Drei Tote in Magnanville nahe Paris: Attentäter filmte live am Tatort
Die französische Polizei hat einen Mann erschossen, der in einem Pariser Vorort einen Polizisten und dessen Partnerin getötet hat. Der vorbestrafte Täter hatte sich auf den IS berufen.
Frankreichs Staatspräsident François Hollande sprach am Dienstag von einem „entsetzlichen Drama“. Erneut wird Frankreich von einem Terrorakt erschüttert. Aber anders als von vielen befürchtet, wählte der Attentäter – der 25-jährige Larossi Abballa – nicht die Fußball-Europameisterschaft als Ziel, sondern die Polizei. Zunächst erstach Abballa im Pariser Vorort Magnanville einen Polizisten in Zivil vor dessen Wohnhaus. Anschließend tötete er in der Wohnung die Lebensgefährtin des Polizisten. Der dreijährige Sohn des Paares überstand die Terrortat physisch unverletzt. Noch während der Bluttat bekannte sich der 25-Jährige nach Polizeiangaben zur Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS). Der Mann starb bei einem Einsatz der Polizei-Spezialeinheit RAID.
Der Doppelmord an den beiden französischen Beamten ist nach Worten von Frankreichs Präsident Hollande "zweifellos ein Terrorakt". Das Paar sei "feige von einem Terroristen ermordet worden", sagte Hollande am Dienstag in Paris. "Frankreich steht einer sehr großen terroristischen Bedrohung gegenüber." Das gelte aber nicht nur für Frankreich, sagte er unter Verweis auf die Gewalttat von Orlando.
Die Bewohner des Viertels in der 6000-Einwohner-Gemeinde Magnanville können es noch nicht fassen, dass in ihrem Viertel ein Terrorist zugeschlagen haben soll. „Hier passiert nie etwas“, sagt eine Anwohnerin französischen Journalisten.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat den islamistischen Angriff mit scharfen Worten verurteilt. Der Angriff führe so kurz nach dem schrecklichen Anschlag in Orlando erneut vor Augen, "welche mörderischen Konsequenzen blinder Hass gegenüber Anderen und extremistisches Gedankengut in der Gesellschaft hat", sagte Steinmeier am Dienstag am Rande seines Besuchs in Albanien der Nachrichtenagentur AFP. "Ich verurteile diesen feigen Anschlag auf das Schärfste. Terror ist durch nichts zu rechtfertigen." Deutschland stehe fest an der Seite "unserer französischen Freunde, der Angehörigen und Freunde der Opfer".
Berichte: Attentäter von Paris übertrug Terrorangriff über Facebook
Der Attentäter soll seinen Angriff über seinen Facebook-Account übertragen haben. Das berichtete der als Dschihadismus-Experte geltende Journalist David Thomson, der für den französischen Sender RFI arbeitet, auf seinem Twitter-Account. Andere Medien beriefen sich auf entsprechende Angaben von Ermittlern. Der Attentäter soll auch Fotos seiner Opfer gepostet haben.
Der Facebook-Account soll inzwischen gelöscht worden sein. Nach Angaben von Thomson veröffentlichte der Täter auch eine Aufforderung, Polizisten, Gefängniswärter, Journalisten und Rap-Musiker zu töten. Dabei habe er zahlreiche Namen genannt. Das Kind sei auf einem Sofa zu erkennen gewesen. Der Attentäter habe gesagt, er wisse noch nicht, was er mit dem Kind machen solle. In einer Botschaft über das soziale Netzwerk soll er demnach das Attentat in Verbindung mit dem Fußballturnier gebracht haben: "Die EM wird ein Friedhof werden."
Abballa war für die französischen Justizbehörden kein Unbekannter. Im Mai 2011 war er festgenommen worden. 2013 war er wegen der Mitgliedschaft in einem Terrornetzwerk zu drei Jahren Haft verurteilt worden, von denen sechs Monate zur Bewährung ausgesetzt wurden. Das Netzwerk hatte sich zum Ziel gesetzt, Islamisten in Frankreich zu rekrutieren und sie anschließend nach Pakistan zur Terror-Ausbildung zu schicken.
