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Wähler stehen am Sonntag in Schwerin (Mecklenburg-Vorpommern) bei der Landtagswahl vor einem Wahllokal in einer Schlange an.
© Ulrich Perrey/dpa
Update

Landtagswahl Mecklenburg-Vorpommern: Angela Merkel und die CDU vor dem AfD-Desaster

Die Wahllokale in Mecklenburg-Vorpommern sind geöffnet. Angela Merkel und Lorenz Caffier stehen vor einem gähnenden Abgrund. Die CDU könnte hinter der AfD landen.

Bei regnerischem Wetter ist die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern am Sonntag eher ruhig angelaufen. Bereits am Vormittag gaben die meisten Spitzenkandidaten ihre Stimmen ab. In Schwerin gingen Silke Gajek (Grüne), Cécile Bonnet-Weidhofer (FDP) und Leif-Erik Holm (AfD) an die Urne. Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) kam in Begleitung seiner Familie ins Wahlbüro. Wie Landeswahlleiterin Doris Petersen-Goes in Schwerin sagte, gab es bis zum Mittag keine besonderen Vorkommnisse. Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) äußerte sich zuversichtlich, dass die SPD trotz vorhergesagter Verluste wieder stärkste Partei wird. „Es geht um die Zukunft unseres Landes“, sagte Sellering, der in Begleitung seiner Familie ins Wahllokal kam. Sellerings Koalitionspartner Lorenz Caffier (CDU) ging mit Frau in Neustrelitz an die Wahlurne. Auch AfD-Spitzenkandidat Leif-Erik Holm zeigte sich siegesgewiss. „Wir hoffen auf ein Ergebnis „gut in den 20ern““, erklärte er in Schwerin.

Diese Partei will ein System wie vielleicht zu Kaisers Zeiten, in dem Obrigkeitsdenken "en vogue" war. Nur die Welt hat sich weitergedreht. Verlässlichkeit und Humanität, das sind Werte, die uns leiten sollten, die uns stolz und glücklich machen. Diese Werte sehe ich bei der AfD nicht. Deshalb sind sie für mich keine "Patrioten".

schreibt NutzerIn Teufelernie

Gut 1,3 Millionen Wahlberechtigte können bis 18.00 Uhr ihre Stimme abgeben. Mit ersten Hochrechnungen ist kurz nach Schließung der Wahllokale zu rechnen. Dem ZDF-Politbarometer vom Freitag zufolge kommt die SPD auf 28 Prozent, die CDU und die AfD erreichen je 22 Prozent. Für die Linkspartei wollten 13 Prozent der Befragten stimmen, für die Grünen sechs. Die FDP würde mit drei Prozent erneut an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Die NPD würde mit unter drei Prozent den Wiedereinzug in den Landtag verpassen. 2011 hatten die Sozialdemokraten 35,6 Prozent der Stimmen geholt. Die CDU kam auf 23 Prozent. Die Linkspartei wurde vor fünf Jahren drittstärkste Kraft mit 18,4 Prozent. Für die Grünen stimmten 8,7 Prozent. Die rechtsradikale NPD erhielt 6,0 Prozent. Die FDP war mit 2,8 Prozent an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert und zog nicht in den Landtag ein.

Caffier - der große Wahlverlierer?

Gestern stand Angela Merkel noch auf einer sehr kleinen Bühne in Bad Doberan, um für die CDU zu werben. Für einen winzigen Augenblick schließt sie die Augen, als ob sie genervt wäre. Die Hände sind wie immer vorne vor dem Blazer zur Raute gefaltet. Im Publikum wird von einigen wenigen gegen sie gegrölt. Noch steht ein anderer neben ihr: Lorenz Caffier, Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, und vermutlich einer der großen Wahlverlierer an diesem Sonntag, wenn im hohen Nordosten gewählt wird. Weit weg wird die Bundeskanzlerin dann sein. Am Samstagabend reiste sie nach China, zum bevorstehenden G20-Gipfel. Aber natürlich wird man ihr die Schuld anhängen, vor allem wegen ihrer Flüchtlingspolitik, vor allem wegen dieses Satzes, den sie bis heute verteidigt: „Wir schaffen das.“, und der gerade ein Jahr alt geworden ist. Hinzu kommt: Hier in Mecklenburg-Vorpommern, genauer auf Rügen, ist ihr Bundestagswahlkreis ist.

