Öffentlich-rechtlicher Rundfunk: ARD & ZDF: Mehr Demokratie wagen!
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steckt in der Sinnkrise. Privatfernsehen, Internet und neue Rundfunkgebühr befördern eine Grundsatzdebatte. Als Regel müsste gelten: Wer zahlt, darf auch mitreden. Ein Kommentar.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk nimmt pro Jahr 7,5 Milliarden Euro ein. Das ist eine Milliarde mehr, als das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zur Verfügung hat. In beiden Fällen erfolgt die Abgabe unfreiwillig. Auch wer nie Radio hört oder Fernsehen guckt, muss die Rundfunkgebühr von monatlich 17,98 Euro bezahlen – ebenso wie Gegner der Entwicklungshilfe Steuern entrichten müssen.
Dennoch gibt es zwei entscheidende Unterschiede. Sie machen sich fest an den Begriffen „Transparenz“ und „Demokratie“. Die Verwendung von Steuergeldern ist sehr transparent. Darauf achtet allein schon der Bund der Steuerzahler. Außerdem kann jeder Steuerzahler regelmäßig in freien und geheimen Wahlen seine politischen Präferenzen und Prioritäten zum Ausdruck bringen. Mehr Geld für den Umweltschutz? Grüne wählen. Weniger Geld für Verteidigung? Linke wählen. Weniger Steuern? FDP wählen.
Bei der Boston Tea Party im Jahre 1773 wurde der urdemokratische Slogan „no taxation without representation“ (keine Besteuerung ohne gewählte Repräsentanten) geprägt. Damals hatte das Parlament in London Steuern in den nordamerikanischen Kolonien erhoben. Dagegen wehrten sich die Vertreter der Kolonien, weil sie als britische Bürger zwar wahlberechtigt waren, aber von diesem Recht wegen der großen Distanz zwischen Amerika und England keinen Gebrauch machen konnten. Britische Staatsrechtler widersprachen: Die Repräsentation der Kolonien erfolge indirekt über die im Parlament vertretenen Körperschaften wie Adel, Städte, Geistlichkeit und einfaches Volk.
Die Eskalation dieses Konflikts führte zwei Jahre später zum Ausbruch des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges. Nicht ganz so groß, aber doch erheblich ist der Legitimationsdruck, der auf dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk lastet. In seine erste Identitätskrise geriet er in den achtziger Jahren durch die Konkurrenz des privaten, kommerziellen Rundfunks. Wozu noch Trash, Soaps und Quiz, wenn das die Kollegen von RTL und Sat 1 nicht schlechter machen? Die zweite Identitätskrise verursachte die Internet-Revolution. Besonders die Jugend wandert zunehmend zu YouTube und anderen digitalen Kanälen ab.
Wie massentauglich muss das Programm sein – und warum weiter auch werbefinanziert?
Als dann noch ab Anfang 2013 die Umstellung der Finanzierung auf eine zwangsweise zu entrichtende Haushaltsabgabe hinzukam, verwandelte sich die Nörgelei über einzelne Formate recht schnell in eine Grundsatzdebatte. Wie massentauglich muss das Programm sein – und warum weiter auch werbefinanziert? Wie viele Mittel sollten in Online-Auftritte, Apps, diverse Nischensender fließen? Ist es ein Privileg, kein Massenprogramm anbieten zu müssen, oder bedarf es auch künftig durch Quoten eines Gradmessers für die Akzeptanz von Sendungen?
In Sachen Transparenz hat sich bei den Öffentlich-Rechtlichen bereits einiges verbessert. Kurz vor Einführung der Haushaltsabgabe, im Dezember 2012, versprach der Intendant des Deutschlandradios, Willi Steul: „Wir müssen der Gesellschaft nachweisen, wofür wir das Geld brauchen.“ Im Herbst 2013 legte die ARD dann zumindest in groben Zügen offen, wofür sie die 5,5 Milliarden Euro im Jahr (das ZDF erhält rund 1,8 Milliarden) braucht. Der Sport etwa kostet rund 300 Millionen Euro, der „Tatort“/„Polizeiruf“ 62 Millionen, die Talkshows 41 Millionen.
ARD und ZDF sind Dunkelkammern
Doch auf Details, gerade zu einzelnen Sendungen, wartet der Medienkonsument bisher vergeblich. Das betrifft auch die Höhe von Reisekosten, Honoraren, Aufwandsentschädigungen. Kuchendiagramme sind allenfalls eine erste Annäherung. In Behörden wird jede Briefmarke vermerkt. Im Vergleich dazu sind ARD und ZDF Dunkelkammern, in denen ein paar Kerzen brennen.
Das größte Manko indes ist die Demokratieresistenz der Öffentlich-Rechtlichen. Der Rundfunkrat wählt den Verwaltungsrat und den Intendanten. Der Intendant wiederum ist für die Programmgestaltung verantwortlich. Er achtet darauf, dass umfassend und ausgewogen Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung angeboten werden. Keines dieser Gremien aber können die Gebührenzahler durch Mitsprache oder Wahl in irgendeiner Weise beeinflussen.
Dabei wäre das so spannend wie akzeptanzfördernd: Drei Kandidaten für das Amt des Intendanten stellen sich und ihre Programmstruktur zur Wahl. Sie müssen werben, argumentieren, überzeugen. Der mündige Zuschauer wäre nicht länger das Angstgespenst der Öffentlich-Rechtlichen, sondern ihr Ideal. Wie in einer echten Demokratie.