EU ringt um Sanktionen gegen Belarus: „Auch Lukaschenko selbst muss mit Sanktionen belegt werden“
Der Chef der EVP im EU-Parlament, Manfred Weber, verlangt von Minsk, alle politischen Gefangenen freizulassen. Ansonsten muss es Sanktionen geben, fordert er.
Herr Weber, in Belarus werden die Proteste der Opposition gewaltsam niedergeschlagen. Soll die EU mit Sanktionen reagieren?
Die Europäische Union muss konsequent im Umgang mit Belarus sein. Es ist unfassbar, dass auf europäischem Boden weiterhin ein Regime wie in Minsk existiert. Unsere Forderungen sind klar: Die Gewalt muss sofort beendet, alle politischen Gefangenen, einschließlich der Demonstranten, müssen umgehend freigelassen werden, und ein ernsthafter Dialog mit der Opposition und Zivilgesellschaft muss jetzt stattfinden. Wenn sich das Regime weiterhin dagegen verweigert, brauchen wir gezielte Sanktionen gegen die Verantwortlichen. Das schließt auch ein: Alle EU-Gelder dürfen dann nur noch an die Zivilgesellschaft fließen.
Sollten auch Sanktionen gegen den belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko selbst verhängt werden?
An der Spitze der Eliten steht Präsident Lukaschenko. Er ist verantwortlich für die Eskalation. Auch Lukaschenko selbst muss mit Sanktionen belegt werden. Die Eliten im Land müssen verstehen, dass das System so nicht fortbestehen kann. Wir müssen als Europäer jetzt für die Grundwerte unseres Kontinents eintreten. Dazu zählen Meinungsfreiheit, freie Wahlen und die Grundprinzipien der Freiheit.
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Im Moment besteht in erster Linie ein Waffenembargo der EU gegen Belarus. Sie plädieren also dafür, dass neue Strafmaßnahmen gegen all jene verhängt werden, die für die Wahlfälschung und die Gewaltanwendung gegen die Demonstranten verantwortlich sind?
Es gibt niemanden, der ernsthaft glaubt, dass die Präsidentschaftswahlen vom vergangenen Sonntag fair und nach demokratischen Prinzipien verlaufen sind. Wegen dieser neuen Entwicklung muss Europa jetzt handeln. Die Gewalt gegenüber der Opposition und das Vorgehen gegenüber der Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja zeigen ganz offensichtlich, dass demokratische Standards in unserer unmittelbaren Nachbarschaft verletzt werden. Die EU hat jetzt eine große Verantwortung, um diese Diktatur auf europäischem Boden klar zurückzuweisen.
Unter den EU-Staaten sperrt sich vor allem Ungarns Regierungschef Viktor Orban gegen die Verhängung von Sanktionen. Ist das eine unheilvolle Folge der engen politischen Verbindung zwischen Orban und Lukaschenko?
Ich habe kein Verständnis dafür, wenn die EU-Mitgliedstaaten nicht zu einer gemeinsamen Positionierung bereit sind. Es geht hier nicht um politische Freundschaften, sondern um die Grundprinzipien Europas.
Litauen möchte bereits im Alleingang Sanktionen gegen Belarus verhängen. Zeigt das nicht, dass die EU in ihrer Entscheidungsfindung zu schwerfällig ist?
Generell zeigt die Entwicklung der letzten Tage auch im Fall von Belarus, dass Europa dringlich die Entscheidungsmechanismen in außenpolitischen Fragen überarbeiten muss. Gerade wenn es um die Verhängung von Sanktionen geht, ist die EU viel zu langsam. Die Zwanzigerjahre, die vor uns liegen, werden von internationalen Erschütterungen und Unsicherheiten geprägt sein. In dieser Zeit muss Europa schneller zu einer gemeinsamen Position finden. Wir müssen das Prinzip der Einstimmigkeit in außenpolitischen Fragen aufgeben und zu Mehrheitsentscheiden kommen. Nur so können wir den Blockierern den Boden entziehen. Es geht darum, das Gewicht, das wir im wirtschaftlichen Bereich haben, jetzt auch auf dem Feld der Außenpolitik einzusetzen.
Ist für die EU nicht vor allem die Tatsache maßgeblich, dass Russland als mächtiger Nachbar von Belarus nicht provoziert werden soll?
Es darf in diesen Stunden und Tagen keine taktischen Erwägungen für Europa geben. Die Menschen, die jetzt in Belarus demonstrieren, müssen wissen, dass Europa an ihrer Seite steht. Und die Machthaber, die mit Gewalt gegen die eigenen Bürger vorgehen, müssen wissen, dass sie Europa als Gegner haben. Ich plädiere dafür, dass wir im Dialog mit Moskau bleiben. Aber im Kern geht es jetzt um die Verteidigung unserer Werte.