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Angela Merkel bei ihrer Neujahrsansprache.
© Hannibal Hanschke/AFP

Neujahrsansprache: Angela Merkel und das verflixte 13. Jahr

Wie immer seit 2005 hält Angela Merkel als Kanzlerin ihre Neujahrsansprache. Nie zuvor aber waren die Umstände so ungemütlich für die CDU-Politikerin.

Am 22. November 2005 ist Angela Merkel erstmals zur Bundeskanzlerin gewählt worden. Vier Jahre lang führte sie eine Koalition mit der SPD. Am 28. Oktober 2009 bestand Merkel ihre zweite Wahl zur Regierungschefin. Es folgte Schwarz-Gelb. Merkels dritte Amtszeit begann am 17. Dezember 2013. Danach machte sie wieder mit den Sozialdemokraten weiter. Zum Jahresende hin waren in den früheren Wahljahren die Regierungsdinge also stets geregelt. Immer hielt Merkel ihre Neujahrsansprachen als gewählte Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland.

Nun ist es anders. Erstmals trägt sie ihren Rück- und Ausblick (ZDF um 19 Uhr 20, ARD um 20 Uhr 10) als nur geschäftsführende Kanzlerin vor. Als eine Regierungschefin, die selber noch nicht sicher weiß, ob sie Deutschland durch das Jahr 2018 führen wird – oder aber in diesem verflixten 13. Jahr ihrer Regierungsära vielleicht abtreten muss.

Und so ist die Ansprache vielleicht ein bisschen defensiver als in den Jahren zuvor. Ein Regierungsprogramm vorzutragen ist Merkel nicht möglich. Kinder mit bester Bildung auf die digitale Zukunft vorbereiten, Familien finanziell entlasten, gute und würdevolle Pflege ermöglichen, in den starken Staat investieren, der Sicherheit wegen – konkreter wird die Kanzlerin nicht.

Aber sie merkt an, dass es „schon lange nicht mehr so viele unterschiedliche Meinungen“ in Deutschland gegeben habe. Weshalb sie mit einem Appell schließt: Das Gemeinsame solle wieder mehr in den Vordergrund gestellt werden. Merkel erinnert daran, dass die Politik einen Auftrag der Bürger habe, sich um die Herausforderungen der Zukunft zu kümmern. Und dem Auftrag fühle sie sich verpflichtet, „gerade bei der Arbeit daran, für Deutschland im neuen Jahr zügig eine Regierung zu bilden“.

Raufen sich Union und SPD zusammen?

Doch noch ist unklar, ob sich CDU, CSU und SPD zusammenraufen, nachdem sie bei der Bundestagswahl im September nicht die erhofften Gewinne machten – immerhin steht Deutschland wirtschaftlich derzeit ganz gut da, es gibt Überschüsse in den Etats und damit etwas zu verteilen an Bürger und Gewerbe, die Bundesrepublik ist ein Stabilitätsanker global und in der EU. Regierungen werden in solchen Lagen schon mal klar im Amt bestätigt. Merkels CDU hätte – Kanzlerinnenbonus! – eigentlich zulegen oder zumindest das Ergebnis vom vorigen Mal halten müssen.

Aber nein: Nicht nur die CDU brach im September ein, auch die CSU erlebte ein Debakel, und die kleinere Koalitionspartnerin wurde noch kleiner. Jetzt schleppen sie sich in ihre winterlichen Gespräche für einen Neuanfang, dem erkennbar kein Zauber innewohnt. Horst Seehofer hat es schon erwischt, die Karriere des bayerischen Ministerpräsidenten neigt sich ihrem Ende zu. Das ist, wohl auch aus Merkels Sicht, eine gerechte Folge seines eigenen Verhaltens.

Denn es war nicht zuletzt die Entscheidung des CSU-Chefs, in der Flüchtlingspolitik massiv die Konfrontation mit der Kanzlerin und der Schwesterpartei zu suchen, welche die Unionsparteien Stimmen gekostet hat. Die AfD hat Seehofer damit eher stark gemacht. Zwist und Streit in einem politischen Lager, das mögen die Wähler nicht, was jeder Demoskop bestätigt. In einer schwierigen Situation wie der Flüchtlingskrise erst recht.

Wie schwierig wird Söder?

Mit Markus Söder wird Merkel es nicht einfacher haben im kommenden Jahr. Der designierte Ministerpräsident weiß zwar, wann man den Konflikt auf die Bühne bringt und wann man ihn sein lässt. Aber er hat im September seine erste Landtagswahl an der Spitze der CSU zu bestehen, und sie soll nicht die letzte sein. Merkel und ihre CDU könnten so, je nachdem, wie sich die Umfragen entwickeln, einen schwierigen Partner in München haben – oder einen sehr schwierigen.

