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Bei Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen trugen Teilnehmer wiederholt gelbe Sterne mit der Aufschrift "ungeimpft" - hier ein Foto von einer Kundgebung in Berlin Anfang April.
© Christophe Gateau/dpa

Querdenker und Judenfeindlichkeit: Antisemitismusbeauftragter für Verbot des gelben Sterns auf Demonstrationen

Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, appelliert an die Kommunen, das Tragen eines gelben Sterns auf Demonstrationen zu untersagen.

Herr Klein, die Zahl der antisemitischen Straftaten ist im vergangenen Jahr auf mehr als 2300 gestiegen und hat einen neuen Höchststand erreicht. Was sagt das über Deutschland aus?
Das ist erschreckend, aber nicht verwunderlich. In Zeiten der Krise sind Menschen offener für irrationale Erklärungsmuster, dazu zählen auch antisemitische Stereotypen. Leider hat es in Deutschland seit Jahrhunderten Tradition, dass Juden für Krisen verantwortlich gemacht werden. Das kommt zumeist von Rechtsextremen und Verschwörungsideologen. Aber auch im linken Spektrum wird judenfeindlich argumentiert.

Das ist kein neues Phänomen.
Neu ist aber, dass diese Gruppen, die bislang kaum oder nie etwas miteinander zu tun hatten, jetzt auf Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen oder im Netz gemeinsame Sache machen. Der Antisemitismus ist dabei der Kitt, der die sehr unterschiedlichen Gruppen zusammenhält. Natürlich sind nicht alle Gegner der Corona-Maßnahmen Antisemiten. Aber Menschen, die von sich selbst behaupten, sie stünden in der Mitte der Gesellschaft, lassen es zu, dass Antisemiten die Proteste kapern.

Wie können diese Menschen erreicht werden?
Die mediale und damit öffentliche Aufmerksamkeit ist sehr wichtig. Die Frau, die sich auf einer Demonstration als Jana aus Kassel vorgestellt hat, hat mit ihrer Äußerung, sie fühle sich wie die NS-Widerstandskämpferin Sophie Scholl, deutliche Empörung hervorgerufen. Die Reflexe in der Gesellschaft funktionieren schon ganz gut.

Wenn Menschen sich auf Demonstrationen sogenannte Judensterne anheften und damit Vergleiche ziehen, die den Holocaust relativieren, sollte dagegen mit den Möglichkeiten des Ordnungsrechts vorgegangen werden. Die Stadt München hat in den Auflagen für solche Demonstrationen festgelegt, dass die Verwendung dieser sogenannten Judensterne nicht zugelassen ist. Werden sie dennoch gezeigt, schreitet die Polizei ein. Ich hoffe, dass sich weitere Städte dem Beispiel Münchens anschließen, und unterstütze dies.

Lässt die Zunahme judenfeindlicher Straftaten Sie als Bundesbeauftragten für den Kampf gegen Antisemitismus nicht verzweifeln?
Ich glaube, heute sind die antisemitischen Muster viel sichtbarer geworden, die Aufmerksamkeit für das Thema ist größer. Zugleich werden auch die Schwierigkeiten der Strafverfolgung deutlich, wie der Fall des Verschwörungsideologen Attila Hildmann zeigt, der immer wieder mit antisemitischen Äußerungen auffiel. Ich war sehr unzufrieden damit, dass man Hildmann strafrechtlich nicht so schnell belangen konnte. Mit dem neuen Gesetz gegen Hass und Hetze im Internet geht das jetzt.

Aber Hildmann hat sich mittlerweile aus Deutschland abgesetzt…
Ja, das stimmt leider. Wir müssen noch mehr tun im repressiven Bereich. Antisemitische Äußerungen müssen schnelle Konsequenzen haben.

Das dauert Ihnen also jetzt noch zu lange?
Ja. Die Pflicht für Plattformen, Hass und Hetze im Internet der Polizei zu melden und zu löschen, tritt erst am 1. Februar 2022 in Kraft. Ich würde mir wünschen, dass das schneller geht.