Nach Angaben des Radiosenders „France Info“ stand Abballa unter der Überwachung des französischen Inlandsgeheimdienstes DGSI, seit er im September 2013 aus der Haft entlassen wurde. Zuletzt stand er wieder im Visier der Ermittler, diesmal wegen einer Gruppe mit Verbindungen nach Syrien, wie aus Ermittlerkreisen verlautete. Am Dienstag teilte Staatsanwalt François Molins mit, dass sich aus der Telefonüberwachung Abballas keine Hinweise darauf ergeben hätten, dass der 25-Jährige eine Gewalttat begehen würde. Zudem bestätigte er, dass Abballa um Montagabend um 20.52 Uhr ein Bekennervideo bei Facebook hochlud. Nähere Angaben zum Inhalt des Videos machte der Anti-Terror-Ermittler nicht. Der 25-jährige Islamist veröffentlichte demnach auch zwei Tweets, in denen er sich zu der Tat bekennt.
Angesichts des neuerlichen Terroraktes warf der Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon, der als Kandidat bei der Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr antreten will, den französischen Sicherheitsbehörden Versagen vor. Der Generalsekretär der konservativen Republikaner, Eric Ciotti, forderte die Einrichtung von „Haftzentren“ für potenzielle Gefährder wie Larossi Abballa. Es könne nicht angehen, dass sich Personen wie Abballa völlig frei bewegen könnten, wenn die Sicherheitsbehörden ihr Gefahrenpotenzial kennen, sagte Ciotti.
Die Attacke genau sieben Monate nach den Pariser Terroranschlägen vom 13. November fällt mit der Fußball-EM in Frankreich zusammen, die aus Furcht vor Anschlägen von Zehntausenden Polizisten geschützt wird. Weder französische Politiker noch Polizei haben bislang einen Zusammenhang zur Fußball-EM hergestellt. Die Anti-Terror-Abteilung der Pariser Staatsanwaltschaft zog den Fall aufgrund des Vorgehens, des Ziels und der Äußerungen des Täters an sich.
Die vom IS als Sprachrohr genutzte Nachrichtenagentur "Amaq" berichtete unter Verweis auf eine nicht näher spezifizierte Quelle, dass der Täter Kämpfer des IS gewesen sei. Bei der Attacke auf den Polizisten vor dessen Haus in der Gemeinde Magnanville soll der Mann laut Augenzeugen auf Arabisch „Allah ist groß“ gerufen haben, wie die Zeitung „Le Parisien“ berichtete.
„In diesem Moment ist der Schmerz unermesslich“, sagte der Präfekt des Départements Yvelines, Serge Morvan.
Frankreich war im vergangenen Jahr mehrfach Ziel islamistischer Terroranschläge, denen insgesamt 149 Menschen zum Opfer fielen. Die schwerste Anschlagserie ereignete sich am 13. November, als IS-Terroristen mit Sturmgewehren und Sprengstoffgürteln im Pariser Musikclub „Bataclan“, am Stade de France sowie in Bars und Restaurants der Hauptstadt 130 Menschen ermordeten.
Im Vorfeld der laufenden Fußball-EM hatten Behörden immer wieder auf eine anhaltend hohe Terrorgefahr in Frankreich hingewiesen. Nach übereinstimmenden Angaben gab es aber keine konkreten Hinweise auf Anschlagspläne gegen das Turnier.
Nach dem jüngsten Massaker in einem vor allem von Homosexuellen besuchten Club in der US-Großstadt Orlando hatte die IS-nahe Agentur „Amaq“ ebenfalls behauptet, der Täter gehöre zu der Terrororganisation. Auch dort hatte sich der Todesschütze im Kontakt mit der Polizei zu islamistischen Terrororganisationen bekannt, allerdings passen seine verschiedenen Äußerungen nach Angaben der US-Bundespolizei FBI dem ersten Anschein nach nicht zusammen. (mit dpa, AFP)