Seit zehn Jahren regiert die rot-schwarze Regierung unter Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD), und Lorenz Caffier, so muss man das wohl formulieren, ist sein treuer Innenminister. Die beiden verstehen sich, respektieren sich, feinden sich im Wahlkampf nie an – aber Erwin Sellering weiß sehr genau, was er öffentlich niemals sagen würde: Der kann mir nicht gefährlich werden!

Der Spitzenkandidat der CDU, Lorenz Caffier, kommt am Sonntag in Neustrelitz (Mecklenburg-Vorpommern) mit seiner Frau Ingetraut zur Stimmabgabe bei der Landtagswahl ab.
Der Spitzenkandidat der CDU, Lorenz Caffier, kommt am Sonntag in Neustrelitz (Mecklenburg-Vorpommern) mit seiner Frau Ingetraut zur Stimmabgabe bei der Landtagswahl ab.
© Bernd Wüstneck/dpa

Nein, gefährlich wird dieser Koalition nur die AfD. Nach den letzten Umfragen liegt sie entweder gleichauf mit der CDU oder sogar davor. Das ist die Dimension, vor der Caffier und Merkel stehen. Es ist ein gähnender Abgrund. Die eine kann aus guten Gründen vor ihm flüchten, der andere wird sich verantworten müssen, denn die bisher noch stärkste Volkspartei, die CDU, hinter den Rechtspopulisten, das wäre ein demokratisches, ein politisches Desaster. Caffier hat schon 2011 mit 23 Prozent das schwächste Ergebnis für die CDU seit Gründung des Bundeslandes eingefahren, alles, was noch darunter wäre, muss zwangsläufig sein politisches Aus bedeuten.

Keine Garantie für Rot-Schwarz

Noch ist es sogar unsicher, ob es überhaupt zu Bündnissen ohne die AfD reicht. Für die Fortführung von Rot-Schwarz gibt es keine Garantie. Auf dem kleinen Marktplatz in Bad Doberan reden Merkel und Caffier vor allem über Sicherheit: Mehr Polizei, schärfere Gesetze und konsequente Abschiebung derer, die keine Aufenthaltsberechtigung haben sind Caffiers Themen. Er hat auch ein vollständiges Burka-Verbot gefordert, obwohl es in Mecklenburg-Vorpommern vermutlich keine einzige Burkaträgerin gibt. Offensichtlich wollen die Wähler, die an diesen Themen Interesse haben, ihre Stimme lieber gleich der AfD geben.

Ein weiteres Thema war Caffier noch wichtig: Die Entwicklung des ländlichen Raums, dafür will er eigens einen Staatssekretär in der Staatskanzlei ansiedeln. Das war wohl zugleich der größte Affront gegen den Ministerpräsidenten – aber obwohl dieses Thema tatsächlich gerade in Vorpommern ein berechtigtes ist und die AfD es gar nicht gespielt hat, gewinnt die CDU keine Stimmen hinzu. Im Gegenteil: Die AfD hat gleich eine ihrer perfiden Parolen daraus gemacht und fordert, man möge doch lieber gleich das Original wählen...

Am Samstag gingen Angela Merkel Lorenz Caffier noch gemeinsam auf Stimmenfang.
Am Samstag gingen Angela Merkel Lorenz Caffier noch gemeinsam auf Stimmenfang.
© Bernd Wüstneck/dpa

Ansonsten gibt es keine unterscheidbaren Themen zur SPD, auch Merkel spricht von der „Halbierung der Arbeitslosigkeit“ in Mecklenburg-Vorpommern, vom Mindestlohn und von guten Löhnen, die gezahlt werden müssten – nichts anderes sagte auch Erwin Sellering tags zuvor auf der Abschlusskundgebung in Warnemünde.

