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Ende einer Ära: Sigmar Gabriel (SPD).
© Michael Kappeler/dpa

Außenminister und SPD-Politiker: Am Ende dauert Sigmar Gabriels Abgang gerade einmal drei Minuten

Länger als sieben Jahre führte Gabriel die SPD, als Außenminister stieg er zum beliebtesten deutschen Politiker auf. Sein Abgang spielte sich in sehr kurzer Zeit ab.

Donnerstagfrüh kehrt Sigmar Gabriel noch einmal an seinen alten Arbeitsplatz zurück – ins Zimmer des SPD-Vorsitzenden im fünften Stock des Willy-Brandt-Hauses. Länger als sieben Jahre hat er von hier aus versucht, den Niedergang der SPD zu stoppen. Am Anfang feierten ihn die Genossen als Hoffnungsträger, am Ende konnten ihn viele kaum mehr ertragen.

Gabriel ist für 8.30 Uhr bestellt. Mit seiner früheren Sekretärin trinkt der geschäftsführende Außenminister noch eine Tasse Kaffee, man kennt sich lange. Dann bitten jene zum Gespräch, die jetzt im Willy-Brandt-Haus das Sagen haben: die designierte Parteichefin Andrea Nahles und der designierte Vizekanzler Olaf Scholz, bis zum Parteitag im April kommissarischer Vorsitzender.

Gabriel weiß, was jetzt kommt. Seine Erklärung zum Ausscheiden aus dem Kabinett hat er schon vorbereitet. Er muss sie nur noch von seinem iPhone verschicken. Drinnen, in Gabriels altem Arbeitszimmer, setzen Nahles und Scholz zu einer Erklärung an. Ihre Entscheidung gegen Gabriel habe nichts mit dessen Arbeit als Außenminister zu tun, versichern sie. Beide wissen: Kein sozialdemokratischer Minister ist so beliebt wie der, dem sie nun den Stuhl vor die Tür setzen. Mit seiner Bilanz als Chefdiplomat kann das Spitzenduo die Trennung also nicht begründen.

Das Wort Kränkung kommt nicht vor

Doch Gabriel will das alles gar nicht hören, winkt ab. Für ihn steht fest, dass es Nahles und Scholz nur um eines geht – ihn als unliebsamen Konkurrenten bei der Neuauflage der großen Koalition aus dem Weg zu räumen. Drei Minuten dauert die Zusammenkunft. Dann ist die Ära Gabriel in der SPD Geschichte, der Entlassene verschickt seinen Abschiedstext.

Das Wort Kränkung kommt darin nicht vor. Aber dass sich hier einer ungerecht behandelt fühlt, kann man zwischen den Zeilen lesen. „Ich wünsche der neuen Bundesregierung insgesamt, meinem Nachfolger im Auswärtigen Amt und meiner Partei von Herzen Erfolg für die Bewältigung der vor uns liegenden großen Herausforderungen zum Wohle unseres Landes und zum Wohle Europas“, lautet der letzte Satz. Übersetzt heißt das: Jetzt müssen die Neuen, vor allem Nahles und Scholz, zeigen, dass sie es besser können. Wer Gabriel kennt, weiß: Der Instinktpolitiker aus Goslar hat da so seine Zweifel.

Bis zuletzt hatte Gabriel um sein Amt gekämpft, das er erst Anfang vergangenen Jahres übernommen und das ihm ungeahnte Beliebtheitswerte eingetragen hatte. Im Januar 2017 hatte er Martin Schulz als SPD-Kanzlerkandidaten vorgeschlagen und zugunsten des langjährigen Europapolitikers auf den Parteivorsitz verzichtet – nach sieben Jahren an der Spitze der Sozialdemokratie. Damals hatten viele aufgeatmet. Doch in den vergangenen Wochen gewann der ebenso umstrittene und streitbare Machtmensch an der Parteibasis wieder mehr Sympathien. Aus dem Landesverband Nordrhein- Westfalen gab es bis zuletzt Versuche, die SPD-Führung umzustimmen, um den populären Minister im Amt zu halten.

Doch Nahles und Scholz waren lange schon entschieden. Das neue Spitzenduo der SPD sah in ihm nur noch den Störfaktor. Dass sich dieser unruhige Geist im Kabinett ihrer Führung unterordnen werde, mochten sie nicht glauben. Der Ex-Parteichef werde immer der unberechenbare und sprunghafte Aktionist bleiben, unter dessen Alleingängen und Kehrtwenden sie jahrelang gelitten hatten.

Da hilft keine Entschuldigung

Und am Ende lieferte ihnen Gabriel selbst noch so etwas wie einen letzten Beweis. Das war, als Anfang Februar der damalige Parteichef Schulz das Amt des Außenministers für sich reklamierte. Gabriel fühlte sich kalt abserviert, reagierte empört. Und legte seiner eigenen Tochter in einer Stellungnahme die Aussage in den Mund, sie freue sich, dass ihr Vater nun wieder mehr Zeit mit ihr und nicht mit dem „Mann mit den Haaren im Gesicht“ verbringen werde. Nicht nur in der SPD empfanden das viele als Geschmacklosigkeit. Dass Gabriel sich bald entschuldigte, half auch nichts mehr.

Was wird bleiben von Sigmar Gabriel, der als begabtester Politiker seiner Generation über Jahre hinweg die deutsche Politik geprägt, mitunter auch in Atem gehalten hat? Wie er selbst gesehen werden will, was er sich als Erfolg zugutehält, das sagt Gabriel am Donnerstag vorsichtshalber selbst. In der Erklärung, die der scheidende Minister verschickt, taucht seine Arbeit als SPD-Chef nur am Rande auf, eine Bilanz von sieben Jahren Vorsitz fehlt. Stattdessen zeigt er sich stolz darauf, dass er Joachim Gauck und Frank- Walter Steinmeier als Bundespräsidenten durchsetzen konnte. Außerdem nennt er die Rettung von mehr als 10.000 Arbeitsplätzen bei der Übernahme der Einzelhandelskette Kaisers/Tengelmann als Wirtschaftsminister sowie die Befreiung deutscher Staatsangehöriger aus „ungerechtfertigter Haft“ im Ausland. Als Außenminister hatte er sich mit aller Macht für die Freilassung des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner und des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel aus türkischer Haft eingesetzt.

Was Gabriel nicht schreiben kann, schon um seinem Abschied die Würde nicht zu nehmen, sagt Axel Schäfer. Der Bochumer Bundestagsabgeordnete zählt zum Gabriel-Fanclub in der SPD-Fraktion. Dass Nahles und Scholz den beliebtesten Sozialdemokraten auf die Hinterbank verbannen, ist für Schäfer eine „Entscheidung gegen die Mehrheit der Wählerschaft und die Mehrheit der Mitglieder“. Der große Aufschrei in der SPD aber bleibt aus. So still kann die Zeit eines Spitzenpolitikers zu Ende gehen.

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