Korruption in Spanien: Alles Amigos
Ob Königshaus, Regierung oder Behörden: In Spanien gilt Korruption längst als Normalfall. Die Bürger haben bereits das Vertrauen in die Institutionen verloren.
Aurora Montes langt es. „Ich frühstücke jeden Morgen mit der Korruption“, schreibt sie in einem Leserbrief an Spaniens größte Tageszeitung „El Pais“. Das schlage ihr so auf den Magen, dass sie demnächst wohl Beruhigungstabletten mit dem Morgenkaffee schlucken müsse. Tatsächlich vergeht kaum ein Tag, an dem man in Spanien nicht etwas über einen neuen Schmiergeldskandal hört. Was „El Pais“ zu der traurigen Einschätzung veranlasst, dass das südeuropäische Königreich „in der Champions League der korrupten Länder“ ganz oben mitspielt.
In diesen heißen Sommertagen schockt eine neue gigantische Betrugs- und Bestechungsaffäre die Bürger: Im nordspanischen Katalonien hat der bekannteste Politiker der Region, der langjährige katalanische Regierungschef Jordi Pujol, zugegeben, dass seine Frau und seine sieben Söhne ein Millionenvermögen auf ausländischen Konten gehortet und vor dem Fiskus geheim gehalten haben. Das Geständnis Pujols, der 23 Jahre lang in Katalonien mit seiner Regionalpartei CiU wie ein Fürst regierte, kam nicht freiwillig: Die Ermittler sind ihm und seinen Söhnen auf den Fersen, weil sie glauben, dass der Pujol-Clan jahrzehntelang öffentliche Aufträge gegen Bestechungsgeld vermittelte.
Wohl kein Einzelfall in Spanien. „Die vorherrschende Meinung ist, dass die Korruption der Normalzustand ist“, beschreibt die Zeitung „La Opinion A Coruña“ die Stimmung. Es gibt kaum jemanden, der keine Bekanntschaft mit der alles beherrschenden Amigo-Wirtschaft machte. Arbeitsplätze, Aufträge, Anträge beim Amt: Überall wird geschmiert. Im vergangenen Jahr schickte ein Gericht die ganze Spitze des Rathauses der Badestadt Marbella ins Gefängnis, weil ein „allgemeines System der Korruption“ in der Stadtverwaltung installiert worden war. „Was ist für Sie derzeit das größte Problem in Spanien“, fragt regelmäßig das staatliche Meinungsforschungsinstitut auf der Straße.
Im Ranking rutschte das Land ab
Die Antwort des Volkes ist alarmierend: Gleich nach der nationalen Jobkrise werden „Korruption und Betrug“ sowie „Politiker und Parteien“ als schlimmste Geißel genannt. Im neuesten internationalen Ranking der Korruptionswächter von Transparency International schmierte das Euro-Krisenland, das seit Jahren mit Wirtschaftsmisere und Massenarbeitslosigkeit kämpft, gleich um zehn Posten auf den 40. Platz ab. Wie sollen Bürger auch Vertrauen schöpfen, wenn die Korruption sogar die höchsten Institutionen unterminiert? Wenn der Verdacht besteht, dass der konservative Regierungs- und Parteichef Mariano Rajoy eine ergiebige Vetternwirtschaft in der Spitze seiner Partido Popular tolerierte? Und Rajoy selbst von seinem inzwischen in U-Haft sitzenden Schatzmeister Luis Bárcenas Umschläge voller 500-Euro-Scheine unklarer Herkunft erhalten haben soll?
Pablo Ruz, Ermittler am nationalen Gerichtshof in Madrid, hat bereits mehr als 100 Politiker und Unternehmer aus dem Umfeld der konservativen Volkspartei beschuldigt – Rajoy blieb bisher unbehelligt. Dabei geht es nicht nur um Korruption und Steuerbetrug, sondern zudem um illegale Parteifinanzierung. Und auch für den jüngst abgetretenen König Juan Carlos könnte es eng werden. Immer wieder wurden Vorwürfe wegen fragwürdiger Vorteilsannahmen, Gratis-Luxusreisen und sonstiger geldwerter Gefälligkeiten laut, wegen seiner Immunität konnte er bisher aber nie belangt werden. Doch nun prüft der oberste Gerichtshof Klagen. Überhaupt gaben schon die Ermittlungen im Betrugsskandal um Prinzessin Cristina und ihren Mann Iñaki Urdangarin einen interessanten Einblick in den königlichen Sumpf.
Überforderte Justiz
Spaniens große Oppositionspartei, die Sozialisten, trägt ebenfalls zum schlechten Ruf des Landes bei: In der Sozialistenhochburg Andalusien, ärmste Region des Landes, sollen die regierenden Genossen ungeniert millionenschwere Arbeitsfördergelder – auch aus EU-Töpfen – an Freunde und auf eigene Konten dirigiert haben. Hier wurden bisher 185 Verdächtige beschuldigt. Die Serie der Skandale ließe sich endlos fortsetzen: Kaum eine gesellschaftliche Institution, die nicht von einer Affäre erschüttert wird.
Dazu eine chronisch überlastete Justiz, die mit politischen Günstlingen durchsetzt ist. Strafprozesse würden systematisch verschleppt, sagt Generalstaatsanwalt Eduardo Torres-Dulce. „Unverständliche Verjährungen“, „Begnadigungen von Korrupten“ und „schwarze Löcher in der Vollstreckung von Urteilen“ hinterließen das Gefühl, „dass die Justiz die Mächtigen begünstigt“. Die Statistik scheint die Vermutung zu bestätigen, dass die Korrupten oft straflos davonkommen: Obwohl Spaniens Justiz zurzeit in fast 1700 Fällen ermittelt, sitzen bisher kaum mehr als 20 korrupte Politiker im Gefängnis.