Schulz im Wahlkampf: Alles versuchen oder nichts gewinnen
Die SPD und ihr Kandidat müssen die Union endlich stellen. Wenn die Sozialdemokraten auf die Themen setzen, die die Menschen wirklich bewegen, dann geht bis zur Bundestagswahl noch einiges. Ein Kommentar.
Nun heftet sich die SPD jeden Erfolg eines Politikers an ihre Fahnen, der von linker Politik auch nur angehaucht wirkt. Emmanuel Macron, Jeremy Corbyn, gleichviel, und einerlei, was diese beiden trennt – mehr als ein Kanal –,Hauptsache, es ist kein Konservativer. Aber was soll sich einer wie Martin Schulz von diesen beiden abgucken können, ohne dass es wie kopiert wirkt? Wo bleibt da die eigene Authentizität? Um es mit einem Linken alter Schule zu sagen: Es muss doch einen Politikentwurf geben, für den sich der Spitzenkandidat und die Partei und am Ende auch eine erkleckliche Anzahl von Wählern begeistern können. Es darf doch eigentlich nicht sein, dass die Sozialdemokratie, deren Themen sich bis weit nach rechts durchgesetzt haben, nicht einmal 30 Prozent erreicht, sondern wieder gen 20 Prozent durchsackt. Eigentlich.
Wenn da nicht diese aktuellen Fehler im Wahlkampf wären, und der schon länger währende Verlust an Authentizität. Die Fehler sind: Schulz stellte doch tatsächlich den eigenen Wahlkampf ein, als Hannelore Kraft das für ihre Wiederwahl in NRW forderte. Womit sie nicht nur eine Wahl verloren hat. Denn während die Bundeskanzlerin in aller Welt tourt, fährt Schulz untertourig auf Minimalniveau, besucht lokale Fischräuchereien und tut so, als sei sein Würselen wirklich überall. Dabei war er bis dahin international auf Augenhöhe nicht nur mit Angela Merkel, sondern mit fast allen in der Welt. Als Präsident hatte Schulz das EU-Parlament eigentlich erst zu einer Größe gemacht. Durch Kraft wurde er geschrumpft. Und damit einhergehend verlor sich die Begeisterung für inhaltliche Initiativen.
Rot-Rot-Grün scheint plötzlich ohne Not ausgeschlossen zu sein
Mehr noch: Wo es inhaltliche Aussagen gab, waren sie entweder unglücklich oder inkonsistent. Beispiel ist der Umstand, dass erst Skepsis gegen die sozialdemokratische Agenda 2010 und Hartz IV geäußert wurde, dann nach Einsprüchen vom eher rechten Spektrum schnell wieder Hinwendung. Und das, obwohl die Agenda gefühlt Ewigkeiten zurückliegt und selbst ihr größter Promoter, Gerhard Schröder, immer wieder ironisierend sagt, sie sei ja nicht das Buch Mose. Da müsse jetzt auch schon Neues her, sagt Schröder, wohl wissend, dass nur mit dem Nach-vorne-Schauen die Wunde geschlossen wird, die seine Politik hinterlassen hat. Denn wahr ist: Der Wesenskern der Sozialdemokratie ist seither angetastet, so sehr, dass die Facharbeiter und die Gewerkschaften bis heute skeptisch sind, ob man der SPD im Hinblick auf soziale Gerechtigkeit wirklich trauen kann.
Hinzu kommt, dass Rot-Rot-Grün ohne Not plötzlich ausgeschlossen zu sein scheint. Was weder nötig war, weil sich die Frage bisher nicht stellt, noch klug, weil es die einzige realistische Machtperspektive ist. Wie sonst soll ein SPD-Spitzenkandidat zum Kanzler gewählt werden? Zumal er schon längst hätte gewählt werden können, im Bundesparlament gibt es eine rot-rot-grüne Mehrheit. Die konnte sich ihrer zwar nie sicher sein, aber es war andererseits auch nie einer da, der die Macht so sehr haben wollte, dass er es auf diese Machtprobe hätte ankommen lassen. Dabei war die Linkspartei schon auf dem Weg. Selbst der gefallene Engel der SPD, Oskar Lafontaine, stellte sich nicht quer. Und die Grünen waren noch nicht so nah bei der Union wie jetzt, wenn man ihr Spitzenduo anschaut: Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir.
Einrollen muss Schulz seine Fahne noch nicht
Stichwort Authentizität: Die SPD liegt dann richtig, wenn sie die Themen aufnimmt, die die Menschen wirklich bewegen. Menschen, die gute, nicht große Jobs haben und trotzdem Zukunftsängste. Denn das sind deren Themen: Armut und soziale Ungleichheit nennen 43 Prozent der Deutschen an erster Stelle ihrer derzeit drei größten Sorgen im eigenen Land. Danach folgt die Angst vor Terrorismus und vor Gewalt und Kriminalität mit jeweils 38 Prozent. Deshalb setzen sich solide Vorschläge zur Rente schon noch im Bewusstsein der Menschen durch, auch das „Roter Sheriff“-Papier für mehr innere Sicherheit. Wenn die SPD bei denen mehrheitlich richtig liegt, dann geht für sie vielleicht doch noch was am Wahltag. Und wenn sie jetzt beherzt Politik macht – unbeirrt und gut begründete solidarische Politik. Was praktisch bedeutet, eigene Gesetzesanträge vorzulegen und die Union damit zu treiben, im Parlament und außerhalb. Die Unionsparteien müssten dann liefern, müssten zustimmen oder ablehnen. Überall sind sie angreifbar.
Martin Schulz wiederum darf sich nicht verzwergen (lassen). Wahrscheinlich zeigt sich hier die Unerfahrenheit in der Innenpolitik, die der Mannschaft und die des Kandidaten. Der Versuch, über Würselen seine innenpolitische Anbindung deutlich zu machen, hat ihn gefesselt. Seine „Beinfreiheit“ (nach einem gescheiterten Kanzlerkandidaten) besteht aber auch darin, dass er mit einem Macron darüber reden kann, wie Europa gemeinsam vorangebracht werden kann. Und mit einem Corbyn über verbindende Antworten auf soziale Ungleichheit. Einrollen muss Martin Schulz seine Fahne noch nicht.