Flüchtlinge, Meinungsfreiheit, Minderheiten: Amnesty: Europa verliert Respekt für die Menschenrechte
Amnesty International legt den Bericht über die Lage der Menschenrechte im letzten Jahr vor. Die Organisation kritisiert Europas Versagen - nicht nur in der Flüchtlingspolitik.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) kritisiert in ihrem Jahresbericht scharf die europäischen Staaten. 2015 sei in der Region „ein turbulentes Jahr“ gewesen – „und es war ein schlechtes Jahr für die Menschenrechte“ heißt es in dem Bericht über die globale Menschenrechtssituation, der am Mittwoch veröffentlicht wurde. In der gesamten Region sei in dieser Zeit der Respekt für die Menschenrechte zurückgegangen. „Da werteorientierte politische Führung fehlte, wurde der Platz für Menschenrechte, einen Eckstein europäischer Demokratie, unsicherer denn je.“
Der Bericht nennt als besorgniserregende Beispiele Polen, dessen regierende PiS-Partei die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts einschränkte, Russland, das sich europäischen Menschenrechtsurteilen nicht mehr beugen will, und Großbritannien, wo die regierenden Konservativen versuchten, die Gültigkeit der Menschenrechtsgesetzes von 1998 einzuschränken. Der Human Rights Act setzte die EU-Menschenrechtsnormen ausdrücklich im Land in Kraft und schaffte die Todesstrafe offiziell ab.
Zwar habe es in Europa 2015 Fortschritte für die Rechte von Lesben, Schwulen und anderen sexuellen Minderheiten gegeben und die EU-Kommission arbeite weiter daran, die systematische Diskriminierung von Roma zu beenden. Aber die Aussichten für 2016 seien angesichts der Richtung, die die Menschenrechte in Europa nähmen, „trübe“. Europa schaue inzwischen auch weg, wenn anderswo Menschenrechte verletzt würden; ausdrücklich nennt der Bericht die Unterdrückung der Meinungsfreiheit in der Türkei.
"Gipfel um Gipfel, aber nichts, was nutzt"
Schwerpunkt der AI-Kritik ist die Flüchtlingspolitik der Europäer im vergangenen Jahr: Obwohl die Nachbarländer Syriens mit einem Vielfachen der Flüchtlingszahlen konfrontiert waren, sei „Europa, die reichste Weltgegend mit 500 Millionen Einwohnern, exemplarisch beim Versuch gescheitert, eine kohärente, humane und die Menschenrechte respektierende Antwort auf diese Herausforderung zu geben“, schreibt Amnesty.
Nur Deutschland habe „politische Führung auf der Höhe des Problems“ gezeigt, während die übrigen europäischen Staaten „in ihrer Mehrheit schwankten oder mögliche Lösungen aktiv verhinderten“. Europas Regierungen, heißt es deutlich im Bericht, hätten „Gipfel um Gipfel organisiert, aber nichts von Nutzen“. Zwar habe der Einsatz weiterer, auch deutscher, Schiffe im Mittelmeer dazu geführt, dass es weniger Tote im Mittelmeer gab. Die Todesrate lag laut Amnesty aber auch danach noch bei mehr als 18 Toten pro 1000 Menschen, die die Überfahrt nach Europa wagen. 21 Prozent von ihnen verloren demnach ihr Leben in der Ägäis zwischen der Türkei und Griechenland – im Jahr zuvor war dies erst ein Prozent.
Nach dem Arabischen Frühling noch mehr Unterdrückung
Auch weltweit zieht Amnesty für 2015 eine pessimistische Bilanz der Menschenrechtslage; die Situation in Syrien und den Ländern des Arabischen Frühlings nennt die Organisation dabei mehrfach als symptomatisch. Syrien habe gezeigt, wie schwach die Schutzsysteme für Zivilisten in bewaffneten Konflikten insgesamt sind, schreiben die Autorinnen und Autoren. Die Vetomächte im UN-Sicherheitsrat nutzten ihr Vorrecht, um zu verhindern, dass die Weltgemeinschaft gegen Kriegsverbrechen einschreite. Man müsse sich fragen, „ob internationales Recht und Weltinstitutionen zum Schutz der Menschenrechte ausreichten“.
Fünf Jahre nach dem Arabischen Frühling, „einer der dynamischsten demokratischen Bewegungen, die die Welt je sah“, würden die Methoden der Unterdrückung immer massiver, „ebenso brutal wie ausgeklügelt“. Die Staaten der Region unterdrückten seither noch unbarmherziger jede Form von Protest und jede abweichende Meinung.
Lob für und Kritik an Deutschland
Im Abschnitt über Deutschland, dessen Aufnahmebereitschaft für Flüchtlinge der Bericht an mehreren Stellen lobt, kritisiert Amnesty allerdings auch Lücken des Schutzes: gekürzte Leistungen für Asylbewerber, die verlängerte Liste angeblich sicherer Herkunftsstaaten und die mangelhafte Verfolgung einer rasant steigenden Zahl von Hassverbrechen, speziell gegen Flüchtlinge.
Es gebe nach wie vor keine unabhängige Beschwerdestelle gegen Übergriffe von Polizisten, nur in sechs Ländern – Berlin, Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Hessen, Bremen und Schleswig-Holstein – seien Beamte im Einsatz identifizierbar, und die nationale Stelle zur Verhütung von Folter sei deutlich unterfinanziert.
Auch die zögerliche Umsetzung des Kopftuchurteils des Verfassungsgerichts vom Frühjahr letzten Jahres kritisiert die Menschenrechtsorganisation: Das Gericht habe das Kopftuchverbot in Nordrhein-Westfalen von 2006 zwar als diskriminierend gekippt, doch „ähnliche Verbote sind in anderen Bundesländern weiter in Kraft“.
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