Russische Angriffe in der Südukraine: Alle Hoffnungen in Mariupol ruhen auf dem Roten Kreuz
Russland konzentriert seine Angriffe am Samstag auf den Süden der Ukraine. In Mariupol versucht das Rote Kreuz erneut, einen Fluchtkorridor zu errichten.
Im Ukraine-Krieg hat Russland seine Angriffe am Samstag auf den Süden des Nachbarlands konzentriert. In der stark zerstörten Stadt Mariupol hofften viele der verbliebenen Einwohner auf einen neuen Versuch des Roten Kreuzes, mit Bussen evakuiert zu werden - zunächst vergeblich.
Nachdem das Vorhaben am Freitag gescheitert war, brach am Samstag ein Team aus neun Helfern erneut aus der Stadt Saporischschja in Richtung Mariupol auf, wie ein Sprecher des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz in Genf mitteilte. Ziel ist es, sichere Fluchtkorridore zu schaffen. Das Rote Kreuz will dann mit drei Fahrzeugen den Konvoi begleiten.
Nach Angaben der Regierung in Kiew wurden am Samstag für mehrere umkämpfte ukrainische Städte insgesamt sieben Fluchtkorridore eingerichtet. Parallel dazu war nach Angaben von Vize-Ministerpräsidentin Irina Wereschtschuk geplant, Menschen in Privatautos aus Mariupol in Richtung Saporischschja herauszubringen.
Weiter nördlich, aus der Umgebung von Dnipro, wurden in der Nacht zum Samstag schwere Explosionen gemeldet, wie das Online-Portal „Ukrajinska Prawda“ unter Berufung auf die Gebietsverwaltung berichtete.
[Wenn Sie aktuelle Nachrichten zum russischen Angriffskrieg live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Auch die Umgebung der südukrainischen Stadt Krywyj Rih wurde demnach mit Mehrfachraketenwerfern vom Typ Grad (Hagel) beschossen. Wie alle Berichte aus den Kampfzonen waren die Angaben nicht unabhängig überprüfbar. Am Freitagabend wurde auch die Hafenstadt Odessa am Schwarzen Meer mit Raketen angegriffen.
In der Nähe von Dnipro wurde nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums ein Militärflugplatz zerstört, ebenso wie ein weiterer bei Poltawa. Insgesamt seien innerhalb eines Tages 67 militärische Objekte zerstört worden, darunter auch Munitionslager, sagte ein Sprecher des Ministeriums. Zudem seien zwei Kampfhubschrauber vom Typ Mi-24 sowie 24 Drohnen abgeschossen worden.
Parallel zu den Kämpfen liefen im Hintergrund auch weitere Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien. Zum Stand der Gespräche, die in der Regel per Videoschalte stattfinden, wurde aus den Delegationen nichts bekannt.
Trotz der Raketenangriffe - zum Teil von Flugzeugen aus - behauptet die ukrainische Luftwaffe nach eigenen Angaben die Kontrolle über den Luftraum des Landes. „Der Feind hat den ukrainischen Himmel nicht kontrolliert und kontrolliert ihn nicht“, sagte Generalleutnant Mykola Oleschtschuk.
Russland vor Kiew offenbar weiter auf dem Rückzug
Russland habe seit Kriegsbeginn am 24. Februar versucht, die ukrainische Luftwaffe auszuschalten. Dies sei aber nicht gelungen. Mittlerweile greife die russische Luftwaffe weniger mit Flugzeugen an, sondern bombardiere aus der Distanz mit Raketen.
Im Großraum der Hauptstadt Kiew rückt die ukrainische Armee nach britischen Geheimdienstinformationen weiter gegen russische Truppen vor, die dort auf dem Rückzug sind. Vom Frachtflughafen Hostomel, der seit Beginn des Krieges am 24. Februar umkämpft war, hätten sich die Russen demnach inzwischen zurückgezogen. Im Nordwesten der Hauptstadt versuchten ukrainische Truppen nach dieser Darstellung, von Irpin in Richtung Bucha und Hostomel vorzustoßen.
[Lesen Sie dazu auch: Er sollte Einfallstor nach Kiew sein: Der Flughafen Hostomel wird zum Sinnbild des russischen Scheiterns (T+)]
Der ukrainische Generalstab teilte mit, dass russische Truppen aus der Sperrzone um das ehemalige Atomkraftwerk Tschernobyl und aus den angrenzenden Gebieten in Belarus zurückgezogen würden. Sie sollten augenscheinlich in das russische Gebiet Belgorod verlegt werden, um von dort aus nach Charkiw vorzustoßen.
Mit Blick auf solche russische Truppenbewegungen sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer neuen Videoansprache, er erwarte heftige Angriffe im Osten des Landes. „Russische Soldaten werden in den Donbass geholt. Genauso in Richtung Charkiw.“
[Mehr Hintergrund dazu hier: Verlagerung der Kämpfe nach Osten: Moskau will sich auf den Donbass konzentrieren – doch auch dort geht es nur langsam voran (T+)]
Selenskyj rief die Bevölkerung im russisch besetzten Süden auf, keine Ämter für das Besatzungsregime anzunehmen. „Meine Botschaft an Sie ist einfach: Die Verantwortung für die Kollaboration ist unausweichlich“, sagte der Präsident. Nach ukrainischen Angaben versucht Russland, in den besetzten Gebieten moskautreue Verwaltungen aufzubauen.
Der Bürgermeister der ostukrainischen Stadt Rubischne ist nach Angaben prorussischer Separatisten übergelaufen. Bürgermeister Serhij Chortyw habe die ukrainischen Truppen aufgerufen, die Waffen niederzulegen, meldete die Nachrichtenagentur Lug-Info der Separatisten.
Jetzt nahezu 300.000 Flüchtlinge in Deutschland
Das US-Verteidigungsministerium will der Ukraine weitere Waffen im Wert von 300 Millionen Dollar (etwa 271 Millionen Euro) zukommen lassen. Unter anderem sollen Drohnen, Raketensysteme, gepanzerte Fahrzeuge, Munition, Nachtsichtgeräte, sichere Kommunikationssysteme, Maschinengewehre und medizinische Güter geliefert werden. Die USA haben der Ukraine seit Beginn des russischen Angriffskriegs Militärhilfen und Waffenlieferungen von 1,65 Milliarden Dollar zugesagt.
In Deutschland trafen nach Angaben der Bundespolizei innerhalb eines Tages rund 5300 weitere Flüchtlinge aus der Ukraine ein. Damit stieg die Zahl der aufgenommenen Kriegsflüchtlinge auf nahezu 300.000, wie das Bundesinnenministerium auf Twitter mitteilte.
Die meisten Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine halten sich im Nachbarland Polen auf: mehr als 2,4 Millionen Menschen. Insgesamt sind schon mehr als vier Millionen Menschen aus der ehemaligen Sowjetrepublik geflohen - etwa ein Zehntel der bisherigen Bevölkerung. (dpa)