Generaldebatte im Bundestag: Angela Merkel ruft Kritiker zur Mäßigung auf
Alle Parteien müssen sich mit dem Erstarken der AfD und dessen Ursachen auseinandersetzen, sagt die Bundeskanzlerin. „Jeder von uns muss sich an die eigene Nase fassen.“
Die Partner der Union – CDU und CSU – stehen vor einer Zerreißprobe: Trotz der miserablen Wahlergebnisse ihrer eigenen Partei, dem Erstarken der rechtspopulistischen AfD und der massiven Attacken des bayerischen Schwesterparteichefs Horst Seehofer (CSU) ist die Bundeskanzlerin offenbar nicht bereit zu einer Kurskorrektur in ihrer Flüchtlingspolitik.
In ihrer Rede zur sogenannten Generaldebatte im Bundestag räumte Angela Merkel (CDU) am Mittwoch zwar ein, den Deutschen sei im vergangenen Jahr „vieles abverlangt worden“ und machte deutlich, dass sie „die Sorgen der Menschen ernst“ nehme. „Deutschland wird Deutschland bleiben – mit allem was uns daran lieb und teuer ist“, beruhigte Merkel diejenigen, die Angst vor einer Überfremdung haben. Zugleich betonte sie aber, dass nach der Öffnung der deutschen Grenzen im vergangenen Jahr und der Ankunft von tausenden Flüchtenden die Lage mittlerweile „insgesamt geordnet“ sei. „Die Situation heute ist um ein Vielfaches besser als vor einem Jahr“, sagte sie.
In Merkels Augen ist die Sorge unberechtigt, die deutsche Gesellschaft könne die Aufnahme der Flüchtlinge nicht verkraften. Das Land habe sich seit Gründung der Bundesrepublik immer wieder verändert – und Veränderung sei nichts Schlechtes. Dass Deutschland stark bleibe, beruhe auf Voraussetzungen wie Liberalität, Demokratie, Rechtsstaat und Sozialer Marktwirtschaft.
Ausführlich erläuterte die Regierungschefin, welche Maßnahmen zur Ordnung und Begrenzung des Zuzugs von Flüchtlingen und zu ihrer Integration von der Koalition beschlossen wurden. Konkret nannte sie die beiden Asylpakete und die Bemühungen um Rückführungen von Asylbewerbern, die keine Bleibeerlaubnis erhalten. Man könne „zu Recht erwarten, dass sie das Land verlassen“. Anderenfalls könne Deutschland die Aufgabe der Flüchtlingsintegration nicht leisten.
Einen Zusammenhang zwischen dem Flüchtlingszuzug und steigenden Sicherheitsrisiken wies Merkel zurück: „Terrorismus ist kein neues Problem“, sagte sie, versprach aber, „alles Menschenmögliche zu tun, um die Sicherheit in Deutschland stärken“.
Zur Begrenzung des Zuzugs nach Deutschland sei auch die Sicherung der EU-Außengrenzen nötig, sagte Merkel und wies auf den Ausbau der Frontex-Gruppe hin. Außerdem sagte sie, dass sie sich insgesamt mehr Solidarität der EU-Partner wünsche.
Auch das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei verteidigte Merkel. Die Vereinbarung sei „in beiderseitigem Interesse“. Seitdem es das Abkommen gebe, sei so gut wie niemand mehr in der Ägäis ertrunken. Es sei daher ein Modell für weitere Abkommen mit Ägypten, Tunesien oder einmal auch mit Libyen.
Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch warf Merkel vor, sie regiere visionslos
In der Debatte wurde Merkel von Grünen und der Linkspartei scharf kritisiert. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch warf Merkel vor, sie habe den sozialen Zusammenhalt nicht im Blick und regiere visionslos: „Deutschland wird nicht mit Zuversicht regiert, sondern mit Angst“, sagte er. Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt kritisierte insbesondere den Streit der Koalitionspartner untereinander in der Flüchtlingskrise: „Diese Koalition ist eine Koalition des Chaos – jeder gegen jeden“, sagte sie.
Das Erstarken der AfD, die in Mecklenburg-Vorpommern am Sonntag mehr als 20 Prozent der Stimmen erhalten hatte, stand im Zentrum der gesamten Debatte. Merkel erklärte, alle im Bundestag vertretenen Parteien – nicht nur die CDU – müssten sich mit den Ursachen dafür auseinandersetzen: „Jeder von uns muss sich an die eigene Nase fassen“, sagte sie.
Die Bundeskanzlerin forderte, alle müssten ihre Sprache mäßigen: „Wenn wir anfangen, uns sprachlich an jenen zu orientieren, die an Lösungen nicht interessiert sind und die Fakten wegwischen, verlieren wir die Orientierung“, sagte Merkel. Verstanden wurde diese Einlassung nicht nur als Antwort auf Merkels Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD), der noch kurz vor der Debatte im Plenum in einem Interview mit dem RBB die Schuld am Erstarken der AfD indirekt Merkel und der CDU zugeschoben hatte. Auch an den CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer schien der Appell zur Mäßigung gerichtet.
Der bayerische Ministerpräsident hatte der CDU-Vorsitzenden am Montag nach der Landtagswahl in Schwerin schwere Vorwürfe gemacht und erneut massiv auf eine Kurskorrektur gedrungen. Später wollte er seine in der „Süddeutschen Zeitung“ getätigten Äußerungen jedoch nicht wiederholen – und sagte auch einen für Mittwoch geplanten Besuch bei der bayerischen Landesvertretung in Berlin kurzfristig ab.
An diesem Wochenende trifft sich der CSU-Vorstand zu einer zweitägigen Klausur. Am Sonntag wird Seehofer zum Treffen der drei Koalitionsspitzen in Berlin erwartet. Führende CSU-Politiker erneuerten am Mittwoch Angriffe auf Merkels Flüchtlingspolitik: „Wer immer mehr nach links rutscht, der lässt rechts Platz frei“, sagte Bayerns Finanzminister Markus Söder. Diesen Platz habe die AfD eingenommen. Der „Zeit“ sagte er: „Wenn die CDU ihren Kurs nicht ändert, dann könnte ihr Ähnliches passieren wie der SPD.“ Die SPD habe einmal den Fehler gemacht, weite Teile ihrer Kernwählerschaft zu ignorieren. Auch daraus sei die Linkspartei entstanden und geblieben.