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Afrikanische Migrantinnen und israelische Bürger protestieren gegen die Aufkündigung des Abkommens mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk.
© Menahem Kahana/AFP

Migration aus Afrika: Angst um die Identität des jüdischen Staates

Israel will Zehntausende Afrikaner loswerden. Unter dem Druck der rechten Flügelleute seiner Regierung gibt Premier Netanjahu ein Abkommen mit den UN auf.

Es war eine Kehrtwende par excellence, die Israels Premierminister Benjamin Netanjahu innerhalb von weniger als 24 Stunden hinlegte. Noch am Montagnachmittag verkündete er eine Vereinbarung mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR, wonach rund 16.000 in Israel lebende afrikanische Flüchtlinge von westlichen Staaten aufgenommen werden sollten. Netanjahu nannte Deutschland, Kanada und Italien. Etwa die gleiche Zahl sollte in Israel einen vorübergehenden Aufenthaltsstatus erhalten und besser im Land verteilt werden; in der Übereinkunft mit UNHCR ist von fünf Jahren die Rede. Doch nach scharfer Kritik auch aus der eigenen Regierung legte der Premier das Abkommen wenige Stunden später auf Eis und annullierte es am Dienstag ganz. Nach einem Treffen mit aufgebrachten Aktivisten und Einwohnern von Süd-Tel Aviv sagte er, man wolle die „Eindringlinge loswerden“ – „trotz internationaler Schwierigkeiten“. Unter seinen jährlich tausenden Entscheidungen sei ab und an eine, „die noch einmal neu überdacht werden muss“, begründete der Premier seinen Rückzieher. Aktivisten und Minister seiner eigenen Partei hatten das Abkommen scharf verurteilt.

"Ein Aufruf für Millionen Wanderarbeiter, nach Israel zu kommen"

„Wie wir wissen, sind das keine Flüchtlinge, sondern Leute, die illegal eingedrungen sind. Deshalb sind die Diskussionen mit dem UNHCR in meinen Augen fehl am Platz. Das Endergebnis, wonach zehntausende Eindringlinge in Israel bleiben, ist sehr beunruhigend mit Blick auf die Identität des Staates und seine soziale Struktur“, schrieb Israels Kulturministerin Miri Regev vom rechten Flügel von Netanjahus Likud-Partei. Für gewöhnlich springt die Ministerin dem Premier zur Seite. „Das ist ein Aufruf für Millionen potenzieller Wanderarbeiter, nach Israel zu kommen“, twitterte gar Bildungsminister Naftali Bennett von der nationalreligiösen Partei „Jüdisches Heim“. „Die Glaubwürdigkeit der israelischen Regierung steht auf dem Spiel, zusammen mit unserer moralischen Verpflichtung gegenüber den Bewohnern von Süd-Tel Aviv, die in einem Staat im Staate leben.“

Viele der rund 37.000 afrikanischen Einwanderer, die größtenteils aus Eritrea, aber auch aus dem Sudan kommen, leben in den heruntergekommenen Vierteln im Süden der Küstenstadt. Dort hat sich in den vergangenen Jahren eine starke Gegenbewegung gebildet, die für ihre Abschiebung kämpft. Netanjahu selbst ließ sich dort im Sommer 2017 blicken und nannte es eine „Mission, Süd- Tel Aviv den israelischen Bewohnern zurückzugeben.“
Anfang des Jahres dann begann das Einwanderungsbüro, Ausweisungsbescheide zu verteilen: Bis zum 1. April sollten die Flüchtlinge das Land freiwillig verlassen und dafür umgerechnet rund 2800 Euro erhalten. Wer sich weigern würde, sollte gezwungen werden oder ins Gefängnis wandern. Als Aufnahmestaaten wurden in Medienberichten und von Hilfsorganisationen Ruanda und Uganda genannt, mit ihnen sollte es entsprechende Abkommen geben. In einem Facebook-Post bestätigte Netanjahu jetzt erstmals die – gescheiterten – Verhandlungen mit Ruanda. Ruanda allerdings bestreitet sie. Das Abkommen mit dem UNHCR, das schon lange gegen die Abschiebungen protestiert hatte, war dann offenbar die Alternative.

Netanjahu nennt westliche Staaten - die wissen von nichts

In den von Netanjahu genannten Ländern war bereits am Montag die Verwunderung groß. Ottawa, Rom und Berlin fragten nach den Berichten aus Israel erstaunt beim Flüchtlingshilfswerk nach. Sowohl das italienische Außenministerium als auch die deutsche Schwester, das Auswärtige Amt, dementierten – Abkommen zur Aufnahme von Migranten aus Israel gibt es nämlich mit ihnen nicht, das UNHCR selbst hatte lediglich von „Drittstaaten“ gesprochen, in die die Eritreer und Sudanesen ausreisen sollten. Netanjahu hatte wohl einfach die westlichen Länder genannt, die bereits am Resettlement-Programm des UNHCR teilnehmen.
Per Resettlement (Umsiedlung) erhalten besonders gefährdete oder verletzliche Flüchtlinge unter UNHCR-Regie dauerhaften Aufenthalt in einem Land, das bereit ist, sie aufzunehmen. Ausgewählt werden sie von Fachleuten des Flüchtlingshilfswerks – wobei es eher um Witwen mit kleinen Kindern geht als um junge ledige Männer oder Uni-Absolventen mit besseren Möglichkeiten, sich in Sicherheit zu bringen. Danach können die Aufnahmeländer die Ausgewählten ihrerseits prüfen, etwa ob es Sicherheitsbedenken gibt. Das übernehmen etwa Beamte des deutschen Innenministeriums. Deutschland bot in diesem Rahmen in den Jahren 2016 und 2017 insgesamt 1600 Plätze an und nahm diese Zahl an Menschen auch auf. Fürs laufende Jahr gibt es noch keine Zusagen - was auch der langen Phase der Regierungsbildung geschuldet war. Wer per Resettlement nach Deutschland kommt, erhält den höchsten Schutzstatus, das heißt ein Bleiberecht auf zunächst drei Jahre und das Recht, seine engere Familie nachzuholen.
In Israel stoßen die Abschiebepläne der Regierung schon lange auf Ablehnung: Tausende Demonstranten gingen in den vergangenen Wochen auf die Straße. Holocaust-Überlebende, Ärzte, Rabbiner, Schulrektoren, Schriftsteller und Akademiker meldeten sich zu Wort und kritisierten die geplante Abschiebung. Auch am Dienstag protestierten Gegner der Abschiebung.

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