EU-Flüchtlingsgipfel mit der Türkei: Auch dieser Gipfel kann keine Lösung bringen
Zusammen mit der Türkei wollen die EU-Staaten die Flüchtlingskrise lösen. Doch der heutige Gipfel wird bestenfalls ein kleiner Schritt zum Ziel sein. Ein Kommentar.
Eigentlich sind sich ja alle 28 einig. Wollten die Staaten der Europäischen Union vor dem Sondergipfel über die Flüchtlingskrise ihre Zielvorstellungen formulieren, ergäbe sich ein hohes Maß an Übereinstimmung: Die Außengrenzen müssen gesichert werden, die europäische Reisefreiheit nach Schengen-Prinzipien so schnell wie möglich wiederhergestellt sein, und die Flüchtlinge, die sollten am besten wegbleiben.
Die Realität sieht anders aus. Das weiß auch Angela Merkel, die einen Verhandlungserfolg dieses Gipfels so dringend braucht wie Griechenland. Dessen Rolle aber ist eine besondere, weil das Land seit Wochen von seinen Nachbarn als Auffanglager für zehntausende Hilfesuchende missbraucht wird. Die Bundeskanzlerin hofft, ähnlich wie die Griechen, auf ein Signal des Einvernehmens. Nur dadurch steigen die Chancen ihrer CDU, bei den drei kommenden Landtagswahlen keine krachende Ohrfeige frustrierter Stammwähler zu bekommen.
Tatsächlich steht Merkel mit ihrer Position in der Flüchtlingsfrage jedoch so allein, wie Deutschland in der EU niemals hätte alleinstehen dürfen. Ihr „humanitärer Imperativ“, den sie mit der Grenzöffnung für syrische Flüchtlinge am 4. und 5. September 2015 verkündete, wird von keinem anderen Land der EU im Sinne des kategorischen Imperativs von Immanuel Kant als Richtschnur für ein allgemeines Handeln empfunden – ganz im Gegenteil.
So ist sie nun in Brüssel auf das Verständnis des einzigen Konferenzteilnehmers angewiesen, der nicht Mitglied der Europäischen Union ist. Die Türkei, von ihrem stets freundlichen, in der Sache aber knallharten Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu repräsentiert, will Entgegenkommen in der Flüchtlingsfrage gegen viel Geld, schnelle Visafreiheit und Annäherung an die EU tauschen.
Das wäre kein Problem, würde sich das Regime Erdogan nicht häufig in seinem Demokratieverständnis und dem eher mittelalterlichen Frauenbild als inkompatibel mit westlichen Vorstellungen von Menschenrechten und Bürgerfreiheiten erweisen. Die Beschlagnahme der regierungskritischen Zeitung „Zaman“, von Parlamentspräsident Martin Schulz gerade im Tagesspiegel zu Recht heftig kritisiert, ist ein Schlag ins Gesicht für die Kanzlerin.
Es ist keine Koalition der Willigen in Sicht
Ohne die Türkei ist weder eine Rückführung der Flüchtlinge aus Europa in die Krisenregion möglich noch eine Austrocknung des milliardenschweren Schleppergeschäftes. Dass Europa nun der Flüchtlingskrise ohne Hilfe Dritter nicht Herr wird, hat es zum Teil selbst verschuldet. In die Sicherung der Außengrenzen investierte die so reiche EU weder viel Geld noch viel Fantasie. Griechenland, das heute am meisten leidet, ließ über viele Monate hinweg völlig uninteressiert die Flüchtlinge ohne Registrierung einfach durchreisen.
Osteuropa fühlt sich für Europas Sorgen weit weniger zuständig als für Europas Gelder, und Frankreich, traditionell Deutschlands engster Bündnispartner in allen Fragen der europäischen Kooperation, steckt in einer so tiefen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise, dass es zu gelähmt für eine aktive Rolle ist. Angela Merkels Koalition der Willigen, von der sie einmal hoffte, ihre Staaten würden freiwillig bestimmte Flüchtlingskontingente aufnehmen, bleibt eine Schimäre. Diesen Pakt könnte es ohnedies erst geben, wenn der Automatismus der unkontrollierten Zuwanderung außer Kraft gesetzt wird. Das ist kein Plädoyer für eine Obergrenze, die es schon deshalb nicht geben kann, weil die Aufnahmefähigkeit der Staaten durch zu viele Faktoren zeitlich variabel ist – die konjunkturelle Lage gehört dazu, und, ganz banal, die Jahreszeit.
Nein, diese Krise kann nur mit viel Geld und noch mehr Diplomatie da gelöst werden, wo sie entstand, in der mittelöstlichen Nachbarschaft Syriens. Aber dies endlich zu begreifen heißt einzusehen, dass auch dieser Gipfel wiederum keine Lösung bringen kann, sondern bestenfalls einen neuen, kleinen Schritt zum Ziel geht, ohne den genauen Weg dorthin wirklich schon zu kennen.