Twenty/Twenty täglich – noch 7 Tage bis zur US-Wahl: Amy Coney Barrett – vielleicht der letzte Akt der Republikaner
Amy Coney Barrett ist Supreme-Court-Richterin und Washington bereitet sich schonmal auf die Unruhen der Wahlnacht vor. Unser US-Newsletter, jetzt täglich.
Die USA sind im Wahl-Endspurt. Deshalb informieren wir sie in den kommenden zwei Wochen in unserem US-Newsletter „Twenty/Twenty“ täglich über die Geschehnisse in den Vereinigten Staaten. Heute schreibt Juliane Schäuble aus Washington. Zum kostenlosen Abo geht es hier.
Um 20.06 Uhr am Montag war es soweit: Der US-Senat hatte mit 52 zu 48 Stimmen der Ernennung von Donald Trumps Supreme-Court-Kandidatin Amy Coney Barrett zugestimmt, nur eine einzige Republikanerin (Susan Collins) wollte sich dem nicht anschließen. Die republikanischen Senatoren auf der linken Seite des Raums sprangen (oder standen, viele Mitglieder in dieser Kongresskammer sind ja nicht mehr die Jüngsten) auf, riefen „Yeah“ und klatschten. Mehrheitsführer Mitch McConnell, der nach der Abstimmung endlich mal seine Maske aufzog, ließ sich von mehreren seiner Kollegen einen „Fist bump“ geben – sie hatten gesiegt.
Es ist ein wichtiger Sieg für ihren Präsidenten – acht Tage vor der Wahl, die viele Amerikaner als vielleicht bedeutsamste ihres Lebens bezeichnen. Mit der Bestätigung der 48-jährigen Juristin als 115. Oberste Richterin wächst die konservative Mehrheit auf sechs zu drei Richter. Trump eilte noch am selben Abend von einer seiner unzähligen Rallyes - er kommt derzeit auf drei am Tag - im womöglich wahlentscheidenden Swing State Pennsylvania zurück, um Barrett auf dem South Lawn des Weißen Hauses den Eid auf die Verfassung abzunehmen.
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Unweit von hier, im Rosengarten, hatten er, seine Frau Melania, zwei Senatoren und weitere Anwesende sich vor einem Monat bei der Feier von Barretts Nominierung mit dem Coronavirus infiziert. Am heutigen Dienstag wird diese nun vom Vorsitzenden Richter John Roberts vereidigt. Dann soll sie gleich mit der Arbeit loslegen. Während die konservativen Senatoren drinnen über das Wahlgeschenk an die erzreligiöse Basis jubelten, protestierten draußen vor dem Kapitol Menschen gegen die Ernennung von Barrett. Sie fürchten, dass viele gesellschaftspolitische Errungenschaften mit der Stimme der tiefreligiösen Richterin zurückgedreht werden könnten.
Die Demokraten kritisieren das Durchpeitschen von Barrett
Symbolisch auch das Bild im Senat: In den Reihen auf der rechten Seite des Raumes herrschte gähnende Leere, als das Ergebnis verkündet wurde. Die Demokraten, die zur Abstimmung alle vollzählig, aber einer nach dem anderen erschienen waren - auch Vizepräsidentschaftskandidatin Kamala Harris -, hatten zu diesem Zeitpunkt schon wieder das Plenum verlassen. Offiziell wegen Corona, aber auch als Zeichen ihres Protests. Sie kritisieren das Durchpeitschen dieser einflussreichen Personalie so kurz vor der Wahl. Ihrer Auffassung nach hätte der am 3. November neu gewählte Präsident über die Nachfolge der liberalen Richter-Ikone Ruth Bader Ginsburg entscheiden sollen.
Dass Trump selbst als Begründung für die rekordverdächtig schnelle Nominierung mögliche Gerichtsverfahren rund um die Stimmauszählung anführte, die beim Supreme Court landen könnten, hat die Sorgen der Demokraten nicht verkleinert. Doch diese Abstimmung haben sie verloren. Sie hoffen nun darauf, dass die Wähler sich daran erinnern, wenn sie spätestens in einer Woche ihr Kreuz machen. Oder in den wie immer theatralisch aufgeladenen Worten von McConnells demokratischem Gegenspieler Chuck Schumer: Das amerikanische Volk werde diese „eklatante Heuchelei“ niemals vergessen. „Der 26. Oktober 2020 wird als einer der dunkelsten Tage in die 231-jährige Geschichte des US-Senats eingehen.“
Die Bestätigung Barretts könnte der letzte Akt der republikanischen Mehrheit gewesen sein
So oder so: Es könnte der letzte Akt der republikanischen Mehrheit im Senat gewesen sein. Laut Umfragen ist es durchaus möglich, dass die Demokraten zwei Jahre nach dem Repräsentantenhaus auch diese Parlamentskammer übernehmen. Vor den weißen Marmorstufen an der Westseite des Kapitols ziehen Bauarbeiter derweil ein Gerüst hoch, das auf das nächste politisch bedeutsame Event hinweist. Am 20. Januar wird hier entweder Donald Trump für seine zweite Amtszeit vereidigt – oder Joe Biden als 46. Präsident der Vereinigten Staaten. Auch bei diesem Rennen deutet im Wahlkampfendspurt mehr auf einen Sieg des demokratischen Herausforderers hin als des Amtsinhabers.
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Dass die Arbeiten schon jetzt beginnen, liegt wohl an den Herausforderungen, die die Pandemie für Großereignisse wie die Amtseinführung eines US-Präsidenten bedeuten. Mir wurde zudem bewusst, wie schnell jetzt auf einmal alles geht. Vor zweieinhalb Jahren bin ich hierhergezogen, um über dieses zerrissene Land in Zeiten von Trump zu berichten. Vieles kam anders, als ich es erwartet hatte, unter anderem der Wahlkampf. Wie es nun weitergeht, ob das Land noch einmal einen Neuanfang schafft, werden wir bald wissen.
Washington bereitet sich bereits auf die Unruhen in der Wahlnacht und den Tagen danach vor
Bei meinem Spaziergang von meinem Homeoffice zum Kapitol ist mir allerdings auch aufgefallen, auf was sich die Hauptstadt noch vorbereitet: auf Unruhen in der Wahlnacht und den Tagen danach. In Downtown werden wieder Fensterfronten von Bürogebäuden, Hotels und Geschäften mit Brettern vernagelt. Die Innenstadt-Bewohner und Geschäftsleute, die ohnehin unter der Pandemie-bedingten Leere und den Nachwehen der Unruhen nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd leiden, stellen sich auf nochmal schwierigere Zeiten ein.
Bleiben Sie hoffnungsfroh! Morgen begrüßt Sie an dieser Stelle meine Kollegin Anna Sauerbrey, die wie schon Christoph von Marschall extra für die Wahl anreist – gerade schrieb sie uns, sie sei gut in Pennsylvania angekommen. Von mir hören Sie wieder in drei Tagen!