Und die Sozialdemokraten? Hadern mit sich und der Welt und suchen den Ausweg aus ihrer Malaise und müssen ihn finden in einem neuerlichen Pakt mit der Kanzlerin. Ein Pakt, der zweimal kein wirklich gutes Ende für die SPD gebracht hat. Innerlich ist die Partei zerrissener als vor vier Jahren, das bestätigen SPD-Politiker im Bund, nachdem sie daheim in den Ortsvereinen gewesen sind. Wenn es klappt mit einer neuen „Groko“, dann wird die vielleicht eine Portion „Koko“ in sich haben, weil die SPD-Vorderen an ihrer Basis nur durchkommen, indem sie einen etwas weniger verbindlichen Koalitionsvertrag vorlegen.

Eine solche „Kooperations-Koalition“ aber wird ein schwierigeres Regieren bedeuten, das selbst der in vielen Verhandlungen gestählten Moderatorin Merkel möglicherweise an den nicht mehr ganz so guten Nerven zerren wird. Und in Washington regiert nicht mehr Freund Barack, sondern der ungestüme Donald.

In Europa noch die Führende?

Man kann daher schon verstehen, dass nicht wenige Unionspolitiker das überraschende Ende der Gespräche von Union, FDP und Grünen nach vierwöchiger Annäherung verärgert hat. Merkel wohl ohnehin, denn die Aufgabe wäre reizvoll gewesen, wenn auch nicht einfach – aber es hätte, vor allem wegen der Grünen, das 13. Jahr und die Zeit darüber hinaus ein bisschen interessanter gemacht. Zumal mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Paris eine weitere Herausforderung amtiert, die Merkel mutmaßlich gefällt.

In der Auseinandersetzung mit Macrons Plänen für eine erneuerte EU nach dem Brexit Europa wieder ein Stückchen nach vorne zu bringen, das dürfte Merkels Appetit auf weitere Kanzlerinnenjahre eher angeregt haben. Apropos Brexit: Dass man in London die deutsche Regierungschefin nach wie vor als die wichtigste Adresse auf dem Kontinent betrachtet und von ihr die nötige Führung in den Austrittsverhandlungen erhofft, deutet darauf hin, dass man ihr zumindest dort diese auch noch zutraut.

Droht Gefahr von Freien Demokraten?

Daheim aber inszenieren manche jetzt die Kanzlerinnendämmerung. Zum Beispiel das freidemokratische Duo, das die Jamaika-Gespräche hat platzen lassen und nun mit der Legendenbildung beginnt, es habe an Merkels Führungsschwäche gelegen und nicht an eigener Verhandlungsschwäche. Aber brauchen Christian Lindner und Wolfgang Kubicki Führung? Eine solche Frage müssten sie ja wohl beantworten vor eventuellen Neuwahlen, auf die beide schielten, als sie in der nachrichtenarmen Zeit um Weihnachten herum die ihnen Zugeneigten in der CDU praktisch zum Putsch gegen Merkel aufforderten.

Wobei auch Leute in Merkels eigener Partei in der SPD mal vorsondiert haben sollen, ob nicht auch Sozialdemokraten den Kopf der Kanzlerin fordern möchten. Begleitet wird dieses Treiben von Umfragen, nach denen 47 Prozent der Deutschen ihren Rücktritt (so sie denn wieder gewählt wird) noch in der Wahlperiode möchten. Oder dass, alles lässt sich steigern, zwei Tage später sogar 46 Prozent meinen, sie möge am besten gleich zurücktreten (was geschäftsführende Kanzlerinnen allerdings nicht dürfen).

Darf Jens Spahn sich profilieren?

Es rumort also. Dass FDP-Politiker sich Jens Spahn an der CDU-Spitze wünschen, muss der Karriere des Jung-Siegfrieds der Partei zwar nicht schaden. Aber ob es ihm auch nützt? Merkel soll, so ein Berliner Gerücht, Spahn das Amt des CDU-Generalsekretärs angetragen haben (eine kleine Gemeinheit natürlich, weil er dann superloyal sein müsste). Spahn soll, ebenfalls ein Gerücht, sich für den Fall der Ernennung große Freiheiten erbeten haben. Immerhin darf er jetzt im CDU-Team das Sondieren üben, wenn auch mit der SPD.

Den Ausblick für das kommende Jahr bekommen die Deutschen jedenfalls noch von der Frau, die sich dafür Jahr für Jahr seit Ende 2005 kurz vor Silvester vor eine Kamera gesetzt hat. Die Chancen, dass Angela Merkel auch den Ausblick auf 2019 geben wird, sind derzeit wohl so, dass man nicht unbedingt eine größere Summe dagegen wetten sollte.

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