Natürlich sind, in Warnemünde wie in Bad Doberan, auch jeweils Shanty-Chöre am Start, die die eher wenigen Menschen zum Schunkeln bringen sollen mit altem Seemannsgarn. Sellering, 66 Jahre, hat einmal gesagt, er habe sich „hierher verpflanzt“, und man merkt ihm an, dass er unbedingt und gerne weiterregieren will. In Warnemünde ist Sigmar Gabriel, der SPD-Bundesvorsitzende, die Rampensau, wie eigentlich immer, Sellering bleibt sachlich, ruhig, fast zurückhaltend – präsidial eben.

Die eigentlichen Wahlsieger, das steht jetzt schon fest

Dabei kann er auch beleidigt gucken, gerade wenn die Erfolge seiner Regierung nicht anerkannt werden. Mehr Arbeit, mehr Wirtschaftskraft, mehr Kitas, die weniger kosten – Sellering und seine SPD verstanden im Frühsommer die Welt nicht mehr, als plötzlich die CDU vor ihnen lag, und sie selbst von 34 Prozent aus dem Jahr 2011 auf 22 abgestürzt waren.

Sellering blieb gelassen, im internen Kreis sagte er immer wieder, „in den letzten drei Wochen wird sich das Blatt wenden“. Eine Taktik: Er wetterte gegen Merkels Flüchtlingspolitik, und er forderte Respekt ein für die Lebensleistung der Menschen in Ostdeutschland. Seine Sätze lauteten so oder so ähnlich: „Es darf nicht sein, dass unsere Bevölkerung darunter leidet, weil Flüchtlinge da sind.“

Am Freitagabend sitzt Sellering, geschieden, zwei ältere Töchter, bevor es losgeht, mit seiner neuen Lebensgefährtin und seinem dreijährigen Sohn vor der Bühne und gibt entspannt Interviews. Später wird er im Shanty-Chor mitsingen und sich „auf Roland Kaiser“ freuen.

Im Frühsommer war nicht an eine solche Souveränität zu denken, aber jetzt hat der Ministerpräsident sogar wieder zwei Optionen, seine „Wunschkonstellation“. Er könnte Rot-Schwarz fortsetzen, oder es könnte zu einer rot-rot-grünen Regierung reichen – falls die Grünen nicht im letzten Augenblick doch noch aus dem Landtag fallen sollten, was durchaus möglich ist.

Trotzdem wird am Sonntag auch er nicht sehr laut jubeln, denn die eigentlichen Wahlsieger, das steht jetzt schon fest, ist die AfD, obwohl sie kaum landespolitische Themen gespielt hat. In der Bundespartei sieht man die Wahl als weitere „Testwahl“ für das eigentliche Ziel: den Einzug in den Bundestag.

Dementsprechend hat man darauf gesetzt, einen Kandidaten zu finden, der nicht Gefahr läuft, sich um Kopf und Kragen zu reden, und der charmant abstreiten kann, dass es in der AfD rechtsextreme Positionen gibt. Leif-Erik Holm, 45 Jahre, und bis vor kurzem Referent im Berliner Büro der Europaabgeordneten Beatrix von Storch, wird zwar seinen eigenen Wahlkreis in Mecklenburg laut unveröffentklichten Umfragen eher nicht gewinnen, aber dennoch ein sehr gutes Ergebnis für die AfD einfahren.

Holm spielt in der Bundespartei keine Rolle. Aber wenn er seinen Part im Landtag von Schwerin gut spielt, dann wird er sicherlich an der Seite der Frauke-Petry-Bundesfraktion noch Aufstiegschancen haben.

Als Lorenz Caffier redet, dauert es ein paar Minuten, bis Angela Merkel ihm lächelnd Beifall und ein bisschen Aufmerksamkeit spendet. Der Innenminister trägt ein blaues, kurzärmeliges Hemd und kein Sakko, dabei ist es gar nicht so warm. Er wirkt wie einer, der demnächst in Rente geht. Und als er seiner Kanzlerin dankt, hört sich der letzte Satz irgendwie nach eigenem Abschied an: „Angela“, ruft Caffier, „Angela halte durch!“ (mit dpa)

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