Im Bundestag weiter sechs Monate gültig: Ältestenrat will über Ausnahme beim Genesenen-Status beraten
Mitte Januar wurde der Genesenen-Status von sechs auf drei Monate verkürzt. Im Bundestag gilt weiter die alte Regel. Von einer „Unverschämtheit“ ist die Rede.
Über die Dauer der Anerkennung des Genesenenstatus für Bundestagsabgeordnete im Parlament soll neu beraten werden. SPD-Parlamentsgeschäftsführerin Katja Mast kündigte am Mittwoch in Berlin an, das Thema werde an diesem Donnerstag im Ältestenrat des Parlaments zur Sprache kommen. Sie gehe „sicher davon aus“, dass die für die Abgeordneten geltenden Regeln bereits für die nächste Sitzungswoche geändert würden.
Die aktuelle Allgemeinverfügung des Bundestages, die insbesondere den Zutritt zum Plenarsaal und zu Ausschusssälen regelt, geht von der Gültigkeit des Genesenenstatus von sechs Monaten aus. Außerhalb des Parlaments gilt jedoch seit eineinhalb Wochen aufgrund einer Entscheidung des Robert-Koch-Instituts (RKI) nur noch eine Gültigkeit von 90 Tagen. Die Abweichung hatte zu Kritik geführt, von einer Ungleichbehandlung war die Rede.
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Die derzeitige Allgemeinverfügung wurde noch „vor der Neudefinition des RKI erlassen“, sagte Mast zu den unterschiedlichen Zeiträumen. „Ich gehe fest davon aus, dass sich das ändern wird“, fügte sie mit Blick auf die Parlamentsregeln hinzu.
Die Ausnahme für Bundestagsabgeordnete hatte für scharfe Kritik unter Politikern und Experten gesorgt. „Den Genesenen-Status fachlich fragwürdig auf drei Monate zu verkürzen, aber für den Bundestag bei sechs Monaten zu belassen, ist eine Unverschämtheit“, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt der „Bild“.
Die FDP-Gesundheitsexpertin Christine Aschenberg-Dugnus sagte der Zeitung: „Sonderregelungen im Bundestag darf es nicht geben.“ Sie forderte eine Änderung der zugrundeliegenden Allgemeinverfügung – möglichst noch in den nächsten Tagen.
Der Verfassungsrechtsexperte Christian Hillgruber von der Universität Bonn sagte, dass es für die „Ungleichbehandlung“ von Bürgern und Politikern keinerlei Rechtfertigung gebe: „Entweder die Verkürzung des Genesenen-Status ist aus fachlich-gesundheitlicher Sicht geboten oder nicht, Abgeordnetenstatus hin oder her.“
In der Bundestagsverwaltung waren sie sich bereits am Dienstag bewusst, dass das kommunikativ schwer zu vermitteln ist – und Klischees schüren kann. Aber letztlich ist es eine Entscheidung, die die ganzen Fallstricke der deutschen Pandemieregeln offenbart.
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Die Vorgeschichte: Das Robert-Koch-Institut hat mit Wirkung zum 15. Januar den Genesenen-Status im Infektionsschutzgesetz von sechs auf drei Monate verkürzt - was auch von Länderseite starke Kritik hervorruft, vor allem an Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).
Aber für den Zugang zum Bundestagsplenum darf die per PCR-Labortest nachgewiesene Infektion auch weiterhin sechs Monate zurückliegen. Das hängt mit der zuvor schon erlassenen Allgemeinverfügung von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) für das Parlament zusammen.
Hierfür gilt im juristischen Sinne eine sogenannte statische Verweisung; das bedeutet, dass gilt, was damals Stand der Dinge war – und dass dies weiter gilt.
Es ist - wie viele Länderverfügungen in der Corona-Politik - eine Regelung, bei der das Infektionsschutzgesetz nicht greift.
Zu dem Zeitpunkt sah die Covid-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung vor, dass als genesen gilt, wenn die Infektion mindestens 28 Tage und höchstens 6 Monate zurückliegt. Die langjährige Bundestagsabgeordnete Elisabeth Moschmann, die seit dem Herbst dem Parlament nicht mehr angehört, spießt das bereits kritisch auf: „Wenn es stimmt, dass der Genesenenstatus im Bundestag weiterhin 6 Monate beträgt, schlägt das dem Fass den Boden aus. Man mag es kaum glauben“, betont sie bei Twitter. „Privilegien für Abgeordnete? Alle Menschen sind gleich, aber Abgeordnete sind „gleicher“?“ Doch ganz so einfach ist es halt nicht.
Kritik von der Union
Auch aus den Reihen der Unionsfraktion kommt deutliche Kritik. „Ich fände es ehrlich gesagt seltsam, wenn im Bundestag etwas Anderes gelten würde als in Deutschland insgesamt“, sagt der Erste Parlamentarische Geschäftsführer Thorsten Frei (CDU). Die Frage der Dauer der Geltung des Genesenenstatus sei in allererster Linie medizinisch zu beantworten. Deswegen betreffe es Bundestagsabgeordnete genauso wie andere.
CSU-Landesgruppenchef Dobrindt versucht direkt, Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Schuld in die Schuhe zu schieben - der aber in diesem Fall gar nichts dafür kann. Er hatte beim jüngsten Bund-Länder-Gipfel für die nicht angekündigte, kurzfristige Änderung viel Ärger auf sich gezogen. „Damit hat Lauterbach der Demokratie einen echten Bärendienst erwiesen“, so Dobrindt.
