Debatte um Hartz IV: Auf dem Prüfstand
Was kommt, wenn Hartz IV geht? Nicht nur die SPD will sich von der bisherigen Grundsicherung lösen. Ein Überblick.
Es war ein Versprechen, das aufhorchen ließ: „Wir werden Hartz IV hinter uns lassen“, kündigte SPD-Chefin Andrea Nahles im November an. Seit Einführung der umstrittenen Arbeitsmarktreform 2005 hat die SPD immer wieder mit Hartz IV gehadert. Nun soll das System erneut auf den Prüfstand: Bei einer Vorstandsklausur am 10. Februar will die Partei ein Konzept für die Zukunft des Sozialstaats beschließen. An Vorschlägen arbeitet eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Mecklenburg- Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig. Auch in den anderen Parteien ist die Debatte über Hartz IV in vollem Gange. Ein Überblick über die Pläne der Parteien.
SPD
Noch ist das Konzept nicht fertig, doch Schwesig skizziert im „Spiegel“ bereits wie es in etwa aussehen könnte. Zum einen soll der überwiegend negativ besetzte Name Hartz IV verschwinden. Für die einen steht er für Armut und Gängelung, andere verbinden damit Faulheit und Drückebergertum. Es sei eine „Freund-Feind-Debatte“ geworden, sagt Schwesig. Ihr gefällt deshalb der Begriff „Bürgergeld“ besser, den SPD- Chefin Nahles ins Gespräch gebracht hatte. Bürgergeld, das klinge nicht nach Almosen, sondern nach dem Schutz von Bürgern in besonderen Lebenssituationen, findet Schwesig.
Der SPD-Politikerin ist aber klar, dass ein reiner Namenswechsel nicht ausreichen würde, wenn der Vorschlag nicht als Etikettenschwindel diskreditiert werden soll. „Wir brauchen auch einen neuen Inhalt“, sagt Schwesig. Dazu gehört, dass die SPD „die Lebensleistung“ der Betroffenen stärker anerkennen will. Wer viele Jahre gearbeitet und in die Sozialversicherungssysteme eingezahlt hat, soll im Fall der Arbeitslosigkeit nicht so schnell in Hartz IV abrutschen wie bisher. Die SPD greift damit eine Kernforderung der Gewerkschaften auf, die ebenfalls die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds I verlängern wollen. Bisher wird dieses in der Regel zwölf Monate lang gezahlt, bei Älteren über 50 Jahren können es bis zu 24 Monate sein.
Auch am Hartz-IV-System selbst soll es Änderungen geben: Sanktionen will Schwesig nicht grundsätzlich abschaffen („Es ist wichtig, dass es Mitwirkungspflichten gibt“), aber sie sollen zumindest überprüft werden. In der Diskussion ist etwa, nicht mehr die Kostenübernahme für Miete und Heizung zu streichen. Untersuchungen zeigen, dass dies nicht nur zur Verschuldung der Betroffenen, sondern auch zu Obdachlosigkeit führen kann. Zudem setzt die SPD sich dafür ein, Menschen unter 25 Jahren nicht mehr schärfer zu sanktionieren als Ältere. Bei einem Regelverstoß kann ihnen schon im ersten Schritt der komplette Regelsatz gestrichen werden. Unterstützung erhofft sich die SPD hierbei vom Bundesverfassungsgericht, das derzeit ohnehin die gesetzlichen Sanktionen überprüft.
Die Grünen
Die Grünen haben zu Regierungszeiten Hartz IV zwar mit beschlossen, doch seitdem haben sie sich schrittweise davon distanziert. Zum ersten Mal sprach Grünen-Chef Robert Habeck das im vergangenen Jahr offen aus: Die Zeit sei über Hartz IV hinweggegangen, sagte er. Habecks Vorschlag einer „Garantiesicherung“ sieht vor, dass es künftig keine Sanktionen mehr geben soll, wenn jemand nicht mit dem Jobcenter zusammenarbeitet. Die Regelsätze sollen steigen (eine konkrete Höhe nennt Habeck nicht), außerdem sollen Arbeitslose deutlich mehr Schonvermögen behalten dürfen (100.000 Euro). Zuverdienstmöglichkeiten will Habeck großzügiger ausgestalten, damit es sich stärker lohnt, Arbeit aufzunehmen: Derzeit werden nur die ersten 100 Euro nicht auf Hartz IV angerechnet, bei einem Einkommen zwischen 100 und 1000 Euro werden 80 Prozent abgezogen. Noch sind Habecks Vorschläge nicht Beschlusslage der Grünen, doch in der Partei gibt es viel Sympathie für seine Grundidee.
Die Linke
In der Linkspartei ist Konsens, dass Hartz IV abgeschafft gehört. Erst durch die massiven Proteste gegen die Reform war es der früheren PDS gelungen, bundesweit als neue Partei Fuß zu fassen – auch mit Hilfe von Ex-SPD-Chef Oskar Lafontaine. Die Linkspartei fordert anstelle von Hartz IV eine sanktionsfreie Mindestsicherung, die bei mindestens 580 Euro im Monat liegen müsse (derzeit beträgt der Regelsatz für einen Erwachsenen 424 Euro). In der Partei gibt es außerdem – wie bei den Grünen – Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens, das jeder erhalten soll, unabhängig von seiner Bedürftigkeit. Bisher waren diese jedoch in beiden Parteien in der Minderheit.
CDU/CSU
In der Union wird Hartz IV nicht grundsätzlich infrage gestellt – und auch nicht das damit verbundene Prinzip des „Förderns“ und „Forderns“, das auch auf Sanktionen beruht. Die CSU tat sich in der Vergangenheit sogar schwer damit, die verschärften Sanktionen für junge Erwachsene abzumildern, obwohl viele Praktiker dies angemahnt hatten und auch die CDU dazu bereit gewesen wäre. Doch für den Fall, dass das Bundesverfassungsgericht demnächst Änderungen bei den Sanktionen verlangen sollte, wird sich die Union nicht verweigern können. In der CDU wird außerdem diskutiert, Zuverdienste attraktiver zu machen – so wie es auch die Grünen fordern.
FDP
Die Liberalen fordern seit langem ein Bürgergeld – versteht darunter aber etwas ganz anderes als die SPD. Idee hinter den Plänen der FDP ist, die steuerfinanzierten Leistungen zu bündeln (Regelsatz, Wohngeld, Kinderzuschlag, Sozialhilfe, Grundsicherung im Alter) und von einer Behörde auszahlen zu lassen, um Bürokratie abzubauen. Was das für die konkrete Höhe der Leistung bedeuten würde, ist allerdings unklar.
AfD
Die AfD fordert eine „aktivierende Grundsicherung“: Mit steigendem Einkommen soll der „staatliche Unterstützungsbetrag“ immer weiter abschmelzen. Wer arbeitet, soll mehr Geld haben als derjenige, der nicht arbeitet.