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Der britische Historiker Timothy Garton Ash.
© Maurizio Degl/picture alliance / dpa

Ein Jahr Zentrum Liberale Moderne in Berlin: Als Geschenk die Prognose: Die Briten bleiben

Timothy Garton Ash sagt in Berlin voraus: Das Parlament in London lehnt Theresa Mays Brexit-Deal ab, setzt ein zweites Referendum an - und "Remain" siegt.

Wer sagt, dass Selbstkritik und Fröhlichkeit sich nicht vertragen? Das Zentrum Liberale Moderne, 2017 gegründet von Ralf Fücks, dem langjährigen Vorsitzenden der Heinrich-Böll-Stiftung, und seiner Frau, der ebenfalls langjährigen grünen Bundestagsabgeordneten Marie-Luise Beck, feiert Geburtstag. Alt-Bundespräsident Joachim Gauck, seine Lebensgefährtin Daniela Schadt, der Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Markus Kerber, und viele Anhänger liberaler und grüner Ideen feierten am Donnerstag Abend in Berlin-Mitte mit. Gauck hatte das Zentrum Liberale Moderne 2017 eröffnet.

Es geht um Respekt, nicht ökonomische Benachteiligung

Der britische Historiker Timothy Garton Ash las ihnen die Leviten: Was die Liberalen alles falsch gemacht haben. Und warum es dazu kommen konnte, dass Rechtspopulisten heute mehr Anhänger finden als die Verteidiger der Freiheit. Der Fall der Mauer und der kommunistischen Diktaturen vor bald 30 Jahren war ein Sieg der Freiheit. Über dem Triumph vergaßen die Liberalen jedoch, dass der Mensch nicht allein von Freiheit und Demokratie lebt. Die Ungleichheit der Einkommen wuchs. Die Verflechtung von Geld und Politik im so genannten "Neoliberalismus" glich einer Inzucht.

Zum Treibsatz für die Populisten, so Garton Ash, wurde aber nicht das Gefühl ökonomischer Benachteiligung, sondern die so empfundene "Ungleichheit des Respekts". Eine Wutbürgerin im sächsischen Heidenau, so zitierte er, sagte über Kanzlerin Angela Merkel bei deren Besuch lutherisch-grob: "Die schaut uns nicht mal mit dem Arsch an."

Begriffe wie Nation und Patriotismus wurden den Populisten überlassen

Auch Trump sei nicht trotz, sondern wegen seiner deftigen Sprache gewählt worden. Polens nationalpopulistische Regierungspartei PiS verspreche ihren Anhänger vor allem die "Umverteilung von Prestige und Würde".

Anders gesagt: Die Liberalen werden auch für ihre Arroganz gegenüber weniger Gebildeten bestraft. Sie haben Begriffe wie die Nation und den Patriotismus den Populisten überlassen, statt sie für sich zu reklamieren, bemängelt Garton Ash. "In Großbritannien haben wir Liberalen den Fehler gemacht, das Wort England den Populisten zu überlassen." Doch wenn man Fehler erkenne, könne man sie korrigieren.

Chancen auf ein neues Brexit-Referendum

Großbritannien, prognostizierte Garton Ash zum Abschluss seiner Geburtstagsrede, besinne sich spät, aber doch auf seinen sprichwörtlichen Pragmatismus. Theresa May werde die Abstimmungen im Londoner Parlament über den von ihr ausgehandelten Brexit-Deal zwei Mal hintereinander verlieren. "Und dann öffnet sich die Chance auf ein zweites Referendum, in dem die Briten sich für Remain entscheiden: den Verbleib in der EU."

Wenn die Kontinentaleuropäer dann noch etwas nachhelfen, den Briten keine Barrieren für die Umkehr in den Weg legen, sondern sagen: "Wunderbar! Wir Begrüßen das sehr, wenn ihr bleibt!", machte Garton Ash sich und den Gästen Mut, "werden wir diese Schlacht gewinnen".

Denn in den letzten vier Monaten habe sich ganz viel bewegt. "Immer mehr Menschen begreifen, dass der Deal, den wir bekommen können, schlechter ist, als wenn wir in der EU bleiben." Das gelte ganz besonders für die Mitglieder des Parlaments.

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