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Zivilisten flüchten vor den Bombardements der russischen Luftwaffe in der syrischen Provinz Idlib.
© AFP

Krieg in Syrien: Assad-Offensive vertreibt 400.000 Menschen

Die UN beklagen Kriegsverbrechen bei Angriffen des Assad-Regimes auf Idlib. Innerhalb von vier Wochen wurden mehr Kinder getötet als im ganzen letzten Jahr.

Die syrische Regierung und Russland begehen bei der Eskalation ihrer Angriffe in der Rebellenhochburg Idlib nach Einschätzung der UN sehr wahrscheinlich Kriegsverbrechen. UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet sagte am Freitag, allein seit Mitte Juli seien mindestens 103 Zivilisten bei Luftangriffen in Idlib ums Leben gekommen. Das Hilfswerk Save the Children meldete, in der Provinz seien in den letzten vier Wochen mehr Kinder getötet worden als im ganzen vergangenen Jahr. Mehr als 400.000 Menschen sind seit Beginn der Offensive vor drei Monaten vertrieben worden.

Seit Ende April gehen die syrischen Regierungsstreitkräfte und die russische Luftwaffe verstärkt gegen Rebellen in Idlib vor, das letzte Gebiet in Syrien, das nach mehr als acht Jahren Bürgerkrieg noch von Aufständischen gehalten wird. Damaskus und Moskau begründen die Angriffe in dem nominellen Waffenstillstandsgebiet mit dem Argument, die Offensive richte sich nur gegen Terrorgruppen.

Idlib wird von der Al-Qaida-nahen Miliz Hayat Tahrir al-Scham (HTS) dominiert. Zudem haben sich dort andere kriegserfahrene Kämpfer zusammengefunden, darunter Islamisten aus Tschetschenien und China sowie Mitglieder pro-türkischer Gruppen. In Idlib leben zudem rund drei Millionen Zivilisten, von denen etwa jeder zweite aus anderen Teilen Syriens dorthin geflohen ist.

Syrer und Russen verstärkten zuletzt ihre Luftangriffe, weil die Rebellen den Vormarsch der Regierungstruppen am Boden zum Stillstand gebracht hatten.

Die UN versuchten Schulen und Kliniken zu schützen, indem sie den Konfliktparteien die Koordinaten von Schulen und Kliniken zur Verfügung stellten. Hilfsorganisationen werfen den syrischen und russischen Streitkräften jedoch vor, die Daten zu gezielten Angriffen auf diese Gebäude zu missbrauchen.

Angriffe auf zivile Ziele

„Das sind zivile Einrichtungen“, sagte UN-Kommissarin Bachelet. „Es erscheint angesichts des regelmäßigen Musters der Angriffe sehr unwahrscheinlich, dass sie alle zufällig getroffen werden“, fügte sie hinzu. „Absichtliche Angriffe auf Zivilisten sind Kriegsverbrechen", betonte Bachelet. Seit dem Beginn der Offensive im April sind nach ihren Angaben mindestens 450 Zivilisten getötet worden. Der internationalen Gemeinschaft warf sie vor, die Entwicklung mit einem „kollektiven Schulterzucken“ hinzunehmen.

Save the Children teilte mit, bei den Angriffen in Idlib seien seit dem 24. Juni bisher 33 Kinder ums Leben gekommen, das seien mehr als die 31 Todesopfer im gesamten Jahr 2018 in der Provinz. Die Organisation beschrieb die Lage in dem Gebiet als einen „Albtraum“.

Die Grenze zwischen Idlib und der benachbarten Türkei im Nordosten der Provinz ist geschlossen, doch viele Menschen suchen in unmittelbarer Nähe des Grenzzauns Schutz. Asaad Hanna, ein syrischer Aktivist in der Türkei, sagte, die Flüchtlinge würden von der örtlichen Bevölkerung und einigen Hilfsorganisationen versorgt. Die Türkei, die mit einem wachsenden Unmut ihrer Bevölkerung angesichts von 3,6 Millionen Syrern im Land konfrontiert ist, befürchtet einen neuen Flüchtlingsansturm aus Idlib.

Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte im September mit dem russischen Staatschef Wladimir Putin eine Vereinbarung zur Beruhigung der Lage in der syrischen Provinz getroffen. Damaskus und Moskau betonen jedoch, Ankara habe es trotz damaliger Zusagen nicht geschafft, HTS und andere islamistische Gruppen zur Mäßigung zu bewegen.

Während die Kämpfe in Idlib eskalieren, drohte Erdogan am Freitag erneut mit einem türkischen Einmarsch im kurdisch beherrschten Nordosten Syriens. Dort will die Türkei die von den USA unterstützte Kurdenmiliz YPG aus einem 30 Kilometer tiefen Gebietsstreifen auf der syrischen Seite der Grenze vertreiben. Gespräche mit den USA über das Thema waren in den vergangenen Tagen gescheitert. Ankara argumentiert, nach Einrichtung der geplanten „Sicherheitszone“ im Nordosten Syriens könnten dort syrische Flüchtlinge angesiedelt werden.

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