Michael Müller und Dietmar Woidke im Interview: "Am Thema Verkehrsverbindungen müssen wir hart arbeiten"
Die Länderchefs von Berlin und Brandenburg, Michael Müller und Dietmar Woidke (beide SPD), erzählen in ihrem ersten Doppelinterview von vollen Pendlerzügen, leeren Flughäfen und Gemeinsamkeiten.
Herr Müller, Herr Woidke, wann sind Sie sich zum ersten Mal begegnet?
MÜLLER: Mach du mal.
WOIDKE: Das war auf dem Brauhausberg, dem etwas maroden früheren Landtag in Potsdam, da wurde ich gerade SPD-Fraktionschef. Das war 2009. Micha war damals Fraktionsvorsitzender in Berlin.
Bei Ihnen heißt Herr Müller Micha? Und Sie sind Didi?
WOIDKE: Nee, nee!
Herr Müller, was gefällt Ihnen am besten an Brandenburg?
MÜLLER: Man kann so schöne Ausflüge machen, wir genießen als Großstädter das tolle Umland. Und ich bin öfter in Potsdam, schon wegen unserer Kooperation im Wissenschaftsbereich. Die ganze Familie Müller ist gerne in Brandenburg, wir sind sehr gern im Spreewald, zum Radeln oder Kajakfahren.
Herr Woidke, woran merken Sie, dass Sie in Berlin sind?
WOIDKE: Am Stau (lacht). Aber Spaß beiseite, ich habe schließlich zehn Jahre in Berlin gewohnt, von 1982 bis 1992, und zwar am Rosenthaler Platz. Als die Mauer fiel, stand ich auf der Bornholmer Brücke, das war ein fantastisches Erlebnis. Berlin ist eine großartige und irgendwie auch irre Stadt, mit der mich viel verbindet.
Ist das ein romantisches Verhältnis?
WOIDKE: Na ja, ich weiß nicht, ob man Berlin romantisch verklären kann. Es ist eine pulsierende Weltstadt, die sich wunderbar entwickelt. Ich hab’ auch eine Lieblingskneipe, das ist die Schwarze Pumpe …
MÜLLER: … na, das passt!
WOIDKE: Die ist in Prenzlauer Berg, gleich gegenüber hat früher Bärbel Bohley gewohnt. Über der Theke hängen viele Bergmannsschilder.
Bei aller Romantik hat man oft den Eindruck, dass viele Politiker in Berlin und Brandenburg mit dem Nachbarland nicht viel zu tun haben wollen. Gibt es unterschiedliche Mentalitäten?
MÜLLER: Die gibt es. Darin drücken sich unterschiedliche Lebenswege aus, und natürlich sind Politiker erst mal daran interessiert, das eigene Land nach vorn zu bringen. Aber als Fremdeln nehme ich das nicht wahr. Im Gegenteil – nicht nur die politischen, auch die privaten Beziehungen sind sehr eng, und die Zusammenarbeit beider Länder ist sehr gut.
Im Verkehr merkt man davon wenig. Es gibt Straßen und Radwege, die an der Landesgrenze enden.
WOIDKE: Ich finde schon, dass wir bei der gemeinsamen Landesplanung weit vorangekommen sind. Gerade sind wir dabei, die Ziele neu zu justieren. Bundesweit ist diese enge Kooperation zwischen einem Stadtstaat und einem Flächenland einmalig.
Der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz würde jetzt widersprechen …
MÜLLER: Olaf Scholz würde immer widersprechen ... (lacht)
WOIDKE: Also, es funktioniert zwischen Berlin und Brandenburg im Großen und Ganzen gut. Natürlich hat jedes Land eigene Interessen und Schwerpunkte und auch Befindlichkeiten, das ist doch ganz normal.
Gibt es eine typisch brandenburgische Mentalität, Herr Woidke?
WOIDKE: Ja, natürlich. Wir Brandenburger sind wohl manchmal zu zurückhaltend, zu verhalten.
MÜLLER: Wir ja auch, oder? (lacht)
WOIDKE: Na ja. Brandenburger, die ein sehr bodenständiger Menschenschlag sind, freuen sich mehr nach innen als nach außen. Dadurch unterscheiden sie sich nun mal von den Berlinern.