Felix Klein ist seit 2018 Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus.
Felix Klein ist seit 2018 Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus.
© Felix Zahn/imago images/photothek

Nach dem Bekanntwerden der neuen Zahlen zu antisemitischen Straftaten hat der Zentralrat der Juden einen „Schulterschluss der Demokraten“ gefordert. Wo bleibt dieser Schulterschluss?
Wir müssen die schweigende anständige Mehrheit erreichen. Denn der Staat allein kann es nicht richten. Wir brauchen eine wachsame, wehrhafte, mutige Zivilgesellschaft. Mehr Menschen müssen einschreiten, wenn Antisemitismus allgegenwärtig wird. Der Begriff Anstand bekommt da eine ganz aktuelle Bedeutung.

Ein Aufstand der Anständigen wird seit vielen Jahren gefordert, passiert ist wenig. Was läuft da schief?
Die Gleichgültigkeit ist unser größter Feind. Die Leute sind abgestumpft. Inzwischen ist einigen der Kompass abhandengekommen. Zugleich sehen wir eine Verrohung in der Gesellschaft. Das ist auch der Grund, warum wir jetzt so viele Dinge strafrechtlich regeln müssen. Der Zentralrat der Juden bekommt Briefe, in denen der Nationalsozialismus verherrlicht wird oder in denen es heißt, der Zentralratspräsident  verdiene es, aufgehängt zu werden. Bisher kann man das strafrechtlich noch nicht ahnden. Die verhetzende Beleidigung, ein Vorschlag von mir, muss deshalb ein Straftatbestand werden. Hoffentlich wird das in dieser Legislaturperiode noch Gesetz.

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Wo sehen Sie im Kampf gegen Antisemitismus die größten Versäumnisse?
Antisemitismus ist zu lange als Randproblem wahrgenommen worden. Es ist zu wenig gesehen worden, dass er auch aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Wir müssen aber auch an einer anderen Stelle ansetzen. Die Schulbücher in Deutschland zeigen oft ein verzerrtes Bild von Juden. Diese erscheinen fast ausschließlich als Problemgruppe, als Verfolgte. Das Thema wollen wir jetzt gemeinsam mit dem Zentralrat der Juden und der Kultusministerkonferenz angehen.

Auch in der Lehrerausbildung gibt es Versäumnisse. Die Lehrer sollten wissen, wie sie damit umgehen müssen, wenn auf dem Schulhof und im Unterricht antisemitische und rassistische Sprüche fallen. Jetzt sollen entsprechende Module für die Lehrerausbildung entwickelt werden. Wir müssen zudem viel deutlicher machen, was eigentlich Antisemitismus ist.

Auf einer Demonstration in Berlin am 1. Mai wurden auch Parolen skandiert, in denen Israel das Existenzrecht abgesprochen wurde. Ist das Antisemitismus?
Ja, das muss man deutlich sagen. Am israelbezogene Antisemitismus entzünden sich zwar immer wieder die Gemüter. Er ist aber die am weitesten verbreitete Form von Antisemitismus – und auch die Form, bei der es in der Gesellschaft am wenigsten Widerstand gibt. Wir müssen jede Form von Judenfeindlichkeit bekämpfen. Gerade der israelbezogenen Antisemitismus wird ja häufig verkannt und unterschätzt. Harmlosen Antisemitismus gibt es aber nicht.

Müsste der Staat zivilgesellschaftliche Initiativen gegen Antisemitismus stärker unterstützen?
Ja, diese Initiativen brauchen vor allem eine dauerhafte Förderung. Der Kabinettsausschuss gegen Rechtsextremismus hatte vereinbart, dafür das „Wehrhafte-Demokratie-Gesetz“ auf den Weg zu bringen. Doch bei den Beratungen über die Details gab es zwischen den Koalitionspartnern bisher leider keine Einigkeit. Das muss spätestens in der nächsten Legislaturperiode aufgegriffen werden. Denn der Staat allein wird es nicht richten können.

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