Reaktion auf das Homo-Ehe-Votum in Irland: Auch bei der Ehe für alle ändert sich der Vatikan
Pietro Parolin, der zweite Mann im Vatikan, bezeichnete das irische Votum für die Homo-Ehe als „Niederlage für die Menschheit“. Die Kritik daran war groß. Sie übersieht aber eines: Der neue Kurs von Papst Franziskus trägt durchaus Früchte - selbst bei dieser Debatte. Ein Kommentar.
Was für ein Wirbel! Als eine „Niederlage für die Menschheit“ hatte Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin das irische Votum für die Homosexuellen-Ehe bezeichnet, und schon ist die halbe Menschheit über ihn hergefallen. Aber im Ernst: War denn eine andere Reaktion zu erwarten?
Von Seiten des Vatikans zum einen, zum anderen aber auch von Seiten dieser Welt, die zwar – seit Franziskus Papst ist – viel aufmerksamer auf alles hört, was aus Rom kommt, sich aber dann doch nur an einzelnen Schlagzeilen und verkürzten Zitaten hochzieht. An jenem von der (gar nicht so) katholischen Vermehrung nach Kaninchenart zum Beispiel, an der „Faust“, die Franziskus jeden spüren lassen will, „der meine Mutter beleidigt“, oder an seiner scheinbar ganz anders gearteten Bemerkung: „Wenn jemand schwul ist und mit gutem Willen den Herrn sucht, wer bin ich, dass ich über ihn urteile?“
Was gilt denn nun? Dafür muss man schon genauer hinschauen. Es macht aber die Antwort nicht einfacher. Denn Franziskus mag eine sehr dezidierte Meinung darüber haben, was an Lehre gilt. Genauso entschieden meint er aber auch, dass sich in der Kirche sehr viel ändern muss. Franziskus fährt doppelgleisig. Gerade die Synode, die er zur Beratung über die Familien- und Sexualmoral einberufen hat, beweist das. Erstmals findet eine solche Bischofsversammlung in zwei Etappen statt – mit einem vollen Jahr zur Diskussion und zur Schärfung der Gedanken dazwischen. Franziskus hat den Bischöfen dabei volle Redefreiheit zugestanden, und das bei einem Thema, das unter Johannes Paul II. und Benedikt XVI. dogmatisch betoniert war wie kein zweites
Der Franziskus-Kurs ist riskant - und er irritiert
Das ist neu für diese Kirche, damit kann sie noch nicht umgehen. Auch gibt Franziskus nur Impulse für die Diskussion; eine Richtung gibt er mit voller Absicht nicht vor. Dieser Papst führt anders. Er will die Synodendebatte nicht von vornherein einengen, weil er mit der Kollegialität der Bischöfe Ernst macht. Weil er der Weltkirche Gehör verschaffen will, nach all den Jahren, in denen sich allein der Vatikan Gehör verschafft hat – und weil er nicht im beständigen Wiederholen alter Lehrsätze dekretieren, sondern im Gebrause einer Diskussion herausfinden will, was der Heilige Geist heute seiner Gemeinde sagt.
Wenn es einen Franziskus-Kurs gibt, dann diesen. Er ist riskant. Er irritiert. Aber er zeigt bereits Früchte. Es gibt Parolins persönliche Feststellung, aber keinen formellen Protest gegen das Votum der Bürger in Irland. Die katholische Hierarchie verstößt damit gegen eigene Vorschriften, in diesem Fall gegen eine Anordnung der Glaubenskongregation, die allen Kirchenvertretern noch 2003 einen „klaren und deutlichen Einspruch gegen so schwerwiegend ungerechte Gesetze“ zur Pflicht gemacht hatte.
Statt die böse Welt mit ihrer „Kultur des Todes“ zu verteufeln, richtet sich der neue Blick der katholischen Kirche nach innen. Auch Parolin sagte in seinem zweiten, nicht überall zitierten Satz, die Kirche müsse sich heute „der Realität stellen“. Diese Realität ist besonders drastisch durch die irische Abstimmung, zuvor aber bereits durch den kircheneigenen, dank Franziskus an der Basis verteilten Fragebogen mitten in die Synodenaula hinein vorgedrungen: Selbst unter konservativen Gläubigen, unter solchen sogar, die – wie jetzt in Irland – in ihrer Mehrheit womöglich sogar eine katholische Schule durchlaufen haben, kommt die alte Moral nicht mehr an. Und als Erkenntnis noch bedeutsamer: die Kirche selbst könnte daran schuld sein.
Die Frontlinien verlaufen auch zwischen Afrika und Europa zum Beispiel
Welche Schlüsse die Bischöfe daraus bei der zweiten, definitiven Synodenrunde im Oktober ziehen werden, bleibt offen. Die Frontlinien der bereits jetzt sehr harten Diskussion verlaufen nicht nur zwischen Traditionalisten und Progressiven, sondern auch zwischen unterschiedlichen Kulturen, zwischen Afrika und Europa zum Beispiel, und sie verlaufen zwischen bischöflichen Individuen, von denen jeder seine ganz persönlichen Erfahrungen hat mit Familie, mit deren Scheitern und – weil ja vieles offener ausgesprochen wird als noch vor zehn, zwanzig Jahren – auch mit Schwulen, mit deren real existierenden Lebensgemeinschaften, sowie mit homosexuellen Priestern, die es nach alter vatikanischer Anordnung gar nicht geben dürfte. Hinter der Lehre kommen heute Lebensgeschichten zu Wort.
Beides aufeinander abzustimmen, ohne dass keine Dimension ihr eigenes Recht verliert, das hat Franziskus seiner Kirche und sie sich selbst zur Aufgabe gemacht. Das braucht seine Zeit, da geht’s ja auch um ewige Wahrheiten. Wer sich nur über einen Satz von Kardinal Parolin empört, versperrt sich selbst den Blick auf eine viel weitere, viel spannendere Realität.