Kampf um letzte Rebellenbastion: Assads Soldaten greifen Idlib an
Es ist das letzte Rückzugsgebiet für Assads Widersacher. Nun scheint die Offensive gegen Idlib zu beginnen. Beherrscht der Präsident bald wieder das ganze Land?
Der ohnehin brüchige Waffenstillstand für die syrische Rebellenprovinz Idlib steht endgültig vor dem Scheitern. Heftige Angriffe der Regimetruppen von Machthaber Baschar al Assad und russischer Kampfjets haben Dutzende Menschen getötet und Abertausende in die Flucht getrieben.
Assads Armee und russische Einheiten gehen seit Tagen gegen die letzte Bastion der Aufständischen vor. Der Opposition zufolge will das Regime in Damaskus die durch Idlib führenden Abschnitte zweier wichtiger Überlandstraßen erobern.
Die Verkehrswege verbinden die Wirtschaftsmetropole Aleppo im Norden mit Städten im Westen und Süden Syriens und bilden bisher eine reiche Einnahmequelle für islamistische Rebellen, die mit Mautzahlungen viel Geld verdienen.
Das Gebiet wird von Islamisten kontrolliert
Syrische Elitetruppen stehen laut Medienberichten bereit, um die Islamisten und die pro-türkische Nationale Befreiungsfront weiter zurückzudrängen. Ankara will eine Großoffensive verhindern, weil dies mehrere hunderttausend Flüchtlinge in die Türkei treiben könnte, und hatte deshalb im September mit Moskau den Waffenstillstand ausgehandelt.
Damaskus und Moskau werfen der Türkei jedoch vor, nicht energisch genug gegen Islamisten in Idlib vorzugehen. Die Provinz wird im Wesentlichen von der Dschihadistenmiliz Haiat Tahrir al Scham beherrscht, die dem Terrornetzwerk Al Qaida nahesteht. Ein Vorstoß syrischer Soldaten auf Idlib – Bodentruppen sollen bereits im Einsatz sein – könnte den Auftakt zu dem von der Türkei befürchteten Generalangriff bilden.
Dass die Kämpfe gerade jetzt wieder zunehmen, hat auch mit Vorbereitungen der Konfliktparteien auf die Zeit nach einem Ende des Krieges zu tun. Assads Regierung hat geschworen, alle Teile des Landes wieder unter ihre Kontrolle zu bringen, also auch Idlib und die von der Türkei besetzten Landstriche um die nordsyrischen Städte Afrin und Dscharablus.
Die Kurden wollen die Macht in ihrem Herrschaftsgebiet sichern, doch ihre Interessen kollidieren mit denen Ankaras. Die Türkei will einen kurdischen Gebietskorridor entlang ihrer Südgrenze keinesfalls zulassen und droht mit einem massiven militärischen Schlag gegen die syrische Kurdenmiliz YPG.
Viel Zeit, die jeweils eigene Position zu stärken, bleibt den Kriegsparteien nicht mehr. Die seit mehr als zwei Jahren andauernden Gespräche über Zusammensetzung und Zuständigkeiten einer syrischen Verfassungskommission sind inzwischen offenbar weit gediehen.
Kommt die Verfassungskommission schon bald?
Die Kommission soll ein neues Grundgesetz für Syrien ausarbeiten und freie Wahlen vorbereiten. Eine landesweite Waffenruhe wäre eine Voraussetzung für die Arbeit des Gremiums – deshalb wollen alle Kriegsparteien jetzt möglichst günstige Positionen für sich herausschlagen.
Der UN-Syrienbeauftragten Geir Pedersen geht davon aus, dass die 150 Mitglieder starke Kommission in den Sommermonaten ihre Arbeit aufnimmt. Moskauer Angaben zufolge soll nach Ende des heiligen islamischen Fastenmonats Ramadan Anfang Juni eine Einigung verkündet werden. Das bedeutet, dass sich die Lage in Idlib zumindest in den kommenden Wochen vermutlich verschärfen wird.
Dabei gehört das Gebiet zu einer der „Deeskalationszonen“, in denen die Waffen schweigen und somit die Gewalt eingedämmt werden soll. Doch davon kann kaum die Rede sein. Seit Monaten gibt es Gefechte. In den vergangenen Wochen hat die Intensität der Kämpfe sogar noch einmal deutlich zugenommen. Aktivisten berichten zum Beispiel, dass mehrfach Kliniken mit Fassbomben attackiert worden seien.
Vertrieben nach Idlib
In dem Gebiet leben rund drei Millionen Menschen, fast die Hälfte von ihnen sind Flüchtlinge etwa aus Aleppo und Ost-Ghouta, wo viele Widersacher Assads vertrieben wurden. Helfer warnen seit Langem vor einer humanitären Katastrophe in Idlib, sollte es zu einer Offensive kommen.
Allein seit September sind dem UN-Nothilfebüro Ocha zufolge 300.000 Menschen vor den heftigen Angriffen in andere Gebiete geflohen. Bald könnten es noch sehr viel mehr werden.