Interview mit Janine Wissler: "An uns wird die Abwahl von Bouffier nicht scheitern"
An diesem Freitag treffen sich SPD, Grüne und Linke zum Gespräch über eine mögliche Regierungsbildung in Hessen. Linke-Fraktionschefin Janine Wissler erläutert im Interview den Reiz der Konstellation.
Im Bund läuft es auf die große Koalition hinaus. Gibt es gerade vor diesem Hintergrund reelle Chancen für ein Linksbündnis in Hessen?
Für uns sind die Türen für eine Zusammenarbeit mit SPD und Grünen offen, unabhängig davon welche Zeichen gerade im Bund gesetzt werden. Aber einfacher und besser wäre natürlich gewesen, wenn die SPD im Bund einen anderen Weg gegangen wäre. Jetzt redet sie gar nicht mehr von Steuererhöhungen, das wird sich auch negativ auf die Einnahmesituation der Länder auswirken.
SPD-Bundeschef Sigmar Gabriel hat neulich seine Parteifreunde vor einer Zusammenarbeit mit der Linken in Hessen gewarnt, er sprach sogar von einer Gruppe von Irren. Wie groß schätzen Sie den Einfluss der Bundes-SPD auf die Regierungsbildung in Hessen?
Gabriels Bemerkung war schon von der Wortwahl her völlig unmöglich. Was sagt er denn damit? Seine Parteifreunde in Hessen verhandeln bereits zum zweiten Mal mit den gleichen Leuten über eine Zusammenarbeit – und er bezeichnet diese Gruppe als Irre. Mein Eindruck: In der Bundes-SPD gibt es, so wie 2008, wieder sehr relevante Kräfte, die alles tun, um ein rot-rot-grünes Projekt zu verhindern und zu hintertreiben. Das war vor fünf Jahren auch schon so, unter anderem mit Peer Steinbrück an der Spitze, damals auch noch Wolfgang Clement. 2008 war der Einfluss der Bundes-SPD dann leider ziemlich groß.
Die Bevölkerung in Hessen bevorzugt mehrheitlich die große Koalition. Mit welchen Argumenten werben Sie für eine rot-grün-rote Regierung?
Das Problem ist, dass SPD und Grüne, die ja auch gleichzeitig mit der CDU verhandeln, überhaupt nicht für ein Linksbündnis werben und nach außen eher skeptisch auftreten. Ein gesellschaftliches Projekt muss man aber vorbereiten, und das hätte man eigentlich auch die letzten Jahre schon machen müssen. Jetzt müssen wir klarmachen: Viele Menschen wollen nach 15 Jahren einen Politikwechsel in Hessen, sie wollen, dass die CDU-geführte Landesregierung abgelöst wird. Wir haben in Hessen eine Regierung, die reihenweise Skandale produziert hat, von den zwangspensionierten Steuerfahndern über die schwarzen Kassen bis hin zu Stellenbesetzungen nach Parteibuch. Der Unmut über diese Politik ist riesengroß. Und ein Politikwechsel wird unmöglich, wenn die CDU weiter den Ministerpräsidenten stellt.
Die Grünen sprechen davon, dass sie ihre Optionen erweitern möchten. Dabei spielt neben einem Linksbündnis aber immer auch Schwarz-Grün eine Rolle. Wie ist Ihr Eindruck von den Grünen in Hessen?
Sie blinken zwar nach allen Seiten, betonen dabei aber vor allem, warum es mit Rot-Rot-Grün angeblich nicht geht. Ich nehme sie im Moment eher als Bedenkenträger wahr.
"Ypsilanti hat fantastisches Wahlergebnis gegen Roland Koch geholt"
Die frühere hessische SPD-Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti, die vor fünf Jahren eine von den Linken tolerierte rot-grüne Minderheitsregierung schmieden wollte, hat kürzlich für mehr Offenheit gegenüber der Linken geworben. Hat sie Einfluss?
An der SPD-Basis hat sie meiner Wahrnehmung nach immer noch ein hohes Ansehen. Sie hat ein fantastisches Wahlergebnis gegen Roland Koch geholt, das haben ihr viele nicht vergessen. Sie steht auch für eine andere SPD, die sich von Hartz IV und Agenda 2010 abwendet. Dort, wo ich sie im Wahlkampf auf Veranstaltungen und Podien erlebt habe, genoss sie großen Respekt. Wie groß ihr aktueller Einfluss in den Führungsgremien der Landes-SPD ist, vermag ich nicht zu beurteilen.
Sie selbst halten, anders als die Bundesführung ihrer Partei, auch die Tolerierung einer rot-grünen Minderheitsregierung für möglich. Warum?
Man sollte diese Option nicht ausschließen, bevor man in die Gespräche geht. Für mich sind in erster Linie die Inhalte entscheidend, sie bestimmen dann die Form. 2008 haben wir ja über eine Tolerierung von Rot-Grün gesprochen, weil es damals sehr schwierig gewesen wäre, eine gemeinsame Regierung zu bilden.
"Vieles im SPD-Wahlprogramm ist deckungsgleich mit unseren Forderungen"
Einer der Knackpunkte in Hessen ist das Thema Schuldenbremse. Wie kompromissbereit ist die Linke?
Wir haben nie gesagt, dass wir um jeden Preis neue Schulden machen wollen. Wir wollen, dass der Staat seine Aufgaben vernünftig leisten kann. Die beste Schuldenbremse ist eine andere Steuerpolitik und eine Erhöhung der Einnahmen. Wir werden uns mit Sicherheit nicht daran beteiligen, die Schuldenbremse über Sozialabbau und Stellenkürzungen durchzusetzen. Vieles, was im Wahlprogramm der SPD steht, ist deckungsgleich mit unseren Forderungen, dazu gehört die Arbeitszeitverkürzung im öffentlichen Dienst oder mehr Geld für die Hochschulen. Das bedeutet im Klartext mehr Stellen und nicht weniger.
Wie groß sind die Bedenken in den Reihen der Linken gegen eine Regierungsbeteiligung?
Das war auf unserem Landesparteitag ganz gut zu sehen. Der Leitantrag, in dem wir uns zu einem Politikwechsel bekennen und die Abwahl von Regierungschef Bouffier fordern, bekam nur zwei Gegenstimmen. Wichtig ist: Regieren ist kein Selbstzweck, die Inhalte sind entscheidend. An uns wird die Abwahl von Bouffier sicher nicht scheitern.
Janine Wissler (32) ist seit 2009 Vorsitzende der Linksfraktion im hessischen Landtag. Die in Langen geborene Politikerin war Spitzenkandidatin ihrer Partei bei der Landtagswahl am 22. September, bei der die Linke knapp den Wiedereinzug in das Wiesbadener Landesparlament erkämpfte. An diesem Freitag treffen sich SPD, Grüne und Linke zu einer Sondierungsrunde. Als künftige Regierung im Gespräch sind in Hessen neben einer großen Koalition auch Schwarz-Grün sowie Rot-Grün-Rot. Eine Ampelregierung scheint kein Thema, obwohl die SPD auch mit der FDP spricht. Das Gespräch führte Matthias Meisner.
Matthias Meisner