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Katastrophale Zustände herrschen in Libyens Internierungscamps.
© Taha Washi/AFP

Flüchtlinge in Libyen: "Alle Internierten müssen freigelassen werden"

Durst, Hunger, Gewalt: Ein Gespräch mit Dominik Bartsch, Repräsentant des UN-Flüchtlingshilfswerks, über die schlimmen Zustände in Libyens Migrantenlagern.

Herr Bartsch, mehrere Tausend Migranten sollen in libyschen Lagern interniert sein. Was spielt sich in diesen Haftanstalten ab?
Es herrschen dort furchtbare Zustände. Uns liegen Berichte vor, wonach die Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht sind, keinen Zugang zu ausreichender medizinischer Versorgung haben und denen es sowohl an Trinkwasser als auch Nahrungsmitteln mangelt. Das ist zweifellos eine humanitäre Notlage! Wir als UN-Flüchtlingshilfswerk haben ab und an Zugang zu diesen Lagern und versuchen, die Bedürftigsten in Sicherheit zu bringen.

Oft ist auch von schlimmen Misshandlungen wie Folter und Vergewaltigung, ja, Tötungen die Rede. Deckt sich das mit Ihren Erkenntnissen?

Es kommt in der Tat zu schweren Menschenrechtsverletzungen. Das ganze Register von Gräueltaten ist in diesen Camps präsent. Und nicht zu vergessen: Dies alles passiert inmitten einer bewaffneten Auseinandersetzung. Viele der Flüchtlinge hausen in gefängnisartigen Lagern, die zwischen den Fronten liegen. Erst vor wenigen Tagen sind 50 Menschen durch einen Luftschlag ums Leben gekommen.

Tod und Zerstörung. Erst vor Kurzem starben 50 Menschen bei einem Luftangriff auf ein Migrantenlager
Tod und Zerstörung. Erst vor Kurzem starben 50 Menschen bei einem Luftangriff auf ein Migrantenlager
© Ismail Zitouny/Reuters

Wie kann den festgehaltenen Migranten geholfen werden?

Wir versuchen nach wie vor, besonders schutzbedürftige Menschen wie Folteropfer oder unbegleitete Kinder an sichere Orte zu bringen. Zum Beispiel mittels der Evakuierung in den Niger, um dort für sie nach Lösungen zu suchen. Doch dazu müssen sie ja erst einmal freigelassen werden, wofür wiederum die Zustimmung der libyschen Behörden erforderlich ist.

Könnte die EU darauf drängen, dass sich die Behörden kooperativer zeigen?

Davon sind wir überzeugt. Denn es gibt ein zentrales Problem: Selbst wenn Menschen freigelassen werden, füllen sich die Lager erneut mit Migranten, weil die auf dem Mittelmeer durch die libysche Küstenwache abgefangenen Flüchtlinge nach Libyen zurückgebracht werden. Diese Menschen werden sofort wieder unmenschlichen Haftbedingungen ausgesetzt und sind von Misshandlung bedroht. Somit sollte auch die weitere EU-Unterstützung für die libysche Küstenwache mit klaren Bedingungen verknüpft werden, um erneute Gefahr für Leib und Leben der Geretteten auszuschließen.

Dominik Bartsch (53) ist der Repräsentant des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen in Deutschland (UNHCR). Zuvor organisierte er unter anderem die UN-Nothilfe im Irak.
Dominik Bartsch (53) ist der Repräsentant des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen in Deutschland (UNHCR). Zuvor organisierte er unter anderem die UN-Nothilfe im Irak.
© Kay Nietfeld/dpa

Gerd Müller, Minister für wirtschaftliche Entwicklung, dringt darauf, die Internierten aus den Elendslagern zu schaffen. Wächst die Sensibilität für die Not der Menschen?

UNHCR fordert die Freilassung aller internierten Migranten in Libyen. Die Aufmerksamkeit und Empörung in Europa hat ein neues Niveau erreicht hat, und wir hoffen, dass damit der Druck auf die politischen Entscheidungsträger wächst. Sie sollten alles tun, damit diese Zustände umgehend beseitigt werden.

Oft beginnt das Leid der schutzlosen afrikanischen Migranten bereits auf dem Weg nach Libyen. Viele sterben schon in der Wüste. Wird diesem Drama genug Aufmerksamkeit geschenkt?
Es ist unsere große Befürchtung, dass nicht ausreichend zur Kenntnis genommen wird, was sich in der Sahara vor sich geht. Auch hier stellt sich die Frage, was die internationale Gemeinschaft dagegen unternimmt.

Was wäre zu tun?
Wir brauchen unbedingt einen breiten Ansatz. Das heißt, man muss sowohl die schlimmen Zustände in Libyen selbst als auch jene in den Herkunftsländern der Migranten und den Transitstaaten im Blick haben. Es geht auch darum, die Ursachen solcher Flucht und Migrationsbewegungen effektiver anzugehen - und für die Menschen eine Perspektive zu schaffen.

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