Bundestag prüft Änderung
Doch hier geht es eben nicht um einfach so erlassene Bundestags-Privilegien, sondern um den juristischen Status Quo, aufzulösen ist das nur durch eine neue Allgemeinverfügung für den Bundestag – was nun auch geprüft wird.
„Angesichts der sehr dynamischen Lage, die mit einigen Unsicherheiten verbunden ist, des gestrigen Bund-Länder-Treffens, der Erfahrungen der aktuellen Sitzungswoche und des weiteren Pandemiegeschehens wird fortlaufend analysiert, ob Änderungen der Allgemeinverfügung angezeigt sind“, betont ein Sprecher auf Tagesspiegel-Anfrage.
Bundestagspräsidentin Bas (SPD) könnte diese Regelung also bald anpassen. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Britta Haßelmann hat angekündigt, dass man wegen Genesenen-Status zeitnah mit Bas und dem Präsidium des Bundestags sprechen werde. „Das wird in den nächsten Tagen zu klären sein“, sagte sie im Bundestag. Thorsten Frei veröffentlichte auf Twitter bereits ein Schreiben an Bas, in welchem er sie bat, „entsprechende Unstimmigkeiten zu überprüfen und zeitnah die notwendigen Änderungen vorzunehmen.“ Es wäre fatal, wenn der Eindruck entstünde, dass für Abgeordnete besondere Regeln gelten würden, schreibt er weiter.
Vor allem die AfD profitiert von der Bundestags-Ausnahme
Für den Zugang zum Plenarsaal und Ausschusssitzungen gilt bisher die gemäß der Verfügung von Bundestagspräsidentin Bas die 2G-Plus-Regel, nur geimpfte oder genesene Abgeordnete können mit zusätzlichem negativem Test hinein, es sei denn, sie sind geboostert, also Dreifach-geimpft. Dann entfällt die Testpflicht. Vor allem in Reihen der AfD-Fraktion gibt es viele genesene, aber nicht geimpfte Abgeordnete.
Mit der 3-Monate-Regel müssten einige von ihnen auf die Besuchertribüne des Bundestags bei Sitzungen ausweichen, hier gilt nicht die 2G-Plus-Regel, dort sitzen bereits regelmäßig bis zu 20 AfD-Abgeordnete. Betroffen wäre auch Fraktionschefin Alice Weidel. Sie ist nach eigenen Angaben nicht geimpft und hatte im November eine Corona-Infektion. AfD-Fraktionschef Tino Chrupalla hatte sich im Oktober mit dem Coronavirus infiziert und gälte als nicht mehr genesen.
Aber, der Bundestag ist da auf einer Linie mit dem Land Berlin. Gemäß der Landes-Corona-Verordnung gilt auch hier weiter die alte 2G-Regel mit den sechs Monaten für Genesene, also zum Beispiel beim Zutritt zu Geschäften und Veranstaltungen. Der nur noch dreimonatige Genesenen-Status gelte derzeit nur „in jenen Bereichen, die durch das Infektionsschutzgesetz des Bundes geregelt werden – etwa die 3G-Pflichten am Arbeitsplatz und im Personenverkehr sowie die Bestimmungen zur Einreise“, betont die Senatskanzlei.
In den Bundestagsbüro gilt man nur drei Monate lang als genesen
Richtig kompliziert wird es dadurch auch im Bundestag, denn für den Zugang zu Abgeordnetenbüros greift die 3G-Regel am Arbeitsplatz – mit dem neuen Genesenen-Status gemäß Infektionsschutzgesetz. Lauterbach hatte betont, Corona-Genesene hätten angesichts der nun vorherrschenden Omikron-Variante nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen ihren Immunschutz nach drei Monaten leider verloren und könnten sich infizieren.
„Wenn man da Sicherheit will und die Fallzahlen kontrollieren will und die Vulnerablen besonders schützen will, dann muss man schnell handeln“, so Lauterbach. Aber neben der kommunikativ schlecht vorbereiteten Kehrtwende ist nun noch ein ziemliches Regelungs-Durcheinander entstanden, nicht nur im Deutschen Bundestag.
Ungefähr sieben Millionen Genesenen gibt es derzeit in Deutschland, einige davon verloren über Nacht ihr gültiges Genesenenzertifikat – mit erheblichen Auswirkungen auf ihren Alltag: Aufgrund der geltenden 2G-Plus Regelungen kommen sie zum Beispiel nicht mehr in Restaurants, Cafés und sonstige Veranstaltungen.
Mit dem Entschluss, den Genesenenstatus zu verringen, hatte das Robert-Koch-Institut (RKI) Politik und Gesellschaft überrumpelt. Die Behörde machte damit Gebrauch von einer neuen Regelung, die der Bundesrat zuvor beschlossen hatte - demnach darf das RKI nun bei neuen Erkenntnissen ohne neuen politischen Beschluss solche Einstufungen ändern. Demnach entscheidet nicht mehr der Bundestag über die Frage, wie lange sich Genesene auf ihren Immunitätsstatus berufen können, sondern direkt das RKI und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI). Ob das so bleibt, ist nach der missratenen Premiere aber sehr fraglich.