Abschuss von Malaysia Airlines MH17: "Amerikanische Satelliten registrieren Raketenabschüsse"
Der Militärexperte Otfried Nassauer geht beim Absturz von Flug MH17 von Malaysia Airlines von einem folgenschweren Missverständnis aus. Die Separatisten in der Ostukraine hätten ihr Ziel schlicht verwechselt.
Herr Nassauer, die prorussischen Rebellen sollen ein mobiles russisches Flugabwehrsystem vom Typ „Buk“ von der ukrainischen Armee erbeutet haben. Könnte damit die malayische Passagiermaschine abgeschossen worden sein?
Auf jeden Fall. Bei „Buk“ handelt es sich um ein komplexes System sowjetischer Bauart, das über ein Überwachungsradar und ein Feuerleitradar verfügt und je nach Version der Rakete, die abgeschossen wird, eine maximale Höhe von 11.000 bis zu 25.000 Metern erreichen kann. Das ist deutlich höher, als zivile Flugzeuge unterwegs sind.
Einige Experten zweifeln allerdings, dass die Aufständischen das hoch entwickelte System inklusive Radar nach so kurzer Zeit auch bedienen können.
Einfach ist das nicht, aber viele der Freischärler in der Ukraine sind Veteranen der Roten Armee oder anderer Streitkräfte. Wenn da genug dabei sind, die früher bei sowjetischen Flugabwehreinheiten gedient haben, dann könnten die Rebellen durchaus über die technischen Fähigkeiten verfügen, dieses System, das es seit den 1980er Jahren gibt, zu bedienen. Möglich ist natürlich auch, dass einige der Freischärler früher in der ukrainischen Armee waren und dort mit „Buk“ gearbeitet haben.
Könnten auch russische Soldaten, die ja auf der Seite der Separatisten kämpfen sollen, das System bedient haben?
Zu den Separatisten gehören sehr unterschiedliche Leute. Da gibt es Kosakengruppen, Tschetschenien-Veteranen und andere. Ob hier tatsächlich auch viele Angehörige der russischen Armee mitmischen, ist meiner Ansicht nach eher fragwürdig. Dafür gibt es einfach zu wenig Beweise.
Aber warum sollten die Rebellen eigentlich gezielt eine Linienmaschine abschießen?
Es spricht viel dafür, dass sie ein ukrainisches Militärflugzeug vom Typ Antonow An-26 treffen wollten. Es könnte sich also schlicht um eine Verwechslung handeln, was wiederum zeigen würde, dass sie das System doch nicht ganz so perfekt beherrschen. Allerdings ist noch nicht bewiesen, dass die Maschine der Malaysia Airlines überhaupt abgeschossen wurde. Rein formal kann man bisher nur von einem Absturz sprechen, obwohl es natürlich Hinweise für einen Abschuss gibt.
Welche Hinweise sind das?
Die USA haben erklärt, solche Hinweise zu haben. Die können von ihren Spionagesatelliten stammen, die registrieren, wenn in der Ostukraine eine Rakete dieser Größe startet. Zusätzliche Informationen könnte man aus der Fernmeldeaufklärung gewinnen. Da müsste auch der deutsche BND gut informiert sein.
Verfügen die Separatisten noch über weitere schwere Waffen?
Was ich auf Bildern gesehen habe, sind vor allem gepanzerte Mannschaftstransporter, der eine oder andere Granat- oder Raketenwerfer und ein paar Flugabwehrgeräte. Dabei handelt es sich aber um tragbare Flugabwehrraketen, die von ein oder zwei Leuten bedient werden können. Damit kann man Hubschrauber oder niedrig fliegende Kampfflugzeuge vom Himmel holen, aber keine Passagiermaschine in 10.000 Metern Höhe.
Sind das russische oder ukrainische Waffen?
Das ist sehr schwer zu sagen, denn beide Staaten verfügen oft über identische Ausrüstung. Sie hatten früher schließlich eine gemeinsame Armee. Ich gehe davon aus, dass die Separatisten sowohl über Waffen aus Beständen der ukrainischen Armee als auch über Waffen aus Russland verfügen. Die russischen Waffen dürften die Freischärler aber zum größten Teil selbst mitgebracht haben, denn viele von ihnen haben früher schon im Kaukasus gekämpft und dafür Ausrüstung erhalten. Eine systematische Ausrüstung der Separatisten mit schwerem Gerät durch die russische Armee würde ich ausschließen. Ich kann aber natürlich nicht ausschließen, dass einzelne Geräte, Panzerabwehrraketen oder Flugabwehrraketen etwa, die ein Infranterist noch tragen kann, von der russischen Armee an Freischärler übergeben wurde.
Otfried Nassauer ist Direktor des „Berliner Informationscenters für Transatlantische Sicherheit“