Historische Entscheidung: Argentiniens Parlament will Abtreibungsrecht liberalisieren
Viele Argentinierinnen feiern die Entscheidung des Parlaments als historischen Etappensieg; dass der Senat auch zustimmt, ist aber nicht sicher.
Die Lager standen sich unversöhnlich gegenüber. Auf der einen Seite die überwiegend in Grün gekleideten Verfechter einer Liberalisierung der Abtreibungsregeln in Argentinien. Auf der anderen Seite, nicht weit davon entfernt, hatten sich die Kritiker der Initiative postiert, um sich für den Schutz des ungeborenen Lebens einzusetzen.
Getrennt waren die beiden Parteien nur durch ein Absperrgitter mit Sicherheitsabstand. Die Abtreibungsgegner ließen per Leinwand und Lautsprecher den Herzschlag eines ungeborenen Kindes übertragen. Drinnen im Kongress von Buenos Aires lieferten sich derweil die Parlamentarier hitzige Wortgefechte.
Nach 22 Stunden Debatte stand ein historisches Abstimmungsergebnis fest: 129 Parlamentarier votierten für das Vorhaben, das Abtreibungen bis zur 14. Schwangerschaftswoche erlauben soll, 125 Abgeordnete entschieden sich dagegen. Nun fehlt noch die Zustimmung des Senats, die aber keineswegs sicher ist.
Konservativer Präsident Macri hob Fraktionszwang auf
Vor der Abstimmung am Donnerstag hatte der konservative Staatspräsident Mauricio Macri den Fraktionszwang für sein Regierungsbündnis „Cambiemos“ aufgehoben. Jeder solle gemäß seiner persönlichen Überzeugung abstimmen. Damit war der Weg frei für eine emotionale Diskussion, die zwischen den Rechten der Frau und den Rechten ungeborener Kinder hin und her wogte. Danach stellte Macri dem argentinischen Parlament ein positives Zeugnis aus. Die historische Debatte sei „voller Respekt und Toleranz“ geführt worden.
Einige Kommentatoren sprachen gar von einer Sternstunde der argentinischen Demokratie, unabhängig vom Ergebnis. Stunden nach dem Votum meldete sich die Argentinische Bischofskonferenz zu Wort. Sie hatte sich im Vorfeld klar gegen eine Lockerung der Abtreibungsregeln ausgesprochen. „Die Abgeordnetenkammer hat dem Projekt der Legalisierung von Abtreibungen zugestimmt. Uns als Argentinier schmerzt diese Entscheidung“, so die Bischöfe in ihrer Stellungnahme. Aber der Schmerz müsse sich nun in Kraft und Hoffnung verwandeln, um den Kampf für die Würde allen menschlichen Lebens fortzusetzen.
Innenpolitisch ist die Entscheidung bemerkenswert. Denn mit Macri ist es ausgerechnet ein konservatives Staatsoberhaupt, das den Weg zu einer freien Abstimmung überhaupt erst möglich machte. Unter Macris Vorgängerin, der Linkspopulistin Cristina Kirchner, die sich gerne auch einen feministischen Anstrich verpasste, war dies so nicht möglich.
Jährlich zwischen 350.000 und 500.000 Schwangerschaftsabbrüche
Das Verhältnis zwischen der katholischen Kirche und Macri gilt ohnehin als angespannt, weil Papst Franziskus nach Einschätzung vieler Beobachter eher mit dem Kirchner-Lager sympathisiert als mit dem bürgerlichen Regierungschef. Macris liberale Haltung in der Abtreibungsdebatte dürfte das Verhältnis zur Kirche nicht gerade verbessern. Allzu deutlich wird nun, dass der Präsident kaum mehr Rücksicht auf Belange der katholischen Kirche nimmt.
In Argentinien ist wie in vielen anderen Ländern Lateinamerikas eine Abtreibung nur nach einer Vergewaltigung oder bei Lebensgefahr für die Mutter legal. Eine weitreichende Legalisierung wie in vielen europäischen Ländern gibt es bisher nur in Uruguay, Kuba und MexikoStadt.
Frauenrechtsorganisationen zufolge werden in Argentinien jährlich zwischen 350.000 und 500.000 Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen. Dabei kommt es immer wieder zu Komplikationen und Todesfällen, weil viele Eingriffe in illegalen Kliniken ohne professionelle ärztliche Aufsicht stattfinden. (KNA)