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Bundestag würde mit dem Oppositionsmodell nicht unbedingt kleiner.
© John MacDougall/AFP

Wahlrecht für den Bundestag: Auch neuer Reformvorschlag kann zu 700 Sitzen führen

FDP, Linke und Grüne wollen der Aufblähung des Bundestags entgegenwirken - doch ihr Modell hat auch „Vergrößerungspotenzial“. Aus einem ganz bestimmten Grund.

FDP, Linke und Grüne machen sich für eine Reform des Bundestagswahlrechts stark, um die Zahl der Abgeordneten zu verringern. Am vergangenen Freitag haben sie einen Gesetzentwurf vorgestellt, den die drei Fraktionen nun ins Parlament einbringen werden – um Druck zu machen auf Union und SPD.

Der aktuelle Bundestag hat 709 Abgeordnete, nach aktuellen Umfragen könnten es bei einer Wahl derzeit um die 750 Sitze werden, und je nach Konstellation der Parteien auch mehr als 800. Die drei Oppositionsfraktionen schlagen nun vor, die bisherige Mindestsitzzahl von 598 auf 630 zu erhöhen (also den Bundestag zunächst einmal zu vergrößern), die Zahl der Wahlkreise aber von 299 auf 250 zu verringern. Damit sinkt die Zahl der Direktmandate – deren Garantie das eigentliche Problem des aktuellen Wahlrechts ist, denn Wahlkreissieger kommen immer in den Bundestag.

Wenn eine Partei (über die Erststimmen) jedoch mehr Direktmandate gewinnt, als ihr nach dem Zweitstimmenanteil überhaupt an Sitzen zustehen, dann kommt es zu Überhängen. Diese wiederum müssen durch Zusatzmandate für andere Parteien ausgeglichen werden, um den Parteienproporz wieder herzustellen. So wuchs der Bundestag bei der Wahl 2017 deutlich an, denn CDU und CSU hatten viele Überhänge.

Hier setzt der Drei-Fraktionen-Vorschlag an, der auf Modelle zurückgeht, die Linke und Grüne schon 2011 vorgestellt hatten. Der damalige Linken-Entwurf „sah wie das nun vorgeschlagene Modell vor, dass Überhänge der CDU in einem oder mehreren Ländern durch Streichung von Mandaten in anderen Landeslisten kompensiert werden können“, erklärt der Politikwissenschaftlers Joachim Behnke von der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen. „Durch die Reduktion der Wahlkreise und die Erhöhung auf 630 Mindestsitze wird es nach dem vorliegenden Entwurf insgesamt zu deutlich weniger Überhangmandaten kommen.“ Geringer würde dann laut Behnke auch der Eingriff in CDU-Listen in Ländern, in denen sie keine Überhänge hat.

Das bayerische Problem

Gar nicht gelöst wird freilich das „bayerische Problem“. Das tritt ein, wenn die CSU schwächelt, aber dennoch weiterhin alle Direktmandate in Bayern holt. Im Gegensatz zur CDU gibt es keine anderen Landeslisten für die Kompensation, CSU-Überhänge müssen ausgeglichen werden. Laut Behnke sind dafür bis zu 20 Ausgleichssitze für andere Parteien pro CSU-Überhangmandat nötig. „Damit ergibt sich weiterhin ein nicht unerhebliches Vergrößerungspotenzial“, sagte der Wahlforscher dem Tagesspiegel. „Unter bestimmten Umständen sind immer noch Bundestagsgrößen von bis zu 700 Sitzen vorstellbar.“

Das zeigen aktuelle Berechnungen Behnkes. Demnach gelingt zwar mit dem Drei-Fraktionen-Entwurf die Begrenzung auf 630 Mandate oder etwas mehr bei Ergebnissen wie der Wahl 2017 und auch dann, wenn man aktuelle Umfragen zugrunde legt. Aber es gibt eben Szenarien, in denen das nicht der Fall ist – etwa dann, wenn die Grünen schwächer abschneiden, als die Umfragen derzeit verheißen. Oder wenn eben die CSU schwächelt.

In einem Szenario mit angenommenen 33 Prozent der CSU und allen bayerischen Direktmandaten (bei 32 Prozent für die Union insgesamt, 18 für die Grünen, 15 für die SPD, 12 für die AfD, neun für die Linken und acht für die FPP) kommt Behnke so auf 678 Sitze. Nach dem bestehenden Wahlsystem kämen in dieser Konstellation 801 Sitze heraus. Schon kleine Veränderungen in den Ergebnissen der Parteien können größere Verschiebungen ergeben.

Behnkes Fazit lautet, dass der Drei-Fraktionen-Entwurf „zu einer im Vergleich zum gegenwärtigen Gesetz sehr deutlich verminderten Vergrößerung des Bundestags führen“ würde. Allerdings erreicht er nicht, dass der Bundestag stets die 598 Sitze und damit eine dauerhaft feste Größe haben wird, die das Parlament mit der Mandatsverringerung zur Wahl 2002 selbst für ausreichend gehalten hat. Der CDU-Wahlrechtsexperte Ansgar Heveling hat den Drei-Fraktionen-Entwurf schon zurückgewiesen.

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