Studie der EU-Agentur für Grundrechte: Antisemitismus nimmt aus Sicht der jüdischen Bevölkerung zu
Viele Juden haben Angst vor tätlichen Angriffen. Solche Übergriffe passieren zwar selten, aber schon das Gefühl der Bedrohung wirft ein alarmierendes Licht auf die Lage.
Ein Großteil der jüdischen Bevölkerung in der Europäischen Union hat laut einer Studie das Gefühl, dass der Antisemitismus in den vergangenen fünf Jahren deutlich zugenommen hat. 63 Prozent der Befragten aus zwölf Ländern gaben in der Erhebung der EU-Agentur für Grundrechte (FRA) an, dass sich der Antisemitismus zuletzt deutlich verstärkt habe. 23 Prozent sprachen von einer leichten Verstärkung. 45 Prozent bezeichneten Antisemitismus als ein „sehr großes Problem“. Die Befragten aus Deutschland antworteten bei diesen Fragen ähnlich wie der Durchschnitt aller Befragten.
Auffällig ist - wie schon andere Studien gezeigt haben - dass Antisemitismus keine Einstellung allein des rechten Rands ist. Zu den häufigen Täter-Gruppen zählten Menschen mit extrem muslimischen Einstellungen (30 Prozent), gefolgt von Menschen aus der eher linken Szene (21 Prozent), Arbeits- oder Schulkollegen (16 Prozent), Menschen aus dem Bekanntenkreis (15 Prozent) und Personen mit eher rechtsextremen Ansichten (13 Prozent).
40 Prozent der mehr als 16.000 Befragten machen sich laut Studie Sorgen, dass sie in den nächsten Monaten Opfer eines gewalttätigen Angriffs aufgrund ihrer Religion werden könnten. Tatsächlich passiert ist das in den vergangenen zwölf Monaten laut der Studie nur zwei Prozent der Befragten. Fast jeder Dritte wurde aber Opfer einer Belästigung oder Beleidigung. Aus der Erhebung geht hervor, dass die Schauplätze für Antisemitismus vor allem das Internet und die Sozialen Medien sind.
Zu den gerade im Internet verbreiteten antisemitischen Vorurteilen zählen laut der FRA-Studie Aussagen wie „Israelis benehmen sich wie Nazis gegenüber den Palästinensern“, „Juden haben zu viel Macht“ und „Juden nutzen die Opferrolle im Holocaust für ihre eigenen Zwecke aus“. „Die Ergebnisse zeigen, dass Antisemitismus in der Öffentlichkeit präsent ist, dabei werden negative Klischees wiederholt und eingeprägt“, heißt es in der Studie.
Antisemitismus wird selten zur Anzeige gebracht
Viele Juden melden Schikanierungen demnach gar nicht der Polizei. 80 Prozent derer, die solche Erlebnisse hatten, seien weder zur Polizei noch zu sonstigen Organisationen gegangen, schrieb die Agentur. Grund dafür sei oft der fehlende Glaube, dass sich durch eine Anzeige etwas ändern würde. Viele fanden die Bedrohung oder Belästigung laut Organisation auch nicht ernsthaft genug, um sie zu melden. Diese Erkenntnisse ähneln stark denen aus einer kürzlich veröffentlichten Studie der Agentur über Schwarze in Europa. Auch in dieser Gruppe melden demnach die wenigsten Opfer von Diskriminierungen die Vorfälle - unter anderem, weil sie der Polizei nicht vertrauen oder Angst vor ihr haben.
Insgesamt legt die Studie über die jüdische Bevölkerung nahe, dass für viele der Antisemitismus schon so verbreitet sei, dass einzelne Vorkommnisse unbedeutend seien. „Aber jeder antisemitische Vorfall ist in seinem Kern eine Attacke auf die Würde eines Menschen und kann nicht als lästig abgetan werden“, mahnen die Autoren. (dpa)
Redaktioneller Hinweis: Die Ergebnisse der EU-Agentur für Grundrechte basieren auf einer Online-Umfrage, die zwischen Mai und Juni 2018 in Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Lettland, den Niederlanden, Österreich, Polen, Schweden, Spanien und Ungarn durchgeführt wurde. In diesen Staaten leben laut FRA mehr als 96 Prozent der jüdischen Bevölkerung in der EU. Die Antworten aus Lettland konnten aufgrund zu weniger Teilnehmer und Problemen bei der Vergleichbarkeit nicht berücksichtigt werden. Die Umfrage richtete sich an Menschen, die sich selbst auf Grundlage ihrer Religion, Kultur oder aus anderen Gründen als jüdisch einstufen würden. Das Mindestalter lag bei 16 Jahren. Insgesamt nahmen 16.395 Menschen an der Studie teil. Ein Großteil kam aus Frankreich (3869) und Großbritannien (4731); aus Deutschland, den Niederlanden und Schweden kamen jeweils mehr als 1000 Befragte.
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