Schäuble-Runde einen solchen Einschnitt in die Wahlkreisgeographie beschließt und ob das beiden Wählern gut ankommt.
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