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Der AfD-Abgeordnete Albrecht Glaser telefoniert während der konstituierenden Sitzung des 19. Deutschen Bundestages.
© Bernd von Jutrczenka/dpa

Die AfD im Bundestag: Auch über den Islam darf gestritten werden

Albrecht Glaser wurde von der AfD als Bundestagsvizepräsident nominiert. Die anderen Fraktionen lehnen ihn ab, weil er Muslimen das Recht auf Religionsfreiheit abspricht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Diskriminierte sind weder bessere Menschen noch schlauere Strategen. Sie sind allenfalls, um es soziologisch auszudrücken, erkenntnistheoretisch privilegiert. Sie haben erfahren, worüber andere reden, manchmal gar am eigenen Leib. Deshalb sollte den Stimmen von Schwarzen beim Thema Rassismus, Frauen beim Thema Sexismus, Juden beim Thema Antisemitismus und Muslimen beim Thema Islamophobie genau zugehört werden. Wenn Betroffene berichten, verbietet sich Nicht-Betroffenen zumindest die Haltung abfälliger Ignoranz.

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland vertritt nur einen kleinen Teil der hier lebenden Muslime und hat selten Angst, sich mit seinen Ansichten zu exponieren. Dennoch lässt die jüngste Forderung dessen Vorsitzenden, Aiman Mazyek, aufhorchen. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sollten den Kandidaten der AfD, Albrecht Glaser, zum Vizepräsidenten wählen, sagte er jetzt. Man dürfe der AfD keine Opferrolle zugestehen.

Das Recht auf einen Bundestagsvize hat jede Fraktion. Glaser indes wurde von der großen Mehrheit der Abgeordneten in den ersten drei Wahlgängen abgelehnt. Man wirft ihm vor, das Grundrecht auf Religionsfreiheit für Muslime abschaffen zu wollen. Bei einem Wahlkampfauftritt im April hatte er gesagt: „Der Islam ist eine Konstruktion, die selbst die Religionsfreiheit nicht kennt und diese nicht respektiert. Und da, wo sie das Sagen hat, jede Art von Religionsfreiheit im Keim erstickt. Und wer so mit einem Grundrecht umgeht, dem muss man das Grundrecht entziehen.“

Weder vom Glauben noch vom Recht scheint er viel zu verstehen

Glaser war 42 Jahre lang Mitglied der CDU, vor fünf Jahren trat er aus der Partei aus und gründete mit anderen die AfD. Er ist evangelisch und Jurist. Doch weder vom Glauben noch vom Recht scheint er viel zu verstehen. Auf den entscheidenden Schwachpunkt in Glasers Argumentation hat Jochen Bittner von der „Zeit“ hingewiesen. „Die Geltung eines Grundrechts hängt nicht davon ab, wie sein Träger mit diesem Grundrecht umgeht“, schreibt er. Wer stiehlt, darf deshalb nicht bestohlen werden. Auch Anhängern eines Glaubenssystems, das selbst keine Religionsfreiheit gewährt, steht das grundgesetzlich garantierte Recht auf Religionsfreiheit zu.

Ein anderer Vorwurf von AfD-Vertretern an die Adresse des Islam lautet, dieser sei überhaupt keine Religion, sondern eine Weltanschauung, die in fast alle Bereiche des menschlichen Lebens eingreife. Muslime würden die Scharia über das weltliche Gesetz stellen. Grundlage dieser These ist eine äußerst reduktionistische Auffassung vom Wesen der Religion. Ob Befreiungstheologie, die antikommunistischen Predigten von Papst Johannes Paul II., Kirchentage, Friedensbewegung, Denkschriften oder der Katechismus der Katholischen Kirche: Politisch waren und sind auch die beiden christlichen Glaubensgemeinschaften, mitunter gar hochpolitisch.

Max Weber hat den Erfolg des Kapitalismus aus der protestantischen Ethik abgeleitet. Und dass der Christ im Konfliktfall „Gott mehr gehorchen soll als den Menschen“, steht im „Augsburger Bekenntnis“ von 1530 und findet sich dem Geiste nach ebenso in der „Barmer Theologischen Erklärung“ von 1934.

Der Rechtsstaat darf keine Gesetzesverstöße dulden

Der Rechtsstaat darf keine Gesetzesverstöße dulden, aber auch keine Gesinnungstreue einfordern. „Man muss da unterscheiden, was wird mental-ideologisch vertreten und gefordert, und wie verhält sich die betreffende Gemeinschaft tatsächlich“, sagt der Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde. „Entscheidend ist, dass eine Glaubensgemeinschaft und ihre Mitglieder die geltenden Gesetze befolgen. Sie mögen dann vielleicht einen inneren, mentalen Vorbehalt haben, doch der freiheitliche Staat kann und sollte als Bedingung für den Bürgerstatus kein Wertebekenntnis verlangen.“ Mit anderen Worten: Als Glaubensinhalt dürfen Muslime die Scharia durchaus über die bürgerliche Rechtsordnung stellen, in der gelebten Praxis aber dürfen sie gegen diese Rechtsordnung nicht verstoßen. Eine „reservatio mentalis“ lässt sich nicht verbieten.

Glaser und die Seinen irren also doppelt – sowohl in Bezug auf eine vermeintliche Reziprozität der Gewährung von Grundrechten als auch in Bezug auf den vermeintlich rein privaten Charakter von Religionen. Dennoch wäre es falsch, Glaser so zu behandeln, wie er glaubt, den Islam behandeln zu müssen. Durch Ausgrenzung also. Jede Art der Stigmatisierung hilft der AfD. Nach kaum etwas sehnen sich Rechtspopulisten mehr als nach der Märtyrerrolle. Darauf haben schon viele hingewiesen. Auch falsche Ansichten zu vertreten, ist so lange vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt, wie sie nicht gegen geltende Gesetze verstoßen.

Die AfD instrumentalisiert die Personalie Glaser, um den Eindruck erwecken zu können, alle anderen Parteien würden eine Auseinandersetzung über den Islam scheuen. Wer die besseren Argumente hat, kann ihr diesen Triumph in einer offenen Debatte verwehren. Dass der Zentralrat der Muslime in Deutschland das entsprechende Vertrauen in die Stabilität des Parlamentarismus hat, ehrt ihn.

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