Und die Berliner sind …
MÜLLER: … sehr selbstbewusst. Das ist aber auch ein Ausdruck der Entwicklung in den vergangenen Jahren. Berlin ist inzwischen eine europäische Metropole, vielleicht sogar die europäische Metropole. Warum sollen wir da nicht selbstbewusst sein? Nur zur Selbstzufriedenheit gibt es keinen Grund, das ist uns bewusst.
Das klingt ja alles zu schön. Aber kennen Sie eigentlich Menschen, die zu den Stoßzeiten in überfüllten Pendlerzügen sitzen?
WOIDKE: Ja, da kenne ich einige. Und ich gebe zu: Die Verkehrsverbindungen zwischen Berlin und Brandenburg sind ein Thema, an dem wir hart arbeiten müssen. Wir sind eine eng vernetzte Wachstumsregion, deshalb arbeiten wir in Brandenburg gerade an einem neuen Nahverkehrsplan, der eng mit Berlin abgestimmt wird. Beim öffentlichen Verkehr müssen wir in den nächsten Jahren ordentlich was drauflegen.
Warum nicht jetzt schon?
WOIDKE: Neue Züge müssen ja irgendwo herkommen, neue Bahngleise auch. Die Planung, Beschaffung und Finanzierung ist eine langwierige Sache. Ich kenne die Diskussion um bessere Bahnanbindungen – ob nach Velten, Neuruppin, Cottbus, Kleinmachnow oder Nauen. Aber das geht alles nur in enger Abstimmung mit der Bahn und dem Bund. Das dauert eben – und es geht um viel Geld.
MÜLLER: Wir müssen genau hinschauen, wo neue, große Siedlungsgebiete entstehen und welche Kommunen die größten Zuwachsraten haben. Wichtig ist, dass den Menschen eine Alternative zum Auto angeboten wird.
WOIDKE: Und es geht darum, neue Wirtschaftsansiedlungen überhaupt verkehrlich zu erschließen.
Die Wahrheit ist konkret, sagt die Bundeskanzlerin gern. Also: Wohin fährt die Bahn bald ins Umland?
MÜLLER: Berlin und Brandenburg können nicht einfach sagen: Wir brauchen mal einige Schienen und einige Fahrzeuge mehr. Es gibt ein bundesweit integriertes Verkehrssystem, ein normaler Bestellvorgang bei der Bahn dauert von der Anmeldung bis zur Lieferung 15 Jahre. Die rasante Wirtschafts- und Bevölkerungsentwicklung war vor einigen Jahren nicht vorhersehbar. Jetzt müssen wir darauf reagieren. Das betrifft beispielsweise Standorte wie BER, Adlershof, den Cleantech-Park Marzahn. Es gibt eine neue Nord-Süd-Achse, die verkehrlich bedient werden muss. Jetzt stimmen wir uns ab: Wer muss was wann machen? Dann werden die notwendigen Finanzmittel beantragt.
Wenn ein Bestellvorgang 15 Jahre dauert: Was haben Sie denn jetzt schon bestellt?
MÜLLER: Wir haben mehr Wagen für die S-Bahn beantragt im Zusammenhang mit dem neuen Flughafen und auch für die Verbesserung der Regionalbahn zum Hauptbahnhof. Und dieses Jahr ist Baubeginn für die Dresdner Bahn.
WOIDKE: Ich rechne damit, dass der neue Nahverkehrsplan 2018 beschlossen wird. Wir müssen, damit es vorangeht, weiter Druck auf den Bund machen. Ich denke nur an den Wiederaufbau des zweiten Gleises zwischen Lübbenau und Cottbus. Für die Lausitz ist das immens wichtig. Gleiches gilt für die Uckermark und die Prignitz. Brandenburg und Berlin wären auch bereit, einige Projekte vorzufinanzieren. Das hat Bundesverkehrsminister Dobrindt allerdings gerade schriftlich untersagt. Das ist ein Riesenfehler. Und das werden wir auch nicht hinnehmen.
MÜLLER: Das sehe ich genauso. Es geht übrigens auch nicht nur um den Verkehr zwischen Berlin und Potsdam. Es gibt den Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg, und da haben alle Kommunen berechtigte Ansprüche auf gute Anbindungen.
Die Tagesspiegel-Umlandserie hat es gezeigt: Immer mehr Berliner ziehen in den Speckgürtel, inzwischen weit über den Berliner Ring hinaus. Ist das ein Gewinn für Brandenburg oder mehr eine Last?
WOIDKE: Überfordern würde es uns, wenn wir alles einfach so laufen lassen. Das tun wir aber nicht. Wir müssen nicht nur den Verkehr ausbauen, es geht um Kitas, Schulen, die gesamte kommunale Infrastruktur. Das unterstützt die Landesregierung zum Beispiel mit einem Kommunalen Investitionsprogramm, das in dieser Legislaturperiode neu aufgelegt wurde. Das Land zahlt dabei immer den Hauptteil, die Kommunen den Rest. Auch wenn ich den Begriff nicht mag: Es gibt Wachstumsschmerzen. Die Städte und Gemeinden stehen vor riesigen Herausforderungen, die sie allein nicht bewältigen können. Selbst die Sportvereine stoßen inzwischen an ihre Grenzen. Sie haben keine Kapazitäten mehr, um neue Mitglieder aufzunehmen.
Es geht ja auch ums Personal, etwa um neue Lehrer – da machen sich Berlin und Brandenburg gewaltig Konkurrenz.
WOIDKE: Es ist ein großer Fehler, dass wir seit der Föderalismusreform vor zwölf Jahren eine Beamtenbesoldung auf Länderebene haben. Unter diesem Wettbewerb um die Bezahlung leidet die gesamte öffentliche Verwaltung. Auch Berlin und Brandenburg sind, etwa wenn es um die Anwerbung von Polizeibeamten geht, klare Konkurrenten.
Wo Brandenburg und Berlin egoistisch sind
Muss es Beamte überhaupt noch geben?
WOIDKE: Es müsste eine bundeseinheitliche Regelung für hoheitliche Aufgaben geben. Das System in Brandenburg jetzt zu ändern wäre falsch, zumal die meisten Bundesländer verbeamten.
MÜLLER: Bei einer so wichtigen Strukturveränderung müssten sich wohl alle 16 Bundesländer einig sein, da gibt es aber sehr unterschiedliche Interessen. Und der Wettbewerb ums Personal wird sich nicht auflösen lassen. Entscheidend ist für uns beide: Wir sind aufeinander angewiesen. Berlin wird nicht erfolgreich sein ohne Brandenburg, und Brandenburg nicht ohne Berlin. Die Region muss sich ja auch dem internationalen Wettbewerb stellen. Das Deutsche Internet-Institut haben beide Länder gemeinsam nach Berlin und Potsdam geholt.
Dann wird es also doch noch eine gemeinsame Wirtschaftsförderung geben?
WOIDKE: Wir sind dazu bereit. Aber die Bedingung ist klar: Sie muss für das gesamte Land Brandenburg und Berlin zuständig sein. Berlin will es nur mit dem direkten Umland machen. Ich kann doch nicht der Uckermark, der Prignitz oder den Leuten in Elbe-Elster sagen: Seht mal zu, wie ihr allein klarkommt. Nein, wir brauchen Investitionen im gesamten Land. Brandenburg ist mehr als der Speckgürtel. Wenn Berlin das akzeptiert, können wir mit der gemeinsamen Wirtschaftsförderung sofort starten.
MÜLLER: Dietmar Woidke hat das Problem, wie man die Infrastruktur in ländlichen Regionen für die Bevölkerung stabilisieren kann. Das verstehe ich. Aber das darf man nicht isoliert betrachten. Das gibt es auch anderswo. Da braucht man nur nach Sachsen-Anhalt zu schauen, nach Mecklenburg-Vorpommern oder in einige Kreise von Niedersachsen. Da ist auch nationale Solidarität gefragt, etwa durch den Finanzausgleich zwischen den Ländern. Trotzdem: Solange wir getrennte Bundesländer sind, freut er sich über eine Ansiedlung bei sich, wie ich mich über eine in Berlin freue. Da gibt es auch Egoismen und das Selbstbewusstsein, dass man auch allein erfolgreich sein will. Das ist Tagespolitik. In den grundlegenden Fragen funktioniert die Abstimmung zwischen Berlin und Brandenburg, da braucht man keine gemeinsame Wirtschaftsförderung.
Sie wollen also nicht, Herr Müller?
MÜLLER: Ich will das nicht ausschließen, sehe im Moment dafür aber keine Notwendigkeit. Die Pendlerbeziehungen finde ich wesentlich wichtiger als ein Büro, in dem ein Berliner und ein Brandenburger sich darüber austauschen, ob der Messeauftritt ein rotes oder ein weißes Schild bekommt. Berlin und Brandenburg haben ja eine gemeinsame Clusterpolitik, die festlegt, welche Branchen gestärkt werden sollen. Wir haben das aufgeteilt, der eine macht hier ein bisschen mehr, der andere dort, etwa in der Gesundheitswirtschaft. Die großen Linien werden abgestimmt. Eigentlich reicht das.
WOIDKE: Und Probleme, wie jetzt mit Bombardier in Hennigsdorf, haben wir ja auch gemeinsam. Ich bin froh, dass es bei der Lösung solcher Arbeitsplatzprobleme ein gutes gemeinsames Auftreten von Berlin und Brandenburg gegenüber der internationalen Konzernführung gibt.
Dennoch, im Alltag sind Unterschiede zwischen beiden Ländern teilweise gravierend, etwa bei den Kitas. In Brandenburg werden hohe Kita-Beiträge fällig, in Berlin zahlt man fast nichts mehr. Wer soll das verstehen?
MÜLLER: Wenn die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung im Amt ist, werden Gebühren für Bildung überall in Deutschland abgeschafft ...
WOIDKE: … vielleicht übernimmt ja auch unsere äußerst flexible Bundeskanzlerin diese SPD-Forderung. Aber ernsthaft: Wir haben uns entschieden, zuerst die Betreuungsquoten zu verbessern, also die Kitagruppen zu verkleinern. Dann ist auch frühkindliche Bildung viel besser möglich. Aber auch wir wollen noch 2018 beginnen, Eltern bei den Beiträgen zu entlasten. Das letzte Kita-Jahr soll dann in Brandenburg gebührenfrei sein.
Brandenburg hinkt Berlin zehn Jahre hinterher.
WOIDKE: Wir sind da nicht im Wettbewerb. Das Allerwichtigste ist die Verbesserung der Betreuungsquote. Ich will, dass in Brandenburg in den nächsten zehn Jahren bei den Drei- bis Sechsjährigen eine Erzieherin acht Kinder betreut, bisher sind wir bei einer Quote von eins zu elf, und bei den Kleinsten wollen wir auf eins zu drei kommen. Das hat für mich Vorrang vor den Beiträgen.
MÜLLER: Das eine schließt das andere nicht aus, wie wir in Berlin vormachen.
WOIDKE: Wir nehmen fast 70 Prozent unserer Ausgaben durch Steuereinnahmen selbst ein. Das unterscheidet uns deutlich von Berlin. Das heißt auch, dass wir beim Geldausgeben vielleicht manchmal etwas vorsichtiger sind.
MÜLLER: Wir freuen uns, dass Berlin bei der gebührenfreien Bildung Vorreiter in Deutschland ist. Es darf keine sozialen Barrieren in der Bildung geben, von der Kita bis zur Hochschule. Das war auch in Berlin ein schmerzhafter Prozess. Wir haben selbst in den Zeiten, als heftig gekürzt und gespart wurde, den Weg der Gebührenfreiheit gewählt. Inzwischen will die SPD das Thema im Bundestagswahlkampf überall voranbringen.
Am Tag der Bundestagswahl findet in Berlin auch der Volksentscheid über den Flughafen Tegel statt. Haben Sie eine Empfehlung, Herr Woidke, wie Ihr Berliner Kollege die Stimmung in der Bevölkerung noch wenden kann?
WOIDKE: Ich muss ihm da keine Ratschläge geben. Die Position des Berliner Senats ist vollkommen nachvollziehbar. Die Entlastung vieler Menschen von Fluglärm in der Metropole war Basis der BER-Planfeststellung. Die Politik hat den Menschen von Falkensee bis Pankow versprochen, dass der Flughafen schließt – darauf müssen sie sich verlassen können. Und wir sind am BER in einer Phase, in der wir alles Mögliche gebrauchen können, aber eins mit Sicherheit nicht: neue juristische Unsicherheit. Was FDP und CDU da in Berlin an Stimmungsmache betreiben, ist unseriös. Das ist populistischer Wahlkampf, und Bundesverkehrsminister Dobrindt hängt sich ganz billig dran.
Aber weil am BER nichts vorangeht, wächst die Zustimmung für Tegel. Sind Sie sicher, Herr Müller, dass nicht auch 80 Prozent der Berliner Sozialdemokraten für ein Offenhalten von Tegel sind?
MÜLLER: Ja, da bin ich mir sicher. Natürlich gibt es auch bei SPD-Mitgliedern Befürworter der Offenhaltung, in der Partei spiegelt sich die Debatte der Stadt wider. Ich weiß natürlich, dass die Abstimmung ein harter Gang wird für Rot-Rot-Grün. Aber wir gehen in diese Auseinandersetzung, und ich bin da auch nicht pessimistisch.
Wie die Chancen für eine Länderreform stehen
Sie argumentieren sehr rational, aber es geht um Emotionen.
MÜLLER: Es gibt bei Tegel eine große Emotionalität, das wissen wir. Die Leute hängen an diesem Flughafen und sind verärgert über den BER. Ich weiß doch, wie diskutiert wird, selbst in meiner Familie. Die Leute schütteln nur noch mit dem Kopf über die Situation in Schönefeld und sagen: Mensch, der Flughafen Tegel, den kennen wir seit Jahrzehnten, der ist doch toll. Diese Emotionalität muss man aufnehmen. Aber die Politik ist dafür da, eine Perspektive für die nächsten 30 oder 40 Jahre zu formulieren, und da ist kein Platz für einen innerstädtischen Flughafen. BER wird der Flughafen für die Hauptstadtregion werden, fertig.
Wenn es mal so einfach wäre: Auch 2018 wird der BER nicht starten. Es wird 2019, womöglich 2020. Dabei waren Sie im Frühjahr als damaliger Aufsichtsratschef noch so optimistisch, Herr Müller.
MÜLLER: Ich habe immer gesagt, was ich wusste. Ich habe mit keiner Information hinterm Berg gehalten. Und der Kenntnisstand war: Es kann Ende 2017 klappen, oder es kann Anfang 2018 werden. Ich laufe ja nicht selbst mit dem Schraubenzieher über die Baustelle. Und wenn mir jetzt von den Verantwortlichen gesagt wird, es kann Ende 2018 oder Anfang 2019 sein, muss ich das akzeptieren und sehen, wo Dinge noch beschleunigt und optimiert werden können. Glauben Sie mir: Lustig finde ich das nicht.
In vielen Schulen Berlins fällt der Putz von der Wand, und die Baustelle da draußen kostet jeden Tag eine Million. Da steckt doch politischer Sprengstoff drin ...
WOIDKE: … mag sein. Aber ein Beschluss für Tegel würde ja sofort beinhalten, dass nicht weniger Geld gebraucht wird für die Berliner Flughäfen, sondern deutlich mehr. Nein, der BER muss endlich fertig werden. Wir werden deshalb, so wie Berlin auch, den Druck auf die Geschäftsführung hoch halten, die wiederum den Druck auf die beteiligten Firmen weitergeben muss. Wir reden schließlich nicht über eine Mondlandung, sondern über die Eröffnung eines Flughafens. Und bis dahin müssen wir uns weiter in Geduld üben, auch wenn es schwerfällt.
MÜLLER: Dass es 2012 nicht geklappt hat, hat inzwischen auch wirtschaftspolitische Auswirkungen – für Ansiedlungen in der Region, auch für die Entwicklung des Flugverkehrs. Die Konsequenz kann aber nicht sein, es ganz sein zu lassen, sondern das Ding in Ordnung zu bringen. Hamburg hat den Bau der Elbphilharmonie mit einer Verzehnfachung der Bausumme abgeschlossen. Davon sind wir weit entfernt.
Noch!
MÜLLER: Was ich sagen will: Man stelle sich vor, in Hamburg hätte man in der Mitte der Bauzeit gesagt: Jetzt reicht’s, wir werfen den Schlüssel weg! Nein, man muss den BER in Ordnung kriegen, auch wenn es noch länger dauert.
Warum lässt man den Flughafen Tegel nicht wenigstens drei Jahre oder fünf Jahre länger offen, bis man am BER vernünftige Bedingungen hat?
MÜLLER: Ich weiß um die Befürchtung, auf Tegel zu verzichten, ohne dass es in Schönefeld richtig funktioniert. Deshalb wird Tegel erst zugemacht, wenn Schönefeld läuft, nämlich ein halbes Jahr nach dem Eröffnungstermin. Aber wir werden in Schönefeld schon ab dem Start bessere Bedingungen als jetzt in Tegel haben – bei der Abfertigung, den Kapazitäten. Die Bedingungen in Tegel sind jenseits aller Romantik grenzwertig, für die Passagiere, die Airlines, die Beschäftigten.
Zum neuen BER kommt man dafür kaum – außer mit einem Flugzeug. Die Anbindung macht schon jetzt Sorgen.
WOIDKE: Die Verkehrsanbindung nach Schönefeld ist mit Autobahn, S-Bahn, Regional- und Fernbahn gut – im Gegensatz zu Tegel, wohin nur eine vierspurige Stadtstraße mit einer Brücke führt.
MÜLLER: Ein Bus und eine Straße. Das ist Tegel. Und man darf die Erreichbarkeit nicht nur daran messen, wie man aus Charlottenburg zum BER kommt. Wir bauen ein Flughafensystem für die nächsten Jahrzehnte, wir haben Fluggäste aus Berlin, Hamburg, dem Spreewald und aus Polen. Die Schienenanbindung in Schönefeld ist wesentlich besser, und dort ist alles ausbaufähig.
WOIDKE: Richtig ist, dass die Verkehrsanbindung – wie der Flughafen selbst – für weniger Passagiere geplant wurde. Die Region hat sich, ob Wirtschaft oder Bevölkerung, stärker entwickelt als noch vor wenigen Jahren geplant. Deshalb werden wir das Strukturkonzept für den BER anpassen müssen.
In Brandenburg wird 2019 gewählt, und auch hier gibt es eine erfolgreiche Volksinitiative. Fürchten Sie eine Niederlage bei einem Volksentscheid zur Kreisreform, gegen die die CDU trommelt, Herr Woidke?
WOIDKE: Ach ja, die CDU, die ist wie in Berlin auch bei uns sehr flexibel. Die Verwaltungsstrukturreform, die wir jetzt machen, hat die Union 2011 noch selbst gefordert. Jetzt will man davon nichts mehr wissen. Die Debatte ist im Land sehr emotional, ähnlich wie zu Tegel in Berlin. Auch hier geht es um die Frage: Wie stellt sich Brandenburg für die nächsten 30 oder 40 Jahre auf? So schwierig die Diskussion momentan ist: Wir sind dazu verpflichtet, unser Land zukunftsfest zu machen.
Und nach der Kreisreform können Berlin und Brandenburg fusionieren?
WOIDKE: Wozu? Ich wüsste nicht, was dann besser laufen sollte. Die Frage, die schon 1996 nicht überzeugend beantwortet werden konnte, war doch: Was ändert sich zum Positiven? Den Brandenburgern können Sie nun mal schlecht erklären, warum eine Mehrheit aus Berlinern in einem gemeinsamen Landesparlament sich darum kümmern sollte, was in der Lausitz los ist.
MÜLLER: Ich sehe es so, dass aus Berliner Sicht ein gemeinsames Land nach wie vor eine Zukunftsperspektive sein könnte. Aber man sollte sich nicht verkämpfen. Die Stimmung in Brandenburg ist dafür nicht da ...
WOIDKE: Würde man jetzt eine Volksabstimmung machen, wären 75 Prozent der Brandenburger dagegen. Das hat auch mit dem eigenen Erfolg, dem gewachsenen Selbstbewusstsein zu tun, weil sich Brandenburg in den letzten Jahren eigenständig so gut entwickelt hat.
Zum Abschluss: Was wünschen Sie Ihrem Nachbarn?
WOIDKE: Dass Berlin sich weiter so exzellent entwickelt. Und ich wünsche mir, den Blick gelegentlich mehr über den Tellerrand, über das Berliner Umland hinauszurichten. Vielleicht interessiert man sich in Berlin mal für Schwedt, Wittenberge oder Cottbus.
MÜLLER: Ich wünsche Brandenburg, dass es dort eine gute Entwicklung nicht nur in zwei, drei Städten gibt, sondern in allen Regionen des Landes. Denn wir sind uns doch näher, als man manchmal denkt.
Das Gespräch führten Stephan-Andreas Casdorff, Robert Ide, Thorsten Metzner und Ulrich Zawatka-Gerlach.
Stephan-Andreas Casdorff, Robert Ide, Ulrich Zawatka-Gerlach, Thorsten Metzner