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An einem Checkpoint der Separatisten in Staniza Luhanska stehen die Menschen Schlange.
© Alexander Ermochenko/dpa

Ukraine: An der Grenze zu den Separatisten

An der Grenze zum Separatistengebiet in der Ukraine treffen sich Schmuggler, dunkle Gestalten und arme Rentner. Ein Bericht aus Staniza Luhanska.

Es ist kurz vor acht Uhr morgens und die Schlange zieht sich quer über den Platz hinter dem Kontrollposten von Staniza Luhanska. Mindestens dreihundert Menschen müssen es sein, die hier aneinandergereiht stehen, in Steppmäntel und Lederjacken gehüllte ältere Menschen. Die Männer mit schwarzen Kappen auf dem Kopf, die Frauen mit bunten Wollmützen. In den Händen halten sie Textiltragetaschen, Sporttaschen, bis zum Rand gefüllte Plastiksäcke, Einkaufstrolleys mit festgezurrten Kartons. Busse fahren heran und spucken immer neue Passagiere aus, die an das Ende der Menschenreihe eilen.

Ein paar Minuten später öffnet der Übergang. Ein Ruck geht durch die Schlange – alles drängt in Richtung Brücke, dem Herzstück der riskanten, ja lebensgefährlichen Passage zwischen Regierungsgebiet und Separatistenterritorium. Die ukrainischen Grenzer zählen an einem Tag im Durchschnitt 8000 Personen. Manchmal sind es auch 12.000, die hier zu Fuß die Seiten wechseln. In der Luft liegen Hast und Angst, Willkür und undurchsichtige Deals, Geschäftssinn und kriminelle Energie.

Staniza Luhanska im äußersten Osten der Ukraine an der Grenze zu Russland ist einer jener Orte, die erst durch den Krieg im Donbass international bekannt geworden sind. Dass die „Staniza“ im späten 17. Jahrhundert als Siedlung von Don-Kosaken gegründet wurde, die hier als Wehrbauern die Westgrenzen des Zarenreichs gegen Eindringlinge sicherten, wissen nur Geschichtsinteressierte. Dass Staniza Luhanska vor gar nicht langer Zeit ein beliebtes Erholungsgebiet für die Bewohner der nahen Großstadt Luhansk war, ist heute ebenso vergessen.

Ein alter Mann hangelt sich über die kaputte Brücke

Gegenwärtig taucht Staniza Luhanska regelmäßig in den trockenen Berichten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) auf, deren Beobachter die Verstöße gegen die Waffenruhe aufzeichnen. Denn die Siedlung liegt abermals an einer Grenze. Das Dorf mit seinen 10 000 Einwohnern und niedrigen Häuschen halten die Regierungskräfte. Doch die halb zerstörte Brücke sowie das Südufer des Flusses Siwerskij Donez kontrollieren die Separatisten der selbst ernannten Luhansker Volksrepublik. Autos kommen am Übergang keine mehr durch, seit das Bauwerk im März 2015 während der Kriegshandlungen gesprengt wurde. Fußgänger müssen über geborstene Brückenteile steigen, die über wacklige Holzstege miteinander verbunden sind. Bei Schnee und Eis ist die Rutschgefahr groß. In der Umgebung wird geschossen. Am Straßenrand beginnen die Minenfelder.

Der Kontrollposten ist der einzige Übergang im Luhansker Gebiet. Zum nächsten in Betrieb befindlichen Korridor sind es mehr als 200 Kilometer. Das bedeutet mehr als vier Stunden Autofahrt auf löchrigen Straßen.

Ein Greis mit schwarzer Kappe schiebt sich gestützt auf zwei Krücken vorwärts, vom letzten Checkpoint der Separatisten kommend in Richtung der ersten ukrainischen Bewaffneten hinter dicken Betonwänden. 300 Meter liegen zwischen den Posten. Ein schmales Niemandsland. „Wir glotzen einander den ganzen Tag lang an“, sagt ein ukrainischer Soldat. Wie aber hat der alte Mann, Nikolaj Kirillowitsch, 82, wohnhaft in Luhansk, die Brückenpassage geschafft? „Langsam, langsam“, sagt der Mann krächzend. „Ein Bein nach dem anderen.“

Am Übergang von Staniza Luhanska ist der Ausnahmezustand Normalität. Was Menschen hier tagtäglich zugemutet wird, scheint wie ein unabänderliches Faktum in einem Konflikt mit verhärteten Fronten. Wenn sich die Kriegsparteien – wie unlängst – auf die Erneuerung der Holzplanken auf der Brücke einigen, gilt das bereits als Erfolg. Eine Reparatur der Brücke wird von den OSZE-Verhandlern angestrebt, liegt jedoch als Ziel in weiter Ferne.

Der Korridor ist ein Ort, der die Gewinner und die Verlierer des Krieges zusammenbringt. Neben den Alten sind da Lastenträger, die Waren für Auftraggeber von der anderen Seite einkaufen und nicht gerne mit Fremden sprechen. Daneben haben die Händler ihre Waren ausgelegt. Sie verkaufen Salo, ukrainischen Schweinespeck, obwohl dessen Einfuhr in den Separatistengebieten für illegal erklärt wurde. Also wird bestochen oder in kleinen Mengen geschmuggelt. Dann sind da noch: Imbissbudenbesitzer, denen die Winterkälte stetig Kundschaft bringt. Taxi- und Kleinbusfahrer, die die Ankommenden zu den Bankautomaten und der Stelle für Rentenauszahlungen fahren. Und schließlich Zimmervermieter, die für 100 Hrywnja, drei Euro, pro Kopf und Nacht die Alten bei sich aufnehmen.

Gewinner und Verlierer

Es ist nicht eindeutig, ob er ein Gewinner oder Verlierer des Krieges ist, der Mittfünfziger aus Luhansk mit den buschigen Augenbrauen und der dunkelblauen Wollmütze auf dem Kopf, der seinen Namen nicht nennen will. Der Mann mit den schwieligen Händen hat um die Ecke am Großmarkt Äpfel gekauft, drei Paletten Jonathan, um 15 Hrywnja das Kilo, und auf seine Sackkarre geladen. 70 Kilo, mehr ist nicht erlaubt.

Mehr könnte man auch schwer über die Brücke schleppen. In Luhansk verkauft er die Äpfel zum doppelten Preis weiter, da dort Obst und Gemüse Mangelware sind. Einmal im Monat kommt der Mittfünfziger auf die ukrainisch kontrollierte Seite, doch zuhause fühlt er sich in Luhansk. Über Politik will er nicht sprechen, wie fast niemand hier, „mein Kopf soll schließlich drauf bleiben“, sagt er und zieht sich seine Arbeitshandschuhe über.

Nikolaj Kirillowitsch, der 82-Jährige aus Luhansk, nimmt den beschwerlichen Weg auf sich, weil er seine Rente abholen will. Zeitlebens hat er als Ingenieur gearbeitet, es geht um umgerechnet 80 Euro im Monat. Eine gute Rente. Doch seine Hände und die Füße zittern, gehen kann er nicht mehr lange und liegen auch nicht. Er würde gerne sterben, sagt der Mann, er habe sein Leben wirklich genossen. Aber das hier?

Dann geht er weiter in Richtung der weißen Container, in denen die Beamten vom Zoll und der Passkontrolle sitzen. Nikolaj Kirillowitsch wird nach Staniza fahren, seine Pension abheben und zurückkehren. Bis 16.30 Uhr hat der Posten geöffnet. Er wird sich wieder in die Schlange einreihen. Nur Särge kommen in Staniza Luhanska ohne Warten durch.

Jutta Sommerbauer

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