Afghanische Flüchtlinge: Asyl politisch nicht gewünscht
Flüchtlinge aus Afghanistan sind für die Bundesregierung heikel – das spiegelt sich in den Anerkennungszahlen wider. Jeder zweite Antrag wird abgelehnt, obwohl die UN Schutz empfehlen.
- Ulrike Scheffer
- Antje Sirleschtov
Bei Asylverfahren afghanischer Flüchtlinge spielen politische Erwägungen offenbar eine größere Rolle als die Genfer Flüchtlingskonvention: Immer weniger Flüchtlinge aus Afghanistan erhalten Schutz in Deutschland, obwohl sie nach Auffassung der UN unter die Genfer Flüchtlingskonvention fallen. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Anfrage des Bundestagsabgeordneten Volker Beck (Grüne) hervor, die sich explizit auf afghanische Männer bezog. Demnach wird inzwischen jeder zweite Antrag männlicher Asylbewerber aus Afghanistan abgelehnt. Das UN-Flüchtlingshilfswerk hält Männer allerdings für besonders gefährdet. „Männern im wehrfähigen Alter droht oftmals die Zwangsrekrutierung durch nichtstaatliche Milizen wie etwa die Taliban oder Daesch (die arabische Abkürzung für den „Islamischen Staat“). Das ist politische Verfolgung, die auch Minderjährige betrifft“, erklärt Beck. Männer im wehrfähigen Alter sollten laut UNHCR daher als Flüchtlinge anerkannt werden.
Immer mehr Ablehnungen
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) berücksichtigt die UN-Richtlinien aber offensichtlich nicht, wie aus den Angaben der Regierung hervorgeht. Insgesamt bearbeitete das Amt in den ersten sieben Monaten 2016 demnach Anträge von 8590 afghanischen Jungen und Männern. 3867 erhielten einen ablehnenden Asylbescheid. Die nach einzelnen Monaten aufgeschlüsselten Zahlen zeigen auch, dass die Tendenz zur Ablehnung seit Januar deutlich angestiegen ist. Dabei hat sich die Lage in Afghanistan eher verschlechtert als verbessert. „Wenn es um afghanische Flüchtlinge geht, sind die Entscheidungen des Bamf offenbar politisch motiviert. Angesichts der weiterhin äußerst prekären Menschenrechtslage vor Ort ist die Zahl der Ablehnungen jedenfalls sehr befremdlich“, sagt Beck. Der UNHCR schrieb im April in einem Afghanistan-Dossier, die Sicherheitslage habe sich 2015 gravierend verschlechtert, was zu einem Rekordstand von konfliktbedingten zivilen Opfern geführt habe. „Die Verbreitung von regierungsfeindlichen Kräften mit verschiedenen Zielen und Agenden, insbesondere von Gruppierungen mit Verbindungen zum IS, haben die Situation weiter erschwert“, heißt es darin.
Politische Argumente
Die Bundesregierung leugnet die Probleme in Afghanistan nicht. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) sagt aber, es gebe dort auch sichere Regionen, in denen Rückkehrer angesiedelt werden könnten. Als „entscheidenden Punkt“ für den Umgang mit afghanischen Flüchtlingen nannte er kürzlich im Tagesspiegel-Interview jedoch ein politisches Motiv: „Gemeinsam mit ihren afghanischen Kolleginnen und Kollegen bemühen sich deutsche Soldaten und Polizisten tagtäglich um mehr Sicherheit in Afghanistan. Gleichzeitig verlassen junge Afghaninnen und Afghanen ihr Land und suchen in Europa nach einer besseren Zukunft. Das verkraftet dieses Land nicht. Das geht nicht.“ Ähnlich sieht das der CSU-Bundestagsabgeordnete Max Straubinger: Weil ein Teil Afghanistans von deutschen Truppen geschützt werde, gebe es „keinen nachvollziehbaren Grund, dass die Menschen von dort fliehen und nach Deutschland kommen“. Aus Sicht Straubingers ist es daher folgerichtig, dass nur etwa 50 Prozent der aus Afghanistan Geflüchteten positive Asylbescheide